Wenige Tage vor Weihnachten startete der Co-Vorsitzende der Grünen, Robert Habeck, mit der Forderung, mehrere tausend Kinder aus den Flüchtlingslagern in Griechenland nach Deutschland zu holen, einen ersten Testballon, um zu sehen, wie sich das asylpolitische Klima in der deutschen Öffentlichkeit inzwischen darstellt. Er wollte feststellen, ob dieses Klima angesichts der desolaten Lage der Asylbewerber in Griechenland schon reif dafür ist, mit Blick auf den kommenden Bundestagswahlkampf die „Willkommenskultur“ vom Herbst 2015 wiederzubeleben.
Damals blitzte er bei den drei Regierungsparteien (CDU/CSU/SPD) noch weitgehend ab, sieht man einmal davon ab, dass sich einzelne Politiker der SPD, allen voran der niedersächsische Innenminister Boris Pistorius, gleich mit an die Spitze von Habecks Vorstoß setzten.
Beide wollten schon damals der hinter den Grünen, der SPD und der Linken stehenden Asyllobby aus Kirchen, NGO’s, Unternehmen und Verbänden sowie ihren mit dieser Lobby eng verbundenen Wählern signalisieren, dass ihre Parteien jederzeit bereit sind, die Türen über den Asylweg nach Deutschland wieder zu öffnen, sollte der Migrationsdruck Richtung Europa wieder zunehmen. An das der Kanzlerin von einigen Politikern der Union mühsam abgerungene öffentliche Versprechen, eine Massenzuwanderung via Asyl wie 2015/2016 nicht mehr zuzulassen, sehen sich weder die Grünen noch die SPD gebunden, von der Linken ganz zu schweigen. Gleichzeitig übten aber auch sie sich seit dem Offenkundigwerden zahlreicher negativer Folgewirkungen ihrer „Willkommenskultur“ und der daraus resultierenden skeptischen bis ablehnenden Haltung breiter Bevölkerungsschichten gegen ihre Politik der „Weltoffenheit“ in einer gewissen asylpolitischen Vorsicht und Zurückhaltung.
Der asylpolitische Fokus der grün-roten Asyllobby verlagerte sich in der Folge weg von allen „Schutzsuchenden“ hin zu den „besonders Hilfsbedürftigen“, wohl wissend, dass Artikel 16 des Grundgesetzes eine solche Unterscheidung aus guten Gründen nicht kennt und Artikel 16a die Asylgewährung für alle Asylbewerber, unabhängig vom Alter und Geschlecht und sonstigen Merkmalen, untersagt, soweit sie über einen sicheren Drittstaat nach Deutschland eingereist sind. Ihre Forderungen richteten sich demgemäß auf die „Seenotrettungs“-Schiffe im Mittelmeer und die Migrantenlager in Libyen, von wo sie über den sicheren Drittstaat Italien nach Deutschland gebracht werden sollen.
Einen zunächst unerwarteten, dafür aber umso mehr geschätzten Mitstreiter fand die grün-rote Asyllobby in dem einstigen Kritiker und Gegner der von der Kanzlerin in Gang gesetzten, grenzenlosen und rechtsbrüchigen Asylpolitik, Innenminister Horst Seehofer. Dieser hatte zwischenzeitlich einen erstaunlichen Sinneswandel vollzogen und wollte plötzlich zum Beispiel von seinen Forderungen, Migranten aus sicheren Drittstaaten nicht mehr nach Deutschland einreisen zu lassen, nichts mehr wissen. Nach einigem Hin und Her mit den Innenministern anderer EU-Staaten erklärte er sich vielmehr bereit, einen Teil der im Mittelmeer von privaten „Seenotrettern“ aufgegriffene Migranten über Italien als Asylbewerber nach Deutschland zu holen.
Hierbei handelt es sich mehrheitlich um junge Männer aus afrikanischen Ländern, die unabhängig von Artikel 16a des Grundgesetzes mehrheitlich ohnehin keinen Anspruch auf Asyl haben, da sie aus einem sicheren Herkunftsland kommen.
Der deutsche Innenminister macht sich so zum Vollstrecker der vom ehemaligen Vorsitzenden des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, in einem Interview mit der Welt vom 07. März kritisierten „Erosion des Rechtsstaats“. Humanität, auf die sich Seehofer bei seinen asylpolitischen Entscheidungen gerne beruft, kann laut Papier „nur im Rahmen von Verfassung, Gesetz und Recht praktiziert werden, nicht gegen sie.“ Genau dies geschieht jedoch spätestens seit dem Herbst 2015 und ebenso genau auf die Fortführung dieser Praxis zielt die grün-rote Asyllobby mit ihren Forderungen ab, die Asylmigration sowohl aus sicheren Drittstaaten wie auch aus sicheren Herkunftsländern auszuweiten.
Ihr Wunsch, die Türen nach Deutschland unter anhaltender Umgehung geltenden Rechts zusätzlich zu der ohnehin täglich stattfindenden Sekundärmigration aus der EU wieder möglichst weit zu öffnen, erfüllte sich im Falle der „Seenotrettung“ auf dem Mittelmeer bislang freilich nur in geringem Maße. Zu wenige private „Seenotretter“ bewegen sich auf dem Mittelmeer, um auch nur annähernd an die Größenordnungen der Jahre 2015/2016 heranzukommen. Die evangelische Kirche will deswegen demnächst mit einem eigenen „Seenotrettungs“-Schiff dafür sorgen, dass die Zahl der über diesen Weg bislang nach Deutschland verbrachten Asylbewerber wenigstens etwas ansteigt. Auch dies entspricht aber nicht den Größenvorstellungen der grün-roten Asyllobby, die sich angesichts der Millionen über den Asylweg nach Europa und Deutschland strebenden Migranten in ganz anderen Dimensionen bewegen.
Erdogans Vorstoß, den Asylweg nach Europa über Griechenland mit Gewalt wieder frei zu machen, bietet der Asyllobby nun unverhofft eine Chance, die Türen nach Deutschland nach dem Motto „steter Tropfen höhlt den Stein“ noch ein Stück weiter aufzustoßen, als es auf dem Mittelmeer schon gelungen ist. Habeck und Baerbock haben diese Chance deswegen sofort am Schopf ergriffen und die Bundesregierung angesichts der desaströsen Lage an der türkisch-griechischen Grenze und den griechischen Lagern erneut aufgefordert, fünftausend Kinder aus Griechenland nach Deutschland zu holen. Nachdem sie im Bundestag mit dieser Forderung zunächst noch gescheitert sind, hat der Koalitionsauschuss der GroKo, in dem neben Vertretern der Exekutive auch die Parteivorsitzenden der drei Koalitionspartner vertreten sind, inzwischen beschlossen, bis zu 1.500 Minderjährige aus den griechischen Lagern in Deutschland aufzunehmen.
Offiziell begründet wird dieser Beschluss, wie schon im Herbst 2015, mit einer humanitären Notlage – damals aller in Ungarn gestrandeten Asylbewerber, jetzt (vorerst noch) nur der Minderjährigen. Deren Notlage zwinge dazu, sie unter erneuter Umgehung des geltenden Rechts und der im Jahr 2016 mit der Türkei getroffenen Vereinbarung als Asylbewerber nach Deutschland zu holen. Wieder sprang Innenminister Seehofer der grün-roten Asyllobby zur Seite, als im Vorfeld dieses Beschlusses innerhalb der Union deutlicher Widerspruch gegen eine solche Maßnahme laut wurde. Er übernahm gleichsam die Interessenvertretung für Robert Habeck im Koalitionsausschuss, dem die Grünen als kleinste Oppositionsfraktion gar nicht angehören. Habeck wird zusammen mit seiner Co-Vorsitzenden Baerbock nach außen nun zwar kommunizieren, die 1.500 Minderjährigen seien viel zu wenige, innerlich aber triumphieren, dass er der Asyllobby und den mit ihr verbundenen Wählern zeigen konnte, dass nicht nur die beiden Vorsitzenden der SPD, sondern auch die Vorsitzenden der Grünen sich im Koalitionsausschuß für ihre Interessen einzusetzen wissen, obwohl sie darin gar nicht vertreten sind. So zeigt man seinen parteipolitischen Wettbewerbern, wo der Hammer hängt.
Ziemlich blamiert steht dagegen Markus Söder da, der wenige Stunden vor dem Treffen des Koalitionsausschusses, an dem auch er teilnahm, die Union noch zum Kampf gegen die Grünen um das Kanzleramt aufgerufen hat. Wenn die Ergebnisse dieses Kampfes darin bestehen, daß die Union die grüne Forderung, 5000 Minderjährige zu holen, wie in einem arabischen Bazar auf 1500 Minderjährige herunterhandelt, dann dürfte es um dessen Erfolg bei den Wählern ziemlich schlecht bestellt sein. Die Befürworter von Habecks Forderung unter den Unionswählern werden demnächst wohl eher ihn und nicht die herzlosen „Krämerseelen“ der Union wählen; und die Befürworter einer Rückkehr zum geltenden Recht in der Asylpolitik werden, sollte sich Seehofers asylpolitische Linie angesichts des vermutlich noch wachsenden türkischen Drucks auf Griechenland und die EU, weiter durchsetzen, demnächst entweder nicht mehr zur Wahl gehen oder die AfD wählen, solange sie noch nicht verboten ist.