Politiker sind anfällig dafür, Verbote als Allheilmittel zu begreifen oder zumindest dem Wähler als solche zu verkaufen. Motto: Was ich verbiete, existiert nicht mehr. Die Realität sieht natürlich anders aus, denn Verbote müssen auch effektiv durchgesetzt werden. Und gerade daran hapert es häufig.
Wenig überraschend ist insofern ein Bericht, den der Tagesspiegel am Donnerstag veröffentlichte. Darin geht es um die Aktivitäten der Hisbollah in Deutschland. Die schiitische „Partei Gottes“ ist seit den 1980er Jahren im Libanon, aber auch im internationalen Terrorismus aktiv. Sie führt ein Doppelleben als Partei und Terrormiliz. Geburtshilfe erhielt die Hisbollah seinerzeit von den iranischen Revolutionsgarden und wurde seitdem vom Iran hochgerüstet, um an der Vernichtung Israels mitzuwirken. Aktuell beschießt sie den jüdischen Staat täglich mit Geschossen aller Art – in „Solidarität“ mit den Palästinensern im Gazastreifen, wie sie behauptet.
Es ist schon lange ein offenes Geheimnis, dass sich die Gottespartei auch mit kriminellen internationalen Geschäften finanziert, etwa durch Drogenhandel. In Deutschland hat das Bundesinnenministerium (BMI) sie im März 2020 mit einem „Betätigungsverbot“ belegt. Das BMI, damals noch unter Leitung Horst Seehofers, begründete das Verbot damit, dass die Tätigkeit der Vereinigung Strafgesetzen zuwiderlaufe und sich gegen den Gedanken der Völkerverständigung richte.
Nun schreibt der Tagesspiegel unter Berufung auf „Kenner der Sympathisantenszene“, dass die Hisbollah trotzdem weiterhin mit Hilfe aus Deutschland rechnen kann. Die Organisation habe sich an das Verbot angepasst: „In bestimmten Moscheen und unter namhaften Großfamilien in Nordrhein-Westfalen, Bremen, Niedersachsen und Berlin würden nach wie vor hohe Summen für die Hisbollah akquiriert.“
In einigen Moscheen und Clans sei sogar bereits konkret darüber gesprochen worden, die Spendenakquise hochzufahren, wenn es zu dem seit dem 7. Oktober befürchteten vollumfänglichen Krieg zwischen der Hisbollah und Israel kommen sollte. Insgesamt seien seit dem Betätigungsverbot bis Ende 2023 im Zusammenhang mit der Hisbollah 25 Verstöße gegen das Vereinsgesetz und Straftaten „im unteren zweistelligen Bereich“ registriert worden.
Bereits Anfang Juli hatte die Bundesregierung auf eine Anfrage der AfD-Abgeordneten Beatrix von Storch zur Hisbollah erklärt, ihr lägen Hinweise zu Personen vor, „die auf eine Verstrickung in OK-Aktivitäten (OK=Organisierte Kriminalität; Anm. d. Red.), wie z.B. Geldwäsche und Drogenhandel, hindeuten und die auf diese Weise die Gesamtorganisation im Libanon zumindest mitfinanzieren“.
Der Tagesspiegel-Bericht deckt sich auch mit Erkenntnissen aus Verfassungsschutzberichten mehrere Länder. Der Verfassungsschutzbericht aus Niedersachsen hält zum Beispiel fest, dass Sympathisanten „in mehreren Vereinen organisiert“ seien, „die die Pflege und Verbreitung der libanesischen Kultur und die Ausübung ihrer Religion als Zweck und Ziel in der Satzung angegeben haben“. Die Anbindung an die Hisbollah erfolge über Funktionäre, die aus dem Libanon anreisen.
Der Verfassungsschutzbericht Hamburg zählt aktuell bundesweit rund 30 Kultur- und Moscheevereine, in denen sich regelmäßig ein Hisbollah-Klientel treffe. Verschiedentlich weisen die Berichte darauf hin, dass die Hisbollah-Anhänger offene Bezüge zur Miliz im Libanon gezielt vermieden. Aus dem Hamburger Landesverfassungsschutz heißt es sogar, Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah habe die Anhänger ausdrücklich aufgefordert, sich in Deutschland gesetzeskonform zu verhalten, um keine Angriffsfläche für staatliche Maßnahmen zu bieten.
Insgesamt gehen die Verfassungsschutzbehörden derzeit von einem Personenpotential im niedrigen vierstelligen Bereich aus. Hochburgen gibt es etwa in Berlin (300), Nordrhein Westfalen (400) und Niedersachsen (250). Über die Jahre ist es immer wieder gelungen, Einzelpersonen festzusetzen oder Vereine auszuheben. Schon 2014 zum Beispiel, also vor dem Betätigungsverbot, verbot das BMI den Verein „Farben für Waisenkinder“, weil dieser Spenden in Millionenhöhe an eine Hisbollah-Stiftung im Libanon weiterüberwiesen haben soll.
Auch nach dem Betätigungsverbot folgten weitere Einzelverbote, etwa 2022 gegen die „Fatime Versammlung e.V.“, einen Moscheeverein, den NRW-Innenminister Herbert Reul als „Spendenbüchse der Hisbollah“ bezeichnete. Im Juli diesen Jahres erfolgte ein Zugriff auf einen Libanesen in Salzgitter. Der Vorwurf hier: Der Mann soll im Auftrag der Hisbollah Komponenten zum Bau militärischer Drohnen beschafft haben, die gegen Israel eingesetzt werden sollten. Auch dem im Juli verbotenen „Islamischen Zentrum Hamburg e.V.“ („Blaue Moschee“) attestiert das Bundesinnenministerium, die Hisbollah unterstützt zu haben.
Doch reichen diese Maßnahmen aus? Im Dezember warf die Unionsfraktion im Bundestag der Bundesregierung in einem Antrag vor, das Betätigungsverbot gegen die Hisbollah „nicht ausreichend“ umzusetzen: „Strukturen der Hisbollah und ihr nahestehende Vereine müssen in Deutschland faktisch keine strafrechtliche Verfolgung fürchten, was die Terrormiliz nicht zuletzt zur Akquise von Finanzmitteln nutzt“, lautete der Vorwurf.
Was für die Hisbollah gilt, dürfte vermutlich auch auf die palästinensische Terrororganisation Hamas zutreffen, die den Terrorüberfall auf Israel am 7. Oktober zu verantworten hat. Sie war vom BMI erst im November 2023 mit einem Betätigungsverbot belegt worden. Im Tagesspiegel heißt es dazu, dem Bundeskriminalamt seien seitdem im Zusammenhang mit der Hamas neun Verstöße gegen das Vereinsgesetz und Straftaten „im mittleren dreistelligen Bereich“ gemeldet worden.
Im Verfassungsschutzbericht Nordrhein-Westfalens lässt sich nachlesen, dass sich 2023 zwei Vereine mit Hamas-Bezug selbst auflösten. Diese Instrumente zur Spendensammlung dürften „kurzfristig nicht zu ersetzen sein“, meinen die Verfassungsschützer. Gleichwohl sei davon auszugehen, „dass sich die hier bekannten Akteure langfristig neu organisieren und ihren propagandistischen und/oder finanziellen Unterstützungshandlungen weiterhin nachgehen werden“. Heißt wohl: Für jeden aufgelösten Terrorverein sprießt mindestens ein weiterer nach.