Corona bezeichnet nicht nur ein gegenwärtig die ganze Welt aus der Bahn bringendes Virus. In der Astronomie ist es die heiße Atmosphäre der Sonne, die wir nur während einer Sonnenfinsternis mit dem bloßen Auge sehen können. Finstere Zeiten haben wir aktuell. Licht hinter dem Dunkel zu erkennen, wäre schön.
Corona ist auch umgangssprachlich die Bezeichnung für eine mächtige Gruppe von Personen. Auch dieser politischen Corona müssen wir aktuell sehr kritisch auf die Finger schauen. Und nicht zuletzt wird auch ein Heiligenschein als Corona bezeichnet. Seien wir gewarnt, dass es nicht heißt, der Zweck würde die Mittel heiligen. Sowohl Zweck als auch Mittel sind hohe Infektionsrisiken, um die Gesellschaft künftig noch mehr als bisher in einen Fürsorgestaat zu wandeln.
Es gibt allerdings auch die positiv denkenden Ideologen, die aus der Erfahrung mit einem Virus Erkenntnisse für eine bessere Welt ableiten wollen. Sie sind ein großes Risiko für die Gesellschaft. Mit nur wenigen Autos auf den Straßen wird die Luft besser. Die Menschen können freier atmen, der Himmel ist blauer und das Klima wird geschützt. In den ersten Metropolen wird darüber diskutiert, dass die Innenstädte künftig den Radfahrern gehören sollen. Die ruhige Gangart während des Shutdowns, so wird doziert, entspannt die Menschen. Die verordnete Distanz schafft ein neues Bedürfnis nach Nähe. Auch ohne tägliche virologische Wasserstandsmeldungen, so scheint es, könnte die Welt so schön sein.
Sehr gefährlich für das Recht auf Freiheit in der Gesellschaft ist die vermeintliche Erkenntnis, dass der Staat zur Bekämpfung der Pandemie den Schutz des Lebens zum Prinzip politischer Entscheidungen gemacht hat. Diese gefühlte Fürsorge ist erstens eine falsche Wahrnehmung und zweitens wäre es ein risikoreicher Weg in eine Fürsorge-Diktatur im Fürsorgestaat.
Während der Pandemie wurden durch geeignet erscheinende Maßnahmen Infektionsraten signifikant gesenkt, um eine erfolgreiche Behandlung infizierter Personen in dem vorhandenen Gesundheitssystem nicht zu gefährden. Allein das, so zynisch es klingen mag, war Grundlage. Die Vermeidung von Corona-Toten durfte dagegen nie das Kriterium für Eingriffe sein, die kollektiv die Grundrechte einschränken. Bei Erreichen der angestrebten Zielwerte bei den Infektionsraten muss das in der Konsequenz zur Aufhebung der die Freiheit beschneidenden Maßnahmen führen. Das ist kein Entgegenkommen, sondern eine Pflicht des Staates. Auch in einer Krise haben die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit respektive Angemessenheit zu gelten. Freie Intensivbetten stehen tatsächlich in einer ursächlichen Relation zu den selbstverständlichen Freiheitsrechten, die jetzt gefordert werden. Es ist nicht die Aufgabe des Staates, das individuelle Risiko einer Infektion zu eliminieren. Politiker können und dürfen niemandem versprechen, dass er sich nicht ansteckt. Für ein Restrisiko, das uns auch künftig begleiten wird, sind die Menschen selbst verantwortlich.
Würde der Schutz des individuellen Lebens, wie es gut meinende Menschen zu einem positiven Resultat der Pandemie interpretieren wollen, zur Maxime des politischen Handelns, wäre die Demokratie in ihren Grundstrukturen gefährdet. Die Einschränkung von Grundrechten zum Schutz des individuellen Lebens wäre umfassend. Jährlich könnten über 3.000 Verkehrstote allein in Deutschland durch eine konsequente Vermeidung des Straßenverkehrs ihr Leben behalten. Zugleich würden das Klima geschützt und eventuelle Atemwegserkrankungen verhindert. In Brüssel und anderen Orten wird bereits laut darüber nachgedacht, die Innenstadt als Paradies für Radfahrer zu gestalten. Der Zweck heiligt die Mittel. Das Ergebnis wäre eine schrittweise und als sozialverträglich angepriesene Verkehrswende. Schnellstraßen für Radler, breite Umweltspuren neben schmalen KFZ-Gassen, Temporeduktion, Vignetten für Autos, die an geraden oder ungeraden Tagen fahren dürfen. Mit der fürsorglichen Begründung, Gesundheit und Leben schützen zu wollen, können Politiker eine neue Verantwortlichkeit definieren, für die ihnen manche sogar noch Beifall spenden werden.
Die EU möchte die Chance der Macht nutzen, um eine ohne eigenes Verschulden leidende Lufthansa durch die Zwangsabgabe von Slots zurechtzustutzen und die europäische Luftfahrtbranche neu zu strukturieren. Da verspüren Strategen Machtgelüste, die in den Unternehmen der Wirtschaft wirklich nichts zu suchen haben. Es sei denn als Frühstücksdirektoren nach ihrer politischen Karriere.
Wenn konsequentes Durchregieren gegen Viren hilft, kann das nach Vorstellungen der EU ebenso bei einem alle Segmente erfassenden Ernährungssystem helfen. Am 20. Mai 2020 wurde von der Kommission die Strategie „Farm to Folk“ (vom Hof auf den Tisch) präsentiert. Die Zukunft wird eine reduzierte sein. Die Landwirte sollen sich an die Reduktion von Pflanzenschutzmittel, von Dünger und die Begrenzung von effizienten Anbauflächen gewöhnen. Reduziert werden damit dann auch ihre Motivation und ihr Einkommen. Den Nahrungsmittelherstellern und dem Handel wird man Freiheiten bei der Produktion und der Vermarktung nehmen. Regulierende Politiker wollen den Unternehmen klare Leitplanken vorgeben. Und auch die Geschmacksnerven der Verbraucher müssen sich umstellen. Der gewohnte Variantenreichtum der angebotenen Produkte wird durch politisch verordnete Nährwert- und Geschmacksprofile reduziert. Ohne rechtsstaatlich relevante Angemessenheit wird der Weg zum staatlich verordneten Einheitsbrei konsequent eingeschlagen.
Zur Disposition stehen also nicht nur Mobilität, Umwelt oder Energie, sondern der individuelle Lebensstil. Künftig kann mit dem Verweis auf den Schutz der Gesundheit bis auf den Esstisch durchregiert werden. Prof. Peter Stehle, Ernährungsforscher und ehemaliger Präsident der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE), stellt als seriöser Wissenschaftler fest, dass Formulierungen wie gesund und ungesund in der Ernährungswissenschaft falsch seien, weil sie ohne evidenzbasierte Fakten suggerieren, das eine darf ich, das andere nicht. Aus seiner Sicht sind Gesundheit und auch das individuelle Gewicht Konsequenzen des Lebensstils sowie der individuellen Voraussetzungen, die bis hinein in die Genetik reichen. Der Wissenschaftler Stehle unterstreicht damit die Multikausalität.
Das, was die EU-Kommission mit der Strategie „Farm to Folk“ präsentiert hat, lässt sich durch eine ganze Palette dirigistischer Maßnahmen perfektionieren. Strafsteuern für zuckerhaltige Limonaden, Rezeptvorschriften für die Zutatenliste von Lebensmitteln, die Reduktion von Zucker, Salz und Fett, Werbeverbote für Kinderprodukte und vielleicht auch wöchentlich ein veganer Pflichttag können dirigistische Werkzeuge aus dem Baukasten eines staatlich verordneten Lebensstils sein. Evidenzbasierte Wissenschaft liefert für solche Maßnahmen keine seriösen Grundlagen. Aus Sicht von Aktivisten und einschlägig motivierten Politikern ist das auch nicht notwendig, weil eine schlichte Beobachtungsstudie, die konstruierte Korrelationen statt fundierte Kausalitäten liefert, ausreichend Aussagekraft besitzt. Was nicht passt, wird passend gemacht.
Die massive Beschneidung der freiheitlichen Rechte wird als temporäre Maßnahme während der Pandemie charakterisiert. Man mag es glauben oder nicht. Für paternalistische Tendenzen war das Virus ein offenbar erfolgreicher Test, der mit überzeugendem Protest beendet werden muss. Verhältnismäßigkeit und Angemessenheit sprechen mit klaren Fakten dafür. Ohne hindernden Mundschutz sind jetzt die Überlegungen zu demaskieren, die Corona als Einstieg in eine schöne neue Welt interpretieren wollen. Die Folgen von Corona sind als gesellschaftliches Infektionsrisiko deutlich zu erkennen.
Detlef Brendel, Wirtschaftspublizist