Tichys Einblick
Eine Vorgeschichte

Heute Reichstagswahl in Schweden

Heute findet in Schweden die Wahl zu einem neuen, auf vier Jahre gewählten Reichstag statt. Um 8 Uhr öffneten die Wahllokale, um 20 Uhr werden sie schließen. Die Möglichkeit per Briefwahl bestand bereits.

Liberal Party leader Jan Bjorklund, Left Party leader Jonas Sjostedt, Centre Party leader Annie Loof and Sweden Democrats leader Jimmie Akesson pose during a television debate in Stockholm on September 4, 2018. General elections will be held in Sweden on September 9.

STINA STJERNKVIST/AFP/Getty Images

Schweden steht vor großen Herausforderungen. Da sind z. B. Migrations- und Integrationspolitik und eine Kriminalität, die sich praktisch täglich in Schießereien, sexuellen Übergriffen, angezündeten Autos u. a. manifestiert. Die beiden Themen hängen auch zusammen, wie Statistiken zeigen und die Politiker auch nicht leugnen.

Von den brennenden Autos zu unterscheiden sind die Brände in der Natur, die aufgrund der Dürre des heißen Sommers dieses Jahr in großem Ausmaß entstanden; es entzündete sich an ihnen aber eine Diskussion der Parteien darüber, ob Schweden gut genug gerüstet ist, mit solchen Katastrophen umzugehen und welche Maßnahmen in Zukunft zu treffen seien. Zudem diskutierten Bürger und Parteien über das Gesundheitssystem.

Durchaus mit dem Einwanderungsthema hängt das Thema der Meinungsfreiheit zusammen, denn viele Schweden posten auf Facebook und anderswo ihre Meinung über die auch in Schweden Einzug gehaltene Masseneinwanderung und den damit in Zusammenhang stehenden Ereignissen. Die Regierung wirkte jedoch am Aufbau eines Systems zur Verfolgung von Internet-Äußerungen mit, das für die Verfasser mit Polizeiverhören und Verurteilungen endete und endet – ein System, wie man es in westlichen Demokratien kaum anderswo in dieser Form kennt, wo es auch nichts verloren hat – und über die bisherigen realen Auswirkungen der deutschen Gesetzgebung hinausgeht.

Vermutlich dürften acht Parteien die 4-Prozent-Hürde überspringen. Lange mussten sich zwei Parteien darum Sorgen machen: die Grünen und die Christdemokraten, aber dies scheint mittlerweile ad acta gelegt zu sein. Es gibt inzwischen drei große Parteien in Schweden: die Sozialdemokraten, die Moderaten (eine Art CDU), und als drittes müssen hierzu aufgrund des stark gestiegenen Zuspruchs, die Schwedendemokraten gerechnet werden; eine Partei, die vielfach Alternativen zur etablierten Politik vertritt.

Wichtig ist jedoch das System der „Blöcke“. In Schweden gibt es drei „Blöcke“ von Parteien als typischerweise in Koalitionen zusammenarbeitenden Konstellationen:

Da die letztgenannte Partei ihren Stimmentanteil bei den vergangenen Wahlen jedesmal verdoppelte (2014 hatte sie dann 12,9%) und auch diesmal wieder stark zulegen dürfte, lohnt sich ein näherer Blick, um zu verstehen, um was es sich handelt und wie der Erfolg möglich ist. Die Schwedendemokraten (SD) sind grob vergleichbar mit der AfD, fallen also unter das Verdikt „rechtspopulistisch“.

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Probleme mit ihrem Demokratieverständnis sind nicht erkennbar, weswegen die anderen Parteien sie als politischen Mitbewerber akzeptieren müssen. Die SD wurden 1988 gegründet und befanden sich zunächst sehr am rechten Rand. Seit ihrer Gründung haben sie sich aber gewandelt und normalisiert. Hier besteht also eine völlig andere Parteigeschichte als bei der AfD, 2013 gegründet von Euro-Kritikern, Wirtschaftsexperten, Professoren usw., die nicht mehr Mitglieder sind, wie Gründer Lucke.

In den schwedischen Medien ist die Präsenz der SD normal. Demokratie bedeutet in Schweden, dass über Ausmaß und Art der Einwanderung sowie alle anderen Themen, verschiedene Meinungen koexistieren können. Heute können auch SD-Politiker und Journalisten in einem Interview mal zusammen über etwas lachen – ganz anders als in Deutschland, aber das hat auch weniger Humor.

Jedoch wird an der „Elefantenrunde“ im staatlichen Sender SVT heute SD-Chef Jimmie Åkesson nicht teilnehmen, da am Freitag ein Zitat von ihm über Einwanderer von SVT entstellt worden sei. Längst haben sich übrigens Internet-Plattformen auf schwedisch gebildet, die Dinge berichten, die anderswo untergehen, darunter Samhällsnytt (wörtl. in etwa: „Gesellschafts-Neues“) und Fria Tider (wörtl. „Freie Zeiten“).

Die SD sind seit 2010 im Parlament, setzen sich für Meinungsfreiheit sowie für konkrete Personen ein, ob prominent oder nicht, die in letzter Zeit in die Mühlen der Justiz geraten sind, allein aufgrund von politischen Aussagen. Auch werfen die SD öfter einmal Leute aus ihrer Partei wegen zu „rechter“ Äußerungen. Prophylaktisch gegenüber möglichen Medienberichten in Deutschland sei gesagt: Panik über das Anwachsen der SD ist nicht notwendig.

Die SD sind vielleicht eher noch weiter links als die AfD anzusiedeln, was sich z.B. daran bemerkbar macht, dass sich dieses Jahr rechts davon eine weitere Partei „Alternative für Schweden“ gegründet hat, die jedoch bei der Wahl wohl chancenlos ist; sie will ein großes Rückwanderungsprogramm für Migranten. Auch die „Nordische Widerstandsbewegung“ tritt zur Wahl an.

Bei Chemnitz fällen viele deutsche Politiker und Medien zur Zeit Entscheidungen, worüber sie „besorgter“ sein wollen: darüber, dass ein Mann getötet/ermordet wurde (wie schon viele vor ihm), oder darüber, dass Protestierende, oft als „Mob“ betitelt, durch die Straßen gezogen sind, dass Verfassungsschutz-Präsident Maaßen die Echtheit oder Relevanz eines Videos bezweifelt, und andere Einzelheiten. Die Schweden können nun ebenfalls entscheiden, worüber sie „besorgter“ sein wollen: über die Folgen der Migrationspolitik, oft genug ebenfalls tödlich, oder über die Tatsache, dass die Schwedendemokraten stark zulegen.

Die schwedischen Umfragen schwankten mitunter sehr stark. Es ist auch nicht vollkommen klar, in welcher Reihenfolge die drei größten Parteien die drei ersten Plätze belegen. Bei der Bundestagswahl 2017 schnitt die AfD etwa 2% höher ab als von den Demoskopen erwartet. Dieser Effekt kam möglicherweise dadurch zustande, dass ein Teil der Befragten sich nicht im Vorfeld zu seiner Stimmabsicht bekennen wollte. Falls das auch in Schweden so sein sollte, könnte die SD stärker abschneiden, als von der Demoskopie angenommen.

Nun bleibt mit Spannung abzuwarten, wie die Wahl ausgeht.

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