Tichys Einblick
Runder Tisch: Ort ohne Brandmauern

Hendrik Wüst will sich um Ostdeutsche kümmern – doch die wird das nicht kümmern

Wüst plädiert für Vertrauen und Zusammenhalt zwischen Ost und West, er fordert einen Runden Tisch. Es ist die Politik der CDU, die Politik von Hendrik Wüst und von Daniel Günther, die im Osten auf Ablehnung stoßen – da helfen auch keine Runden Tische.

Hendrik Wüst (CDU), Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, Leipzig, 11. Juni 2024

picture alliance/dpa | Jan Woitas

Was man wirklich an Hendrik Wüst schätzen kann, ist, dass er so einfach zu durchschauen ist. Das hat eine fast schon demokratische Qualität. Wüst möchte gern Kanzlerkandidat der Union werden, denn natürlich kann es keiner so gut wie er. Was Friedrich Merz besser können soll als Wüst, ist, die Wahlniederlagen im Osten zu verantworten, damit nach der Niederlage im Herbst Wüst als Retter der Union und als Kanzlerkandidat 2025 die Hoffnung vermittelt, dass es im Herbst dann für Schwarz-Grün reichen wird. Das ist beileibe kein Alleinstellungsmerkmal für Wüst, denn momentan wollen alle in der Union irgendwie mit den Grünen regieren, auch Friedrich Merz, nur Wüst praktiziert das schon innig in NRW.

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Und wie er es bei der Jungen Union gelernt hat, nahm Wüst die Wahlergebnisse zur Hand und sah, dass die alte Bundesrepublik im Großen und Ganzen schwarz ist, dass dort CDU oder CSU gewonnen haben, während Ostdeutschland blau leuchtet, also die AfD Favoritin ist. Dass die Blauen im Osten siegten, zeigte sich auch in den Kommunalwahlen in Mecklenburg-Vorpommern, in Sachsen-Anhalt und in Brandenburg. Also sagte sich Wüst, der aus seiner Sicht Kanzlerkandidat der Union in spe, dass man zwar im Osten keine Bundestagswahl gewinnt, aber man die Wahl im Osten verlieren kann. Möglicherweise drang es sogar bis zu seinen Ohren, dass er in Ostdeutschland nicht allzu beliebt ist.

Also dachte sich der alerte Hendrik Wüst, der stumpfe, etwas einfältige Ossi benötigt etwas Zuwendung und etwas Liebe und Beachtung ohnehin. Das kostet nicht viel Geld und macht doch viel her. Zumal die Vergangenheit gezeigt hat, dass dieses ewige Ossi-Bashing den landläufigen Ossi auch noch störrisch macht. Deshalb will Wüst die Republik, die zwischen Schwarz und Blau geteilt ist, einen – und zwar auf schwarzer Grundlage. Und da er um kein großes Wort verlegen ist, und es zudem, je größer es ausfällt, umso billiger kommt, schlägt er gleich vor: „Es ist Zeit für einen Einigungsvertrag 2.0, der neben der formalen Einheit auch die Menschen besser zusammenbringt – für stärkeres Vertrauen und Zusammenhalt zwischen Ost und West.“

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Vertrauen und Zusammenhalt, klingt schon mal gut, aber wofür Vertrauen und wozu Zusammenhalt? Soll jetzt per Gesetz verordnet werden, dass jeder Wessi einmal im Jahr in den Osten zu fahren hat? Oder dass jeder Wessi erst nach Mallorca düsen darf, wenn er nachweisen kann, dass er zuvor dreimal durch den Osten trampte? Schließlich, so Wüst: „Mancher kennt sich auf Mallorca besser aus als in Sachsen oder Thüringen. Umso mehr ist es den Versuch wert, die Menschen wieder stärker zusammenzubringen.“ Ja und? Schlimm ist das nicht. Wenn ein Hamburger lieber nach Mallorca fliegt, anstatt nach Anklam zu fahren, und ein Anklamer lieber nach Venedig schippert, als Castrop Rauxel zu besuchen, wäre das doch ein Stück Normalität. Oder?

Wüst wünscht sich den Runden Tisch zurück, weil er „dieses offene aufeinander Zugehen im Gespräch“ besser findet, er es vorzieht, „sich an einen Tisch zu setzen, anstatt aus der Ferne anzubrüllen“. Hat Hendrik Wüst bedacht, dass der Runde Tisch kein Kaffeekränzchen zum besseren Kennenlernen war, sondern der Ort, an dem um die grundsätzliche Veränderung der Gesellschaft in einer Phase der Friedlichen Revolution gerungen wurde? Nämlich als die Macht der SED zerfiel, aber eine neue Macht sich noch nicht etabliert hatte. Das alte System war am Zerfallen, ein neues noch nicht da. Wüst könnte den Runden Tisch sofort haben, er müsste nur die Brandmauer schleifen. Der Runde Tisch ist der Ort ohne Brandmauern. Der Runde Tisch entstand, weil keine Demokratie existierte. Wenn wir einen Runden Tisch bräuchten, hieße das, dass wir keine Demokratie mehr haben.

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Wüst wirft Nebelkerzen, er konstruiert Gegensätze, wo keine existieren. Der Runde Tisch wird Deutschland nicht vor der Deindustrialisierung bewahren, nicht die innere Sicherheit zurückbringen, nicht die Massenmigration in die Sozialsysteme beenden, er wird nicht eines der existenziellen Probleme lösen, das die Regierung Merkel geschaffen und die Ampel beschleunigt hat. Solange sich Hendrik Wüst an den Tisch mit den Grünen setzt, jeden Tag, erneut zum Schaden von NRW, solange werden sich am Runden Tisch, den er in Ostdeutschland aufstellt, nur Grüne, Rote und ihre NGOs einfinden. Diejenigen, die Ostdeutschland nicht repräsentieren, werden sich als Repräsentanten Ostdeutschlands aufspielen, weil die öffentlich-rechtlichen Medien sie als Repräsentanten medial verkaufen werden.

Nicht die Mehrheit, sondern die verschwindend kleine Minderheit würde an Wüsts Runden Tisch Platz nehmen, wie ein Blick auf die Wahlergebnisse, europäisch wie kommunal, zeigt. Gewonnen hätte er nichts, aber die Spaltung noch vertieft und verbreitert, nicht zwischen Ost und West, sondern zwischen dem Politikkombinat hinter der Brandmauer und immer mehr Wählern, die das nicht mehr wählen wollen. Nicht die Probleme unterscheiden Ost und West, aber in der Masse vielleicht die Art der Wahrnehmung – im Osten weiß man, dass ein System zusammenbrechen kann, und was das bedeutet. Man weiß auch, wozu es führt, wenn Ideologen Politik und Wirtschaft beherrschen, und wie es ist, bevormundet zu werden.

Es mag sein, dass Hendrik Wüst hofft, Nostalgie mit den Meldestellen für Vorkommnisse unterhalb der Strafbarkeitsgrenze zu wecken, die er in NRW eingeführt hat, denn im Osten erinnern die Meldestellen unterhalb der Strafbarkeitsgrenze an die Stasi. Doch, ob er damit außer bei der Antifa Freude auslöst, darf sehr bezweifelt werden. Es ist die Politik der CDU, die Politik von Hendrik Wüst und von Daniel Günther, die im Osten auf Ablehnung stoßen – da helfen auch keine Runden Tische und keine organsierten Besuchergruppen aus dem Westen für den großen ostdeutschen Streichelzoo.


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