Im Denken von Hitler spielten wirtschaftliche Gesichtspunkte eine entscheidende Rolle, wie ich ausführlich in meinem Buch „Hitler. Selbstverständnis eines Revolutionärs“ gezeigt habe. Hitlers Ziel war es, neuen „Lebensraum im Osten“, also in Russland zu erobern. Daraus hatte er keinen Hehl gemacht und dies offen in seinem Buch „Mein Kampf“, in seinem sogenannten „Zweiten Buch“ und zahlreichen Reden bekundet.
Hitler hing einer Theorie an, die auch von marxistischen Theoretikern wie Rosa Luxemburg oder Nicholai Bucharin vertreten wurde, der Theorie von der „Schrumpfung der Märkte“. Er hielt den Weg, den die deutschen Unternehmen gegangen waren, nämlich primär auf Exporte zu setzen, für einen großen Fehler. Nach Hitlers Meinung würden die Absatzmärkte infolge der Industrialisierung ehemaliger Entwicklungsländer immer mehr schrumpfen. Deshalb führe die Exportorientierung in die Sackgasse, nur neuer Lebensraum im Osten könne die Probleme lösen.
„Der Mensch lebt nicht von Ideen, sondern von Getreide und Korn, von Kohle, Eisen, Erzen, lauter Dinge, die im Boden liegen. Und wenn dieser Boden fehlt, nützen alle Theorien nichts. Es ist nicht ein Problem der Wirtschaft an sich, sondern des Bodens“, so Hitler. In einem Vortrag mit dem Titel „War der Zweite Weltkrieg unvermeidlich?“
formulierte Hitler seine Theorie, die er seit seinen frühen Reden und „Mein Kampf“ immer wiederholt hatte: „Will man den Lebensraum nicht erweitern, dann muss eines Tages ein Missverhältnis entstehen zwischen der Volkszahl, die dauernd wächst, und dem Lebensraum, der gleich bleibt. Das ist die Absicht der Natur: Dadurch zwingt sie nämlich den Menschen zu kämpfen, genau wie jedes andere Wesen in der Welt. Es ist der Kampf um die Ernährung, der Kampf um die Grundlagen des Lebens, um die Rohstoffe, die die Erde bietet, die Bodenschätze, die unter ihr liegen, und die Früchte, die sie dem bietet, der sie bebaut.“ Diesen Lebensraum wollte Hitler in Russland erobern.
Ihm ging es keineswegs darum, für privatkapitalistische Unternehmen neue Rohstoffquellen und Absatzmärkte zu erschließen, denn für die Zeit nach dem Krieg und in den eroberten Gebieten schwebte ihm eine Planwirtschaft vor. Kurz nach dem Angriff auf die Sowjetunion, am 28. Juli 1941, erklärte er: „Freilich lässt sich ein sinnvoller Einsatz der Kräfte eines Volkes nur mit einer Planwirtschaft von oben her erreichen.“ Und etwa zwei Wochen darauf sagte er: „Was die Planmäßigkeit der Wirtschaft angeht, stehen wir noch ganz in den Anfängen…“ Diesen Gedanken wiederholte er etwa ein Jahr später: Auch nach dem Krieg würde man „auf eine staatliche Lenkung der Volkswirtschaft nicht verzichten können“, da sonst jeder Interessenkreis ausschließlich an die Erfüllung seiner eigenen Wünsche denke.
Hitler bewunderte zunehmend das sowjetische Wirtschaftssystem, das er dem kapitalistischen für weit überlegen hielt. „Wenn Stalin noch zehn bis fünfzehn Jahre an der Arbeit geblieben wäre“, so sagte Hitler im August 1942 im kleinen Kreis, „wäre Sowjetrussland der gewaltigste Staat der Erde geworden, da können 150, 200 oder 300 Jahre vergehen, das ist so eine einmalige Erscheinung! Dass der allgemeine Lebensstandard sich gehoben hat, daran ist kein Zweifel. Hunger haben die Menschen nicht gelitten. Alles in allem gesehen, muss man sagen: Die haben Fabriken hier gebaut, wo vor zwei Jahren noch unbekannte Bauerndörfer waren, Fabriken, die die Größe der Hermann-Göring-Werke haben.“ Bei anderer Gelegenheit sagte er, ebenfalls im internen Kreis, Stalin sei ein „genialer Kerl“, vor dem man „unbedingten Respekt haben“ müsse, besonders wegen seiner umfassenden Wirtschaftsplanung. Es stehe für ihn außer Zweifel, so fügte er hinzu, dass es in der UdSSR, im Gegensatz zu den kapitalistischen Staaten wie etwa den USA, Arbeitslose nicht gegeben habe.
Mehrfach erwähnte der Diktator im kleinen Kreis, man müsse die großen Aktiengesellschaften, die Energiewirtschaft und alle anderen Wirtschaftszweige, die „lebensentscheidende Rohstoffe“ produzierten (z.B. die Eisenindustrie) verstaatlichen. Selbstverständlich war der Krieg nicht der richtige Zeitpunkt für die Realisierung solch radikaler Sozialisierungskonzepte. Hierüber waren sich Hitler und die Nationalsozialisten bewusst, die ohnehin alle Mühe hatten, die Sozialisierungsängste der Unternehmer zu beschwichtigen. So heißt es in einem Aktenvermerk des SS-Chefs Heinrich Himmler vom Oktober 1942, dass „während des Krieges“ eine grundsätzliche Änderung der kapitalistischen Wirtschaft nicht möglich sei. Jeder, der dagegen „anrenne“ würde ein „Kesseltreiben“ gegen sich heraufbeschwören. In einem im Juli 1944 von einem SS-Hauptsturmführer verfassten Bericht wird die Frage „Warum betreibt die SS Wirtschaft?“ so beantwortet: „Diese Frage wurde besonders von Kreisen aufgeworfen, die rein kapitalistisch denken und es nicht gern sehen, dass Betriebe entstehen, die öffentlich sind oder zumindest einen öffentlichen Charakter haben. Die Zeit des liberalistischen Wirtschaftssystems fordert den Primat der Wirtschaft, d.h. erst kommt die Wirtschaft und dann der Staat. Demgegenüber stellt sich der Nationalsozialismus auf den Standpunkt: Der Staat befiehlt der Wirtschaft, der Staat ist nicht für die Wirtschaft, sondern die Wirtschaft ist für den Staat da.“
In einem Gespräch mit Mussolini Ende April 1944, bekannte Hitler, er sei zu der Überzeugung gelangt, der Kapitalismus hätte seine Rolle ausgespielt, die Völker würden ihn nicht mehr ertragen. Den Krieg würden nur Nationalsozialismus und Faschismus und „vielleicht der Bolschewismus im Osten“ überleben.
Rainer Zitelmann ist Autor von „Hitler. Selbstverständnis eines Revolutionärs“ – Quellenangaben zu allen Zitaten in diesem Buch:
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