Keine Rückkehr für den verlorenen Sohn. Hatten Matteo Salvini von der Lega und auch die FPÖ in der Vergangenheit Signale gesendet, dass die Rückkehr der AfD in die Fraktion Identität und Demokratie (ID) möglich sei, so haben sich am Donnerstag alle Hoffnungen zerschlagen. Der französische Rassemblement National (RN) hat sich mit seiner harten Linie durchgesetzt.
Wenig überraschend: Denn Le Pens Anhänger stellen im neuen EU-Parlament eine erdrückende Mehrheit. Von den 58 ID-Mandaten entfallen 30 Sitze auf RN-Mitglieder. Der Ruf der Italiener und Österreicher nach den Deutschen war demnach auch ein Ruf nach einem Rettungsring. In einer breit aufgestellten Fraktion hätten sie mehr Spielraum besessen. Das ist das erste Fazit: Der RN wird die neue ID-Fraktion dominieren.
Es wäre jedoch verfehlt, den Vorgang auf rein französische Motive herunterzubrechen. Das Narrativ, das bereits in den sozialen Medien um sich greift, lautet: Maximilian Krah sei geschasst worden, nur, um französische Befindlichkeiten zu befriedigen, und der Plan sei nicht aufgegangen. Das ist nur die halbe Wahrheit. Denn auch so hat Krah an Boden verloren, und das nicht trotz, sondern wegen seiner Wahlkampagne. Die Priorität lautete, Krah überhaupt loszuwerden, auch aus internen strategischen Überlegungen.
Denn die Verantwortlichen, die den Antrag auf einen Ausschluss Krahs aus der AfD-Delegation bejahten, gehörten eben nicht durchweg dem als „transatlantisch“ oder „liberal-konservativ“ verfemten Umfeld an, sondern stehen ideologisch auf der rechts verorteten Seite. Der neue Delegationsleiter René Aust stammt aus dem Thüringer Landesverband von Björn Höcke. Paradoxerweise ergoss sich Häme und Spott über Aust ausgerechnet aus demselben Lager, dem auch die Krah-Anhänger zuzurechnen sind.
So fand in den AfD-Gruppen und sozialen Medien eine wahre Hexenjagd gegen den vermeintlichen „Verräter“ Aust statt, dessen Plan nicht aufgegangen sei, sich den Franzosen anzubiedern, und der dafür Krah geopfert hätte. Auch das ist ein vereinfachtes Narrativ. Schon länger drängt ein neues Netzwerk in der AfD an die Macht, zu dem neben Aust auch der Bundestagsabgeordnete Sebastian Münzenmaier und der Vorsitzende der AfD Brandenburg, René Springer, gehören. Es ist sicherlich kein Zufall, dass ausgerechnet diese Gruppe noch jüngst, kurz nach dem Aufstieg Austs zum Delegationsleiter, den Vorschlag unterbreitet hat, in Zukunft nur noch einen Parteivorsitzenden statt der bisherigen Doppelspitze beizubehalten.
Dass es demnach bei der Entscheidung für oder gegen Krah um weit mehr geht als um auf außen projizierte „Melonisierung“ oder angebliche transatlantische Unterwanderung, zeigt eine Stellungnahme des Thüringer Landesverbandes. Sie richtet sich gegen die seit Tagen anhaltende Diffamierung Austs durch das Krah-Lager. Darin heißt es unter anderem:
„Die durch einen Unterstützer von Maximilian Krah initiierte, zutiefst ehrenrührige Kampagne gegen unseren Thüringer Parteifreund und Kollegen René Aust verurteilen wir auf das Schärfste. Besonders enttäuschend ist für uns, dass der gegen René Aust erhobene Vorwurf des ‚Verrats‘ durch das Schweigen von Maximilian Krah zu den Machenschaften seines Unterstützers mitgetragen wird. […] Wir erinnern Maximilian Krah außerdem daran, dass sein sächsischer Landesverband ebenso wie unserer vor einer entscheidenden Wahl steht. Enttäuschend ist für uns auch, dass aus den Reihen der Bundesspitze drei Tage nach Beginn der Kampagne nicht die Gelegenheit genutzt wurde, dem Vorwurf des ‚Verrats‘ zu widersprechen. […]“
Björn Höcke persönlich, dem wohl nicht unterstellt werden kann, aus Furcht eines Ansehensverlustes durch SS-Äußerungen von Krah Schaden zu nehmen, stellt sich also dezidiert vor seinen Thüringer Kollegen. Der Konflikt geht damit mitten durch die Reihen der AfD, um nicht zu sagen: zwischen dem thüringischen und dem sächsischen Landesverband (so sich letzterer nicht auch noch von Krah distanziert). Nicht zu Unrecht verweist der thüringische Landesverband auf die kommende Landtagswahl; und die Unruhe, die Krah aus persönlichen Gründen führt, schadet nicht nur Aust, sondern dem Gesamtansehen der AfD und ihrer Integrität. Höcke gegen Krah – wer hätte das für möglich gehalten?
Der eigentliche Nutznießer dieser Angelegenheit ist dabei weder Le Pen oder ein vermeintliches „U-Boot“ in der Partei. Sondern vielmehr Sahra Wagenknecht, die bei den kommenden Landtagswahlen darauf spekulieren kann, sich in einigen Landtagen als Steigbügelhalterin anzudienen, um sich für Größeres zu empfehlen, indes die deutsche Rechte sich vorher selbst paralysiert. Die Causa Krah beschränkt sich schon lange nicht mehr auf ein paar Affären, sondern wird zur Chiffre für eine Krise, die auch an der Türe der beiden Bundessprecher rüttelt. Die eigentliche Melonisierung findet man dann stattdessen bei Wagenknecht, die sich ähnlich zum italienischen Pendant unentbehrlich macht.