Tichys Einblick
Nachruf

Hans Zehetmair ist tot: Einer der letzten großen Kultusminister

Einen von seinem Kaliber sucht man in der Riege der 16 deutschen Kultus-, Schul- und Wissenschaftsminister seit rund zwei Jahrzehnten eher vergeblich. Nun ist er im Alter von 86 Jahren gestorben: Hans Zehetmair (1936 – 2022).

Hans Zehetmair, Empfang im Landratsamt Erding anlässlich seines 80. Geburtstags, 20.11.2016

IMAGO / Stephan Görlich

Hans Zehetmair stammt aus der Familie eines Handwerkers und Landwirts im oberbayerischen Kreis Erding. Die Schulzeit verbrachte er am humanistischen Domgymnasium im nahegelegenen Freising. Deren Schulprofil hat den jungen Zehetmair so geprägt, dass er selbst alte Sprachen und Germanistik studierte. Von 1964 bis 1974 kehrte er denn auch als Lehrer an das Domgymnasium zurück.

Dann begann bald Zehetmairs steile und vielfältige politische Karriere, die hier nur in Stichworten angegeben sei: 1974 bis 1978 und erneut 1990 bis 2003 Mitglied des Bayerischen Landtags für die CSU, 1978 bis 1986 Landrat des Landkreises Erding. Von 1986 bis 2003 folgten 17 Ministerjahre unter drei verschiedenen Ministerpräsidenten: Franz Josef Strauß (1978 – 1988), Max Streibl (1988 – 1993) und Edmund Stoiber (1993 – 2007). Für die Jahre von 1993 bis 1998 machte ihn Stoiber zum Stellvertretenden Ministerpräsidenten.

Wechselhaft waren seine Ministerposten. Mal war er „nur“ Schulminister (1986 – 1989), mal Doppel-Minister für Schule, Wissenschaft und Kunst (1990 – 1998), dann „nur“ Minister für Wissenschaft und Kunst (1998 – 2003). Die Trennung bzw. Zusammenführung dieser zwei großen Ressorts war nicht Zehetmairs Kalkül, sondern des Machtkalküls zweier Ministerpräsidenten. Franz Josef Strauß wollte 1986 Hans Maier loswerden, deshalb teilte er das Kultusministerium im Wissen, dass Maier das nicht mitmache und seinen Hut nehme. Anders motiviert war Stoiber, der das große Kultusministerium 1998 wiederum teilte, um die Strauß-Tochter Monika Hohlmeier als Schulministerin in den Ministerrang zu hieven.

Bildungspolitisch hat der Freistaat Zehetmair einiges zu verdanken. Dass die Bayern bis zum heutigen Tag bei allen innerdeutschen und internationalen Leistungsstudien vorne dran sind, hat mit Zehetmairs Festhalten am leistungs- und begabungsorientierten gegliederten Schulwesen zu tun. Davon zehrt der Freistaat heute noch. Ob die Schulpolitik in Deutschland und im Freistaat Bayern anders gelaufen wäre und so manchen kardinalen Fehler vermieden hätte, wäre Zehetmair über 2003 hinaus im Amt gewesen: Man kann nur spekulieren. Jedenfalls wäre es ihm im Gegensatz zu Schulministerin Hohlmeier und deren Nachfolger Schneider nicht in den Sinn gekommen, das erfolgreiche neunjährige Gymnasium – obendrein konzeptionslos – zum „G8“ zu amputieren.

Zehetmair zeigte sich im Laufe seiner politischen Karriere gleichwohl gelegentlich durchaus flexibel. Die Abiturkompromisse der Kultusministerkonferenz (KMK), wo er als Sprecher der CDU/CSU-geführten Länder fungierte, waren nicht immer die anspruchsvollsten. Allerdings hatte das auch damit zu tun, dass die Unions-Minister in der KMK zahlenmäßig und fachlich nicht immer die stärksten waren. Zu den Fehlern, die Zehetmair in späteren Jahren selbst einräumte („Wir hätten sie nicht machen sollen“), zählt die Rechtschreibreform, deren größte Ungereimtheiten er als Vorsitzender des Rates für deutsche Rechtschreibung von 2004 bis 2014 abzumildern suchte. Über seine Ministerzeit hinaus war Zehetmair außerdem von 2004 bis 2014 als Vorsitzender der Hanns-Seidl-Stiftung tätig. Seine Verdienste wurden außer mit zahlreichen Orden unter anderem mit mehreren Ehren-Doktor-Titeln und dem Titel eines Honorarprofessors der TU Moskau gewürdigt.

Persönliche Begegnungen

Wer wie ich mit Hans Zehetmair von 1986 bis kurz vor seinem Tod politisch und auch persönlich zu tun hatte, der erlebte einen jovialen, durchaus spitzbübischen, aufgeschlossenen, geradlinigen, manchmal direktiven und gelegentlich nicht uneitlen Menschen, einen unerschütterlichen Föderalisten, einen Förderer von 1860 München (im Gegensatz zum Bayern-Fan Stoiber) – einen Mann, der sich freilich im Laufe der Jahre vom streng konservativen zum liberalen Geist wandelte. Man war jedenfalls immer beeindruckt von Zehetmairs kulturellem Hintergrund und von seiner druckreifen Rhetorik. Hier konnte sich Zehetmair vor allem in den Jahren 1998 bis 2002 als Minister für Wissenschaft und Kunst ausleben und profilieren: als Chef von Museen, Bühnen, Opernhäusern …

Wir sind uns – wie man so sagt – immer über den Weg gelaufen: 1987 riet er mir, für das Amt des Präsidenten des Deutschen Lehrerverbandes zu kandidieren. Es sind daraus für mich 30 Jahre in diesem Ehrenamt geworden. Zehetmair selbst hat diesen Rat an mich nie bereut, auch wenn wir regelmäßig (siehe Abiturpolitik, Rechtschreibreform) aneinandergeraten sind. Und er hat mir, dem Bayern, 1995 zugeraten, den Ruf des damaligen CDU-Spitzenkandidaten Manfred Kanther anzunehmen, nämlich mit dem damaligen Bundesinnenminister zusammen in Hessen zur Landtagswahl 1995 in einem „Schattenkabinett“ anzutreten. Es ist aufgrund der Landtagswahl vom 19. Februar 1995 knapp nichts daraus geworden (49,2 Prozent rot-grün versus 46,6 Prozent schwarz-gelb), sonst hätte es in der KMK eine durchaus dynamische Achse Bayern–Hessen gegeben.

Nach Zehetmairs Ausscheiden aus dem Ministeramt haben wir dann auf der Plattform der Hanns-Seidl-Stiftung manche Tagung zusammen bestritten. Und regelmäßig besuchte er mich im Direktorat meines Gymnasiums, wenn er an einem Freitagmittag zwei seiner Enkel, die Schüler meiner Schule waren, nach Hause abholte. Da die zwei jungen Leute nicht Zehetmair hießen, sondern den Namen der Zehetmair-Tochter trugen, konnte ich fast bis zu deren Abitur meiner Schule inklusive Lehrerkollegium verbergen, dass es Zehetmair-Enkel waren. Schließlich sollten die beiden eine unbeschwerte Schulzeit erleben – ohne Vorteile und ohne Nachteile.

Nun ist Johann Baptist Zehetmair am 28. November nach längerer Krankheit im Haus seiner Tochter im oberbayerischen Neumarkt St. Veit gestorben. Er folgt damit vier Monate nach dem Tod seiner Frau Ingrid, mit der er 61 Jahre verheiratet war und mit der er drei Kinder, acht Enkel und zwei Urenkel hatte.


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