Tichys Einblick
Nach Sonnenschein kommt Regen - und umgekehrt

Hurra, wir schmelzen!

Sommer 2019: Das Ersparte schmilzt, der Bahnverkehr schmilzt und der Verstand schmilzt sowieso – um Rudi Assauer (fast ganz) zu zitieren: "Wenn der Schnee schmilzt, sieht man, wo die K.... liegt."

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»Like ice in the sunshine«, so sang es einst im TV-Sport für Speise-Eis (bei YouTube suchen), »like ice in the sunshine, I’m meltin’ away, on this sunny day.« – Frei übersetzt: Wie Eis im Sonnenschein, wie Eis im Sonnenschein, so schmelze ich dahin, an diesem sonnigen Tag!

Wissenschaftlich betrachtet, ist das Schmelzen »nur« der Übergang eines Stoffes von einem Aggregatzustand in einen anderen, doch – ob buchstäblich oder als Metapher – wo gehärtet oder wieder geschmolzen wird, da ändern sich der Geist der Stunde oder gelegentlich auch der Lauf der Welt.

Es gibt allgemein als gut anerkanntes Schmelzen, etwa die Tauwetter-Periode der Sowjetunion nach dem Tod Stalins (siehe Wikipedia). Es gibt gruseliges Schmelzen, wenn etwa in Horrorfilmen die Gesichter wegschmelzen (berüchtigt etwa »Street Trash«, aber auch die bekannte Schmelz-Szene bei Indiana Jones). Es gibt das wehmütige Schmelzen – wir denken an Salvador Dalis schmelzende Uhren. Und dann gibt es jenes süße Schmelzen des Eises in der Hand, von welchem auch der TV-Spot sang, wenn die Sonne scheint und das Vanille-Eis in unserer Hand zur zarten Creme wird, die es schnell aufzuschlecken gilt!

Für was? Für das?!

Heute die Nachrichten zu lesen – und, noch mehr: die Nachrichten zu leben – das könnte uns mit dem Gefühl eines schmelzenden Landes versehen, einer schmelzenden Zeit.

In Sachsen hat der Landeswahlausschuss versucht, so könnte man es so poetisch wie zynisch deuten, das Wahlergebnis der AfD schon vor der Wahl gewissermaßen »einzuschmelzen« (Nur die ersten 18 Kandidaten der Wahlliste wurden vom Landeswahlausschuss zugelassen, Juristen hatten bald Bedenken, siehe verfassungsblog.de, 9.7.2019) – nun hat der sächsische Verfassungsgerichtshof die Liste der zugelassenen Bewerber auf immerhin 30 Listenplätze ausgedehnt (welt.de, 25.7.2019). Es mag ja ehrenwert sein, »Zeichen zu setzen« (mehr ist es ja meist nicht) gegen das Schmelzen der Pole – ob die nun wirklich schmelzen oder nicht (siehe dazu welt.de, 3.8.2014, aber auch klimafakten.de vs. eike-klima-energie.eu) – doch mindestens genauso dringend erscheint es mir, gegen das Wegschmelzen der deutschen Demokratie ein »Zeichen zu setzen«.

Doch, die Demokratie ist nicht das einzige Fundament, das uns unter den Füßen wegschmilzt!

Ich bin noch mit dem Sparbuch aufgewachsen, und mit den Zinsen, die das Ersparte uns einbrachte, aber ich bin auch mit der guten D-Mark aufgewachsen. Heute haben wir den Euro und unsere Sparbücher bringen weniger als die Inflation ein – sprich: Der Ehrliche und Sparsame, auf dessen Schultern das Land ruht, wird schleichend enteignet, sein Erspartes schmilzt, und jetzt soll das Geld noch schneller schmelzen! Die Verschwörungstheorien von gestern sind die von der Propaganda moralisch angestrichene Realität von morgen. Es liegt in der Luft, dass demnächst die meisten Banken ernsthaft »Negativ-Zinsen« kassieren werden – wer Geld zur Bank bringt, wird dafür wohl bald flächendeckend Gebühren bezahlen müssen (welt.de, 25.7.2019) – eine Geldpolitik, die dem Ehrlichen das Geld schmilzt, darf man mit Fug und Recht als »pervers« bezeichnen. Unser Geld schmilzt – danke an die Parteien, die daran mitwirkten, die Deutsche Mark zu opfern – für was? Für das?! Das Geld schmilzt.

Derzeit wird, noch immer, viel Stimmung gegen Flugzeuge gemacht, vor allem von denen, die am meisten fliegen. Die Forderungen von vielfliegenden Öko-Aktivisten nach Flugverboten erinnern an jene Prediger ehelicher Treue, die sich später als Stammkunden im örtlichen Bordell herausstellen. – Doch, nehmen wir für einen Augenblick an, dass wir wirklich Bahnfahren wollten, statt wie bisher das Auto oder das Flugzeug zu nehmen. Wer sich solchen Vorhaben hinzugeben erwägt, der könnte gut beraten sein, vorab die Berichte jener Mitbürger zu lesen, die von der Realität ausfallender oder überfüllter Züge berichten (siehe etwa @stefanolix, 25.7.2019, oder allgemein etwa bei Twitter nach »ICE ausgefallen« suchen). Es ist etwas wärmer und die deutsche Transport-Infrastruktur schmilzt. Ich kann verstehen, dass besonders Politiker lieber Flugzeug fliegen, allen voran natürlich das stets gut beratene Verteidigungsministerium (spiegel.de, 25.7.2019).

Eis-am-Stiel im Freibad

Damals, als es im Winter noch geschneit hat, konnte es passieren, dass ein Nachbar in seinem Garten eine schlimme Unordnung hatte, und dann schneite es über Nacht, und plötzlich waren alle Gärten gleich weiß, sanft und ordentlich. – Doch später, wenn der Schnee wieder schmolz, dann würde wieder die alte Unordnung zu Tage treten, oder um es mit den Worten Rudi Assauers zu sagen:

Wenn der Schnee schmilzt, sieht man, wo die Kacke liegt.
(Rudi Assauer, Focus 39/2005)

Es ist nicht nur ziemlich warm in Deutschland, es schmelzen unangenehm viele Lebenslügen gleichzeitig weg, und man sieht, »wo die Kacke liegt«.

Sein Geld in Euro anzulegen lässt das Vermögen schmelzen – demnächst wohl noch schneller – yep, das ist »kacke«. Nicht nur der Euro, so mancher deutsche Traum (um nicht wieder »Wahn« zu sagen) droht endgültig zu schmelzen. Der Multikulti-Traum schmilzt schneller als Eis-am-Stiel im Brennpunkt-Freibad. Wer seine Kinder in von linksgrüner Ideologie organisierte Schulen schickt, der wird die Lebenschancen seiner Kinder schnell schmelzen sehen (siehe auch welt.de, 25.7.2019). – Und so weiter. Hurra, wir schmelzen!

Sollten Sie an dieser Stelle meinen, die Metapher vom Schmelzen sei schon ausgereizt, hätte ich noch eine, aktuell zur allgemeinen Überhitzung: Die Barmer Ersatzkasse empfiehlt »Masturbation zum Einschlafen« (spiegel.de, 25.7.2019) – gewissermaßen auch eine Form des »Schmelzens«. Die Zielkundschaft der Barmer sind gesetzlich Versicherte – was wird eigentlich Privatversicherten zum Einschlafen empfohlen? Kurzstreckenflüge?

Hurra, wir schmelzen, und die kollektive Vernunft schmilzt gleich mit.

Wer ein Fundament hat und wer keines

Wenn der Schnee schmilzt, dann kann es tatsächlich sein, dass man sieht, »wo die Kacke liegt« – doch nicht notwendigerweise!

Wenn der Schnee schmilzt, wird auch sichtbar, wer ein Fundament hat und wer keines.

Die Moral und die Illusionen, dieser dünne, leicht giftige Kunstschnee, welchen Staatsfunk und Propaganda über das Versagen der Regierung sprühen, all die Grütze beginnt zu schmelzen – sie hat längst zu schmelzen begonnen.

Manches, was unterm Kunstschnee billiger Moral hervorbricht, ist tatsächlich »Kacke«.

Wer seine Kreise geordnet hat und so versteht, was seine relevanten Strukturen sind, wer für sich bestimmt hat, was ihm wirklich wichtig ist und wer das auch zu sichern wagt, der hat ein Fundament, ob es stürmt, schneit oder schmilzt.

Wie Eis im Sonnenschein, so schmelzen heute manche Lebenslügen weg. – Wohl dem, der unterm Kunstschnee staatlich verordneter Illusionen noch ein tragfähiges Fundament hat, auf dem er ruhen und bauen kann.


Dieser Beitrag erschien zuerst auf dushanwegner.com.

Dushan Wegner (geb. 1974 in Tschechien, Mag. Philosophie 2008 in Köln) pendelt als Publizist zwischen Berlin, Bayern und den Kanaren. In seinem Buch „Relevante Strukturen“ erklärt Wegner, wie er ethische Vorhersagen trifft und warum Glück immer Ordnung braucht.

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