Es sind widerliche, grausame Bilder, die seit gestern soziale Netzwerke fluten: Terroristen der Hamas greifen mit Drohnen Krankenwagen an, dringen mit Maschinengewehren um sich schießend in israelische Wohngebiete ein, nehmen Geiseln, entführen junge Frauen in den Gazastreifen, erschießen Feiernde auf einem Open-Air-Festival, massakrieren Zivilisten und trampeln johlend auf den Leichen der Ermordeten herum – unterdessen wird ein entführtes Kleinkind von palästinensischen Kindern umringt, verspottet und bedrängt. Eine verstörende Brutalität, die nicht von Journalisten ans Licht gezerrt werden muss, weil sie Teil der islamistischen Propagandamaschinerie ist. Sie wird ganz bewusst von den Tätern festgehalten und zum Teil sogar inszeniert: Die Mörder dokumentieren einen Gutteil ihrer Verbrechen selbst auf Videos und Fotos, und veröffentlichen sie. Sie wollen Angst und Schrecken verbreiten, um ihre Anhänger in der muslimischen Welt zu animieren und zu begeistern, und nicht zuletzt, um Israel zu provozieren.
Ein großangelegter Terrorakt, mit Bedacht genau fünfzig Jahre nach dem Überfall auf Israel durch Ägypten und Syrien am Jom Kippur 1973, dem höchsten jüdischen Feiertag: Mit diesem Anschlag sind viele Glaubenssätze in sich zusammengestürzt. Der vom unüberwindlichen Iron Dome, vom hermetisch abgeriegelten Gazastreifen, vom allen überlegenen Mossad. Blitzartig wurde der Weltöffentlichkeit vor Augen geführt, unter welchem Druck, unter welch tödlicher Gefahr der Staat Israel Tag um Tag seine demokratische Struktur aufrechterhält, seine Bürger schützt. Ein Augenblick der Unachtsamkeit, ein aus welchem Grund auch immer unentdeckt gebliebener Angriff: Wenn Israel scheitert, führt dies nicht zu einer Befreiung „Palästinas“, sondern umgehend zu Szenen, die wir von Genoziden kennen. Israel verliert nicht Gebiete, seine Bevölkerung wird ausgelöscht, wenn es nicht die Oberhand behält.
Ein Sachverhalt, der in Deutschland Fragen aufwirft. Der deutschsprachige Teil der Social-Media-Plattform X (vormals Twitter) nahm sich denn auch wie ein aufgescheuchter Ameisenhaufen aus. Wohlfeile Medienkritik – es sollte selbstverständlich sein, dass Medien an Standards der Überprüfung und Verifizierung festhalten müssen, und daher keineswegs so schnell informieren können, wie Hamas-Terroristen, die ihre Taten umgehend ins Netz stellen – mischte sich mit Solidaritätsaufrufen und Blockwart-Reflexen: Haben sich muslimische Verbände schon geäußert? Was „posten“ sonst prononciert pro-palästinensische Personen? Wie immer wird hier Hilflosigkeit mit Agitation kompensiert – vollkommen nachvollziehbar. Und bei aller Aufregung sind die Fragen, die hier gestellt werden, dringend zu beantworten! Schon kurz nach den Angriffen verteilten in Neukölln propalästinensische Gruppen Süßigkeiten an Passanten – um die bestialische Barbarei zu feiern, die nur wenige Flugstunden von uns entfernt Menschen ereilte, die sich zum Ende des Laubhüttenfestes auf das ausgelassene Freudenfest Simchat Torah vorbereitet hatten, und nun in einem Albtraum aufwachten, der an die Gräuel des IS gemahnte.
Nicht nur auf europäische Integrationspolitik, auch auf die Migrationskrise wirft dieser Vorfall ein düsteres Licht: Denn auch in Flüchtlingslagern auf europäischem Boden jubelten Menschen angesichts der Nachrichten aus Nahost. Eine mehr als unangenehme Gemengelage, der sich die Politik nun Stück für Stück stellen muss, nicht eingerechnet der globalen Situation: Wie wirkt sich dieser Terrorakt auf die Friedensbemühungen zwischen Israel und Saudi-Arabien aus? Werden die Saudis nur in Worten oder auch in Taten die Bestrebungen der Hamas unterstützen? Wie wird die Hisbollah agieren, und welche Rolle spielte der Iran, ohne den eine Aktion dieses Ausmaßes niemals hätte bewerkstelligt werden können? Eine brandgefährliche Situation, und nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine ein weiterer Hinweis auf die Umwälzung der Weltordnung, wie wir sie kennen.
Und schließlich ist das, was die Hamas als Triumph feiert, für Deutschland und Europa in doppelter Hinsicht ein Warnruf: Der Firnis der Zivilisation ist dünn. Er kann jederzeit brechen. Der Mensch ist zur Barbarei fähig. Nach außen wie nach innen muss der Verrohung der Menschen Einhalt geboten werden. Das Selbstverständnis des Westens als Kraft, die zumindest anstrebt, die Fähigkeit zum Guten zu kultivieren und zu implementieren, die sich der Menschenverachtung entgegenstellt, ist ein Ideal, das in Gänze unerreichbar ist. Dass wir es gerade deshalb nicht aufgeben dürfen, sollte nach dem 7. Oktober 2023 jedem Europäer klar sein. Es ist Zeit für einen gesellschaftspolitischen Paradigmenwechsel.