„Das war ein Fehler – nicht meine Sternstunde“, meint Georg Kierdorf. Dem Unternehmer aus Köln wurde ein eigentlich relativ banaler Rechtsstreit zum Verhängnis. Eine ehemalige Mitarbeiterin wollte wissen, warum ihre letzte Gehaltsabrechnung niedriger ausfiel als erwartet und schaltete einen Gewerkschaftsjuristen ein. Dr. Onur Ocak ist für die Verdi tätig und kontaktierte den damaligen Geschäftsführer zweier Harley-Davidson-Geschäfte in Köln und Bonn, versicherte, im Auftrag der ehemaligen Mitarbeiterin zu agieren – jedoch ohne eine anwaltliche Vollmacht mitzuschicken, wie es üblich wäre.
Daraufhin reagiert Kierdorf: „Möglicherweise ist das in dem Land, aus dem Sie stammen ja üblich, eine Vollmacht lediglich zu versichern; hier in unserem Land ist das nicht so.“ Wenn Ocak tatsächlich Jurist ist, wisse er das auch, so Kierdorf. Dort, woher er stamme – diese Formulierung wird Kierdorf zum Verhängnis: Die Sache verbreitet sich in Rekordgeschwindigkeit im Netz.
„So rede ich halt“, erklärt Georg Kierdorf gegenüber TE. Mit Rassismus habe das nichts zu tun: „Genauso würde ich mit einem aus Düsseldorf reden.“ Dass seine Aussage nach hinten losging, merkte er schnell: Dr. Ocak entschied sich drei Tage später, am 15.11.2021, das Antwortschreiben Kierdorfs auf Social Media zu veröffentlichen. „Wenn er Anwalt wäre, dürfte er das gar nicht“, meint Kierdorf dazu – und tatsächlich ist die ungeschwärzte Veröffentlichung so nicht haltbar. Offiziell wird Ocak auch nur als „Rechtsassessor“ bei Verdi geführt.
Zu dieser Zeit brach ein Sturm über den Kölner herein. Zunächst, so Kierdorf, sei ein Schwall von schlechten Google-Bewertungen seiner Harley-Shops ins Haus gekommen. Anklagen wie „ein ganz brauner Haufen“ machten ihn stutzig – er vermutete eine „Kampagne“ Ocaks und wendete sich erneut an den Verdi-Mann. Sollte er hinter einer solchen Kampagne stehen, sagte Kierdorf, könne er sich sicher sein, „nicht nur seine Anwaltszulassung zu verlieren“. „Sollte jemand als Angehöriger eines rechtspflegenden Berufes zu Vergehen wie Verleumdung anstiften, muss er mit entsprechenden rechtlichen Konsequenzen rechnen“, erklärt der Unternehmer gegenüber TE.
Ocak hingegen interpretiert Kierdorfs Brief – ob böswillig oder nicht – als eine Bedro-hung im Sinne des Strafgesetzbuches. So stellt er es zumindest am nächsten Tag auf seinem Twitter-Account und auch gegenüber einer Spiegel-Journalistin dar, die ihn nach der Veröffentlichung kontaktiert.
Zu diesem Zeitpunkt weiß Kierdorf noch nicht einmal, dass Ocak sein erstes Schreiben veröffentlicht hat. Doch Ocak und der Spiegel-Artikel vom 16. November stellen ihn plötzlich als einen bedrohenden Rassisten dar. Was folgt, ist eine exponentielle Eskalation. In den Büros gingen Anrufe nach Anrufen ein: „Rassisten, Schweine“, sei der Ton gewesen, erzählt Kierdorf. „Man würde uns den Laden anstecken.“
Noch heute würden seine Mitarbeiter ähnliche, verunglimpfende Anrufe bekommen. Ein „Klimacamp“ kündigt sich bei der Stadt an, will vor einer von Kierdorfs Niederlassungen protestieren. Schnell identifiziert die Polizei die Veranstalter jedoch als Vertreter der Leipziger Antifa. Kierdorf hatte eine „Kampagne“ hinter den schlechten Google-Bewertungen vermutet – jetzt ist zweifelsohne eine da.
Herrn Ocak, angeblich Bedrohungs-Opfer, ging es dabei anscheinend sehr gut. Öffentlich diskutiert er, der auch Politiker für Die Linke ist, seine Motivationen im Umgang mit dem Harley-Händler. Eine Anzeige wegen Beleidigung gegen Kierdorf sei ihm „zu banal“, führt er auf Facebook aus: „Wenn die die Medienberichterstattung überleben, haben wir noch ein paar andere Pfeile im Köcher.“ Ein schlechtes Gewissen, dass wegen ihm 50 Jobs wegfallen könnten, hat der Gewerkschafter nicht, erklärt er stolz in einem Video auf Instagram – er kündigt sogar „volle Breitseite“ an. Diese Breitseite geht anscheinend sogar so weit, dass völlig Unbeteiligte ins Visier von Ocak und dem Antifa-Mob geraten: Ein Antifa-Aktivist veröffentlicht Name und Bild eines Mitarbeiters von Kierdorf, der mit der ganzen Situation gar nichts zu tun hat. Er schreibt, „dieser Oberrassist“ dürfe „nie wieder einen Fuß auf den Boden kriegen“.
„Meine Mitarbeiter fühlen sich bedroht und verunsichert“, beschreibt Kierdorf die Situation. In Folge des Spiegel-Artikels wird der Konzern Harley-Davidson mit der Darstellung seines Vertragshändlers Kierdorf als rassistischem Bedroher konfrontiert – der Konzern lässt ihn fallen. Man distanziert sich von Kierdorf, bald folgt die Kündigung beider Händlerverträge, 50 Jobs hängen in der Schwebe. Dass, wie Ocak formulierte, „die die Medienberichterstattung überleben“, scheint an diesem Punkt unwahrscheinlich. Später erklärt der Verdi-Jurist, die Mitarbeiter täten ihm leid – Mitleid, welches wenn überhaupt, erst nach der „vollen Breitseite“ gegen zwei Betriebe aufgekommen sein wird.
Die beleidigenden Anrufe, die Verunglimpfung von Kierdorf und seinen Mitarbeitern: Das alles scheint System gehabt zu haben, wirkt wie „Pfeile im Köcher“ eines Kampagnenmachers. „Es geht um Existenzvernichtung, nichts anderes“, meint der Betroffene dazu. Der Rassismus-Vorwurf sei weltfremd: „Ich bin seit vielen Jahren in der Flüchtlingshilfe tätig, mein bester Freund ist Afghane, ich beschäftige Griechen, Araber, Türken und Weißrussen“, erzählt er gegenüber TE. Tatsächlich ist Kierdorf in seiner Heimat Köln ehrenamtlich tätig, ist unter anderem Kuratoriumsmitglied bei einem Verein, der sich auch um minderjährige, unbegleitete Flüchtlinge kümmert.
Mittlerweile hat Kierdorf einen juristischen Erfolg einfahren können: Vergangene Wo-che hat das Oberlandesgericht Frankfurt die fristlose Kündigung der Händlerverträge für rechtswidrig erklärt. Vorerst kann er seine Betriebe fortführen. Die linksradikale Kampagne gegen den Unternehmer wirkt derweil wie Selbstjustiz – und wie ein persönlicher Rachefeldzug, für den der Gewerkschaftsjurist sogar Arbeitsplätze zu opfern bereit ist.
Kierdorf selbst geht es gut. Im Gespräch strahlt er zumindest die typische Kölner Gelassenheit aus. Wie schnell es im Zeitalter von Cancel Culture und politischer Korrektheit mit Existenzvernichtung gehen kann, hat er jetzt gelernt – „naiv“ habe er die Formulierung „da, wo sie herkommen“ gewählt, meint er. Wie rücksichtslos der Mob agieren kann, bleibt als bittere Erfahrung zurück – dass man es wegen eines unbedarften, falsch verstandenen Satzes gezielt auf Vernichtung von Existenzen anlegt, schockiert den Rheinländer.
So ist der Fall ein Paradebeispiel für Cancel Culture – das im moralischen Furor in der Zerstörung von Existenzen endet. Schulterzuckend wird hingenommen, nicht nur Kierdorf selbst, sondern auch 50 Mitarbeitern während Corona die wirtschaftliche Existenzgrundlage zu nehmen. Weil sich Ocak beleidigt gefühlt hat. Ein Held der Arbeiterklasse ist er wahrlich nicht.