Noch am Montag hatte Robert Habeck verkündet, dass die Kraftwerke Isar 2 bei Landshut in Niederbayern und Neckarwestheim in Baden-Württemberg in die Reserve gehen sollen, um bis Mitte April als Reserve zur Verfügung zu stehen, falls es zu einem Strommangel kommen sollte. Auf der Pressekonferenz erklärte der Wirtschafts- und Energieminister, dass die beiden Kernkraftwerke genutzt werden könnten, „wenn es die Situation gebiete“. Am wichtigsten war Habeck die Feststellung, am Atomausstieg festzuhalten: „Das heißt auch: Alle drei derzeit in Deutschland noch am Netz befindlichen Atomkraftwerke werden planmäßig Ende 2022 regulär vom Netz gehen. Am Atomausstieg, wie er im Atomgesetz geregelt ist, halten wir fest. Neue Brennelemente werden nicht geladen und Mitte April 2023 ist auch für die Reserve Schluss.“
Die sattsam bekannte Deutsche Umwelthilfe empörte sich, dass Habecks Entscheidung die Tür „für eine noch gefährlichere Laufzeitverlängerung der veralteten und gefährlichen deutschen Atomreaktoren, die niemals kommen darf“, geöffnet habe und der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) phantasierte über einen „gesellschaftlichen Konsens zum Atomausstieg“, den Robert Habeck aufgekündigt hätte. Die Welt kommentierte: „Habeck lässt den großen Hebel ungenutzt liegen, den die vier Gigawatt deutscher Atomkraft auf einen extrem knappen Strommarkt haben würden.“
Nun wird bekannt, dass die Geschäftsführung der Preussen Elektra, die das Kernkraftwerk Isar 2 betreibt, sich am Dienstag mit einem Brief an den für energiepolitische Fragen zuständigen Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium, Patrick Graichen, der zudem ein enger Vertrauter Habecks ist, gewandt hat. Preussen Elektra bestätigt, so wie der Stresstest es auch ergeben hatte, dass der Versorgungsbeitrag der drei Kernkraftwerke erforderlich sei, aber die Idee, sie in einen Reservebetrieb zu schicken, um sie bei Bedarf wieder hochzufahren, technisch nicht möglich wäre.
In dem Schreiben von Guido Knott, dem Chef von Preussen Elektra, das dem Spiegel vorliegt, heißt es: „Zwei der drei laufenden Anlagen zum Jahreswechsel in die Kaltreserve zu schicken, um sie bei Bedarf hochzufahren, ist technisch nicht machbar und daher ungeeignet, um den Versorgungsbeitrag der Anlagen abzusichern.“ Knott verwies darauf, dass dem Ministerium seit dem 25. August bekannt ist, dass „ein flexibles Anheben oder Drosseln der Leistung nicht mehr möglich ist“. Offensichtlich hat Habeck die technischen Einwände ignoriert oder schlichtweg nicht verstanden. Außerdem machte Knott geltend, dass sein Unternehmen keine Erfahrungswerte mit einem solchen Verfahren besitze und deshalb ein „Austesten einer noch nie praktizierten Anfahrprozedur nicht mit einem kritischen Zustand der Stromversorgung zusammenfallen sollte“. Allerdings habe sich die Preussen Elektra auf einen Weiterbetrieb vorbereitet, um in der Ausnahmesituation einen Beitrag zur Stromversorgung leisten zu können. Mit den bereits vorhandenen Brennstäben sei es möglich, über vier Terrawattstunden zu produzieren und eine gesicherte Leistung von bis zu 1.400 Megawatt für die Netzbetreiber zur Verfügung zu stellen.
Lebt man im Habeck-Ministerium von der Hand in den Mund? Ist dort Zeitgewinn alles? Versucht man sich nur durchzumogeln, bis eines Tages durch ein Wunder sich plötzlich so viele Windräder im stets verfügbaren Wind drehen, dass Deutschland seinen Energiebedarf durch die „Freiheitsenergien“ (Lindner) decken kann? Habecks Traum könnte freilich schneller in Erfüllung gehen, als man denkt, wenn die Insolvenz- und die Abwanderungswelle energieintensiver Industrie Deutschlands Energiebedarf drastisch reduzieren haben wird.
Es hat doch folgenden Anschein: Im Wirtschaftsministerium wird ein Notfallkonzept erstellt, das man dann nicht verstehen würde, wenn man annimmt, dass es im Notfall auch zum Einsatz kommt.