Tichys Einblick
Lizenz zum Lügen erteilt

Habecks skandalöser Umgang mit der Wahrheit

Der Skandal um den Atomausstieg zeigt exemplarisch, wie Robert Habeck und sein engster Führungszirkel mit der Wahrheit und der ihnen übertragenen Verantwortung umgehen. Fest steht nun, dass der Wirtschaftsminister keine Konsequenzen für sein Fehlverhalten zu befürchten hat.

picture alliance / dts-Agentur |

So wie James Bond die Lizenz zum Töten erhielt, hat die CDU Robert Habeck die Lizenz zum Lügen erteilt. Obwohl die Abschaltung der AKWs einer der größten Skandale der Bundesrepublik ist, ist der vielleicht noch größere Skandal, wie dieses beispiellose Fehlverhalten des Bundeswirtschaftsministers und seiner Entourage von Regierung und Opposition, insoweit es die Scheinopposition der Union betrifft, wie dieses skandalöse Agieren zum Nachteil der deutschen Bürger vertuscht wird.

Nun steht fest, dass Robert Habeck keine Konsequenzen für sein Fehlverhalten zu befürchten hat. Auch wenn der Bundeswirtschaftsminister einen Bundestagsausschuss belügt, kümmert es weder die Regierungsparteien noch die Union. Im Ausschuss für Energie und Klima sagte Robert Habeck am 26. April zum Atomausstieg, die Betreiber hätten ihm mitgeteilt, dass die Brennstäbe für den Weiterbetrieb der drei noch verbliebenen AKWs „ausgelutscht“ seien und vor Herbst 2023 nicht mit einer Lieferung neuer Brennstäbe zu rechnen sei, und dass die Betreiber Mitte 2022 erst ihre Ansicht geändert hätten.

Habeckgate
Hat Robert Habeck im Bundestagsausschuss für Klima und Energie gelogen?
TE hatte am 30. April dargestellt, dass Robert Habeck nicht die Wahrheit sagt, denn am 2. März hatte EnBW bereits mit einem internen Schreiben dem Bundeswirtschaftsministerium mitgeteilt, dass die „Unterstützung der Versorgungssicherheit mit Kernenergie in den Wintern durchaus möglich“ ist. Es müssten nur sofort Brennelemente bestellt werden. In dem Schreiben stellte EnBW klar: „Die Anlagen befinden sich, auch im internationalen Vergleich auf höchstem sicherheitstechnischem Niveau. Der Weiterbetrieb könnte daher auf diesem hohen sicherheitstechnischen Status quo erfolgen.“ Auch schlug EnBW die Streckung der Brennelemente vor, die Leistung der Kraftwerke im Sommer und Herbst zu drosseln, um dann mit den vorhandenen Brennelementen über den Winter 2022/23 Strom zu produzieren. Die Bundesregierung erkundigte sich bei dem US-Hersteller von Brennstäben Westinghouse nach den Lieferfristen. Westinghouse stellte eine Lieferfrist von 6 Monaten in Aussicht.

Die neuen Brennstäbe wären also vor dem Winter 2022/23 eingetroffen, im September oder Oktober. Da sich die Bundesregierung jedoch nicht mehr meldete, mahnte Westinghouse: „Das Zeitfenster schließt sich nun schnell, eine Anfrage müsste rasch erfolgen.“ Am 9. März 2022 unterbreitete via Mail ein Fachbeamter des Kernenergie-Referats II A 6, das nicht mehr existiert, den Vorschlag, sich an die Franzosen zu wenden, weil die für ihre 58 Reaktoren mit Sicherheit eine Brennelemente-Reserve vorhalten würden. Doch Christian Maaß, enger Vertrauter von Patrick Graichen und Chef der Abteilung II „Wärme, Wasserstoff und Effizienz“, mailte brüsk am 9. März 2022 um 15.52 Uhr: „Bitte abschließend regeln, keine weiteren Aktivitäten in Richtung Brennelementebeschaffung aus unserem Haus nötig.“

Jetzt stellt sich heraus, dass nicht nur EnBW, sondern auch Eon Anfang März 2022 das Bundeswirtschaftsministerium davon in Kenntnis setzte, dass ein Streckbetrieb seines AKWs, das die Tochter PreussenElektra betrieb, möglich sei. Der frühere Aufsichtsratsvorsitzende von Eon, Karl-Ludwig Kley, kritisiert den Prüfvermerk des Bundeswirtschafts- und Bundesumweltministeriums vom 7. März 2022, laut dem eine Laufzeitverlängerung der Kernkraftwerke nicht empfohlen wurde, weil „deren 4,4 Gigawatt Kraftwerksleistung keinen relevanten Beitrag zur Energieversorgung leisten würden. Und zweitens, dass aufgrund der regulatorischen und technischen Hindernisse die Laufzeitverlängerung gar nicht möglich sei.“

Energiekonzerne widersprechen Darstellung
Robert Habeck hat gelogen - und die ganze Welt weiß es
Kley dazu: „Mit Verlaub, beides ist Unsinn.“ Denn, so Kley, 4,4 Gigawatt sind eine außerordentlich relevante Menge … die Stromkosten wären auch niedriger ausgefallen.“ Denn „Kernkraftwerke produzierten Strom für knapp unter zwei Cent pro Kilowattstunde (kWh), Gaskraftwerke mit gewissen Schwankungen für ungefähr das Zehnfache.“ Nach dem Merit Order System bestimmt immer die teuerste Variante der Stromherstellung den Strompreis. Kley fügt zum Problem der Brennstäbe hinzu: „Der Betrieb im Winter 2022/23 konnte ohne frische Brennelemente erfolgen – was er dann ja auch während der dreimonatigen Verlängerung tat.“

Eon hatte genau wie EnBW dem Habeck-Ministerium klargemacht, dass der Weiterbetrieb keine technische, sondern eine rein politische Frage sei. „Technisch würde Eon alles möglich machen, die politische Entscheidung müsse aber einzig und allein auf der Ebene der Bundesregierung fallen. Je früher sie fiele, desto besser wäre es. Denn in Vorleistungen würde Eon nicht treten. Diese Position wurde den beteiligten Ministerien gegenüber vielfach kommuniziert“, so Kley.

Habecks Behauptung, die Betreiber hätten hinsichtlich des Streckbetriebs und der Brennstäbe Mitte des Jahres ihre Meinung geändert, entspricht also nicht der Wahrheit. Hat Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck das im Ausschuss des Bundestages behauptet, hat er die Bundestagsabgeordneten, die Volksvertreter belogen und das Parlament missachtet. Das spielt offensichtlich weder für die Ampel-Parteien noch für die scheinoppositionelle Union eine Rolle.

Doch im Sommer und im Herbst 2022 spitzte sich die Frage der Energiesicherheit zu. Im September schrieb ich daher auf TE: „Zusätzliches Gas wird aus Norwegen nicht kommen, aus Katar und Kanada wird überhaupt kein Gas angeliefert. Ludwig Möhring, Geschäftsführer des Bundesverbands Erdgas, Erdöl und Geoenergie, schätzte in einem Interview im August ein, dass mit ‚ernsthaft großen Mengen an LNGs wahrscheinlich nicht vor 2027‘ zu rechnen ist.“ Es war vollkommen unklar, wie man über den Winter kommen wollte, woher das LNG kommen sollte. Es gab nur die Lösung, die AKWs am Netz zu lassen. Doch auch jetzt suchte das Habeck-Ministerium nach einer gesichtswahrenden Lösung. Damals schätzte ich ein: „Es ist klar, Robert Habeck steht zwischen Baum und Borke. Entscheidet er sich gegen die AKWs, ist die Regierung weg, verlängert er die Laufzeiten der AKWs, ist die Partei weg. Am 9. Oktober wird in Niedersachsen gewählt.“ Außerdem stand der Parteitag der Grünen vor der Tür.

Regierungspartei ohne Ämter
Bisher ist die CDU still – Schützt sie Robert Habeck?
In dieser Situation kam der famose Graichen auf die noch famosere Idee, die AKWs in eine Einsatzreserve zu überführen, das heißt, man fuhr sie zwar herunter, nahm sie aber für den Fall der Fälle noch nicht vom Netz. Das Dumme ist nur, wie ich damals schrieb, „in der Vorstellung, zwei AKWs in Reserve zu halten, drückt sich perfekt Habecks Vorstellung von der Wirtschaft als einer Glühlampe aus. Mittels eines Schalters lasse sie sich an- und ausschalten.“ Den Plan, den sich Habeck und Graichen so schön ausgedacht hatten, dass die AKWs offiziell heruntergefahren werden, aber im Notfall gleich wieder hochgefahren werden konnten, war technisch unmöglich und mit den Betreibern, beispielsweise mit PreussenElektra nicht abgesprochen.

Laut Welt war „aus Unternehmenskreisen zu hören, dass das Ministerium erst wenige Stunden vor der offiziellen Verkündung erstmals den Plan mit den Reserve-AKW offenbart habe“. Auf die konkrete Frage der Berliner Zeitung an das Bundeswirtschaftsministerium (BMWK), „ob das Ministerium die AKW-Betreiber über die Pläne für eine ‚Einsatzreserve‘ informiert hat, bevor das Vorhaben am Montagabend vorgestellt wurde“, antwortete das BMWK nur grundsätzlich. „Ich kann bestätigen, dass es vor der Verkündung der Entscheidung Gespräche mit den Betreibern der Kraftwerke gab.“ Man bleibt also bewusst vage. „Die Idee einer Einsatzreserve wurde den Energiekonzernen nach Informationen der Berliner Zeitung jedoch bis Montag nicht vorgestellt“, schreibt die Berliner Zeitung weiter.

Patrick Graichen unterstellte nun PreussenElektra, den falschen Eindruck hervorzurufen, als sollten die AKWs flexibel hoch- und runtergefahren werden. „Ziel ist es, dass ein Abruf der Reserve mit ausreichendem Vorlauf erfolgt und dann bei einem Abruf auch durchgehend, bis längstens Mitte April, in Betrieb bleiben.“ Die Bundesnetzagentur sollte durch ein „Monitoring“ frühzeitig feststellen, ob sich die Lage so verschlimmert, dass die AKWs zur Stabilisierung des Stromnetzes hochgefahren werden müssen. Klingt gut, aber was heißt das konkret? In Graichens Vorstellung scheint der Chef der Bundesnetzagentur zum Bundeswetterhellseher aufzusteigen, denn letztlich ist die einzig wirklich unbekannte Größe in der Rechnung: das Wetter.

Atomausstieg
AKW-Files: Wenn Manipulation und Mauschelei zur Normalität erklärt wird
Jetzt bestätigt Karl-Ludwig Kley, was TE im September bereits geschrieben hatte, dass ein Stresstest im Herbst 2022 gezeigt habe, dass für die Sicherheit der Stromversorgung die Kernkraftwerke noch gebraucht werden würden. Die Leute vom Bundeswirtschaftsministerium „bogen daraufhin mit dem Konzept der Kernkraftwerke als Einsatzreserve um die Ecke, sie also je nach Bedarf ein- oder auszuschalten. Ein Kernkraftwerk ist aber kein Toaster. Da dem Ministerium diese Idee nicht auszureden war, blieb nichts anderes übrig, als einen Brief zu schreiben. Dann war der Plan schnell vom Tisch. Und Herr Habeck erläuterte später dazu, Eon hätte seine Idee bloß falsch verstanden“, so Kley. Bloß falsch verstanden eben.

Durch die Anwendung seiner Richtlinienkompetenz hatte der Bundeskanzler dann den Streckbetrieb durchgesetzt, um die Stromversorgung über den Winter zu sichern, mit der Robert Habeck und seine Vertrauten va banque gespielt hatten.

Jetzt versucht Robert Habeck wieder, die Öffentlichkeit zu täuschen, indem er sich für den Erfolg feiern lassen will, dass seine Politik die Energieversorgung billiger und sicherer gemacht habe. Das Gegenteil ist die Wahrheit. Wir gehen einer Zukunft unsicherer Stromversorgung entgegen, weil auch die Zunahme an volatiler erneuerbarer Energien die Re-Dispatch-Leistungen, um die Grundlast zu garantieren, verkompliziert. Der Energiepreis durch die billigeren AKWs wäre tiefer gefallen, und er ist gefallen, weil die EEG-Umlage von der Rechnung des Endkunden genommen wurde. Als Nebeneffekt der Deindustrialisierung ist zudem der Stromverbrauch gesunken.

Ein Aspekt des Skandals um den Atomausstieg zeigt sich darin, dass er exemplarisch zeigt, wie Robert Habeck und sein engster Führungszirkel mit der Wahrheit und der ihnen übertragenen Verantwortung umgehen.

Anzeige
Die mobile Version verlassen