Tichys Einblick
Energiepolitik

Habecks Schlingerkurs: Nun doch Braunkohle?

Gibt Robert Habeck seinen Schlingerkurs nicht auf und drückt sich davor, die richtigen Entscheidungen zu treffen, ist irgendwann die Regierung weg. Trifft er die richtigen Entscheidungen und verabschiedet sich von den Lebenslügen der Grünen – Windkraft statt Atomenergie –, dann ist die Partei weg.

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck

IMAGO / photothek

Gegenwärtig erleben wir das Rendezvous der Bundesregierung mit der Realität, das Ringen der Utopie mit der Wirklichkeit, den Versuch, die Macht des Faktischen mit den kontrafaktischen Träumereien irgendwie in Einklang zu bringen. Ende März, da hatte der Krieg längst begonnen und war die prekäre energiepolitische Situation offenbar geworden, versuchte Robert Habeck noch, die Ostländer für einen früheren Kohleausstieg zu gewinnen. Am 1. April schaltete RWE passend zur Energiekrise den 540 Gigawatt Block in Neurath ab, fast gleichzeitig setzte Robert Habeck Stufe eins des dreistufigen Gasnotfallplanes in Kraft. Der Chef der Bundesnetzagentur Müller glaubte, mit der durchaus realistischen Warnung vorsorgen zu müssen: „Es ist leider nicht völlig auszuschließen, dass wir Entscheidungen treffen müssen, die furchtbare Konsequenzen für Unternehmen, für Arbeitsplätze, für Wertschöpfungsketten, für Lieferketten, für ganze Regionen haben.“

Um in dieser Situation die Diskussion über die Kernkraft gar nicht erst aufkommen zu lassen, inszenierte Robert Habeck eine „Vorprüfung“, doch wurden die Fachleute, weder die Gesellschaft für Reaktorsicherheit (GRS) noch die Reaktor-Sicherheitskommission (RSK), in die Prüfung einbezogen. Die Aussage, dass der Weiterbetrieb der noch verbliebenen drei Kernkraftwerke im kommenden Winter 2022/23 nicht helfen und mit „höchsten Sicherheitsbedenken“ verbunden wäre, ist schlicht falsch, stammt aber vielleicht von den „Fachleuten“ von Greenpeace, vom Verband WindEnergie oder dem „Thinktank“ Agora Energiewende.

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Stattdessen entwickelt Habeck einen hektischen Aktivismus in Sachen Flüssiggas, das uns teuer zu stehen kommen wird. Wissenschaftliche Studien belegen inzwischen, dass Flüssiggas auch nicht „klimafreundlich“ ist, denn bei der Verbrennung wird auch hier CO₂ frei. Rechnet man noch den Transport von Flüssiggas hinzu – schließlich werden die schweren Tanker weder vom Sonnenlicht angetrieben noch haben sie Segel gesetzt, um sich vom Wind über das Meer tragen zu lassen –, dann sieht die Klimabilanz von Flüssiggas erheblich schlechter als die der heimischen Braunkohle aus. Doch scheint das Interesse von Robert Habeck und seinen Klimakriegern nicht eben hoch zu sein, Wissenschaft zur Kenntnis zu nehmen, zu sehr hat man sich wohl an ideologisch motivierte Zusammenfassungen und an Studien gewöhnt, die vor allem studiert haben, was der Auftraggeber lesen will.

Die Situation ist inzwischen so kritisch, dass der Wirtschaftsminister nun doch in Erwägung zieht, Braunkohle zu nutzen. Nach einem Bericht der FAZ plant die Bundesregierung, die Sicherheitsbereitschaft für fünf verbliebene Kohlekraftwerksblöcke der Betreiber RWE und Leag mit einer Leistung von 1,9 Gigawatt zu verlängern. Im Wirtschaftsministerium überlegt man, die noch laufenden Anlagen nicht vom Netz zu nehmen und abgeschaltete Kohlekraftwerke wieder zu reaktivieren. Für Erleichterung scheint gesorgt zu haben, dass Neurath sich noch in der Reserve befindet.

Offensichtlich spielt hier auch der Druck der Ostländer eine Rolle. So äußerte sich Brandenburgs Wirtschaftsminister Jörg Steinbach (SPD) gegenüber der FAZ: „Ich habe mich beim Bundeswirtschaftsministerium dafür eingesetzt, dass die Sicherheitsbereitschaft der zwei Blöcke in Jänschwalde, die in diesem und im nächsten Jahr ausläuft, verlängert wird, damit man im Falle von Engpässen darauf zurückgreifen kann.“

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Am 23. März beschloss die Ampel: „Wir wollen den Gasverbrauch in der Stromerzeugung kurzfristig reduzieren, indem wir möglichst die Kohlekraftwerke länger in der Sicherheitsbereitschaft halten.“ Ein Problem besteht allerdings darin, dass nach einer Klage der den Grünen nahestehenden Deutschen Umwelthilfe das Verwaltungsgericht Cottbus die Stilllegung des zu Jänschwalde gehörenden Tagebaus verfügt hat. Laut Brandenburgs Wirtschaftsminister hängt an Jänschwalde „die Wärmeversorgung der Region, insbesondere der Stadt Cottbus.“ Allerdings wiegelt Steinbach konditionalisiert ab, wenn er sagt: „Nach den heute mir bekannten Informationen ist die Leag nicht auf den Tagebau in Jänschwalde angewiesen.“ Verräterisch ist die Einschränkung: „nach den heute mir bekannten Informationen“.

Die Merkel-Regierung hatte in ihrer energiepolitischen Geisterfahrt 2016 den Betreibern der Kohlekraftwerke 2016 für nicht genutzte Blöcke eine Entschädigung von 1,6 Milliarden zugesagt. So scheint die Stilllegung eines Blockes fast lukrativer zu sein als das Betreiben des Kraftwerks.

Sinnvoll ist es natürlich, den hiesigen Rohstoff Braunkohle zu nutzen und mittelfristig die Kernkraft auszubauen und weiterzuentwickeln. Dass Windenergie die Lösung sei – mit Blick auf ihre Saisonabhängigkeit, ihre Unplanbarkeit, ihre Flächenversiegelung, ihre Förderung der Trockenheit und vor allem ihre enorme Artenvernichtung –, ist eine einträgliche Lebenslüge, von der Deutschland sich besser heute als morgen verabschiedet. Doch wie soll Habeck das seiner Windmacherpartei erklären?

Im Grunde steht er zwischen Baum und Borke. Es ist ein altes Wort: In Gefahr und Not/bringt der Mittelweg den Tod. Gibt Habeck den Schlingerkurs nicht auf und drückt sich davor, die richtigen Entscheidungen zu treffen, ist irgendwann die Regierung weg; trifft er die richtigen Entscheidungen und verabschiedet sich von den Lebenslügen der Grünen: Windkraft statt Atomenergie, dann ist die Partei weg.

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So spielt Habeck auf Zeit in der Hoffnung, dass der Krieg bald endet und man im Übergang zum Wunder der erneuerbaren Energien doch noch zu einem Mix aus Braunkohle, amerikanischen Frackinggas und Erdgas aus Katar, nebst einem nach außen zähneknirschend akzeptierten Import von russischem Erdgas kommt. Denn wenn der Krieg vorbei ist, wird man auf die eine oder die andere Weise mit Russland reden und zu einem rationalen Verhältnis kommen müssen. Und da bisher immer die Geschäfte die Welt einte, wird sich ein Weg finden lassen.

Die Grünen und die von den Grünen betriebene Bundesregierung hoffen, dass der Spuk, womit der Krieg gemeint ist, bald aufhört und sie sich wieder vollkommen der Tagesordnung der Großen Transformation widmen können. Der Krieg wird enden, doch der „Spuk“ wird damit nicht vorbei sein, weil er nämlich kein Spuk ist, sondern der erste Akt im Entstehen einer neuen Weltordnung. Die Grünen haben den Anschluss an die Zeit verpasst, sie sind ideologisch in den frühen Achtzigern stecken geblieben. Auch wenn sie ständig neue Kleider anprobieren, steckt in den Kleidern doch der alte Geist – selbst wenn er das Geschlecht zu wechseln glaubt.

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