Bisher konnte man davon ausgehen, dass die PCK-Raffinerie in Schwedt nur zu circa 54 Prozent ausgelastet ist, also nicht allzu wirtschaftlich läuft. Grund: die reduzierte Lieferung von Rohöl. Das setzte das Bundeswirtschaftsministerium in der Öffentlichkeit immer stärker unter Druck. Nun überraschte die dpa mit der Meldung: „Nach dem Importstopp für russisches Pipeline-Öl bekommt die PCK-Raffinerie Schwedt nach Angaben aus Regierungskreisen inzwischen genug Ersatz für eine Auslastung von 70 Prozent. Entsprechende Ölmengen kämen per Tanker über Rostock und den polnischen Hafen Danzig in die Anlage in Brandenburg, erfuhr die Deutsche Presse-Agentur aus dem Bundeswirtschaftsministerium.“
Seit Mitte vorigen Jahres, seitdem klar ist, dass man kein russisches Erdöl mehr importieren möchte, setzt das Bundeswirtschaftsministerium auf ein Verwirrspiel – ist nichts an der Causa Schwedt transparent und verifizierbar.
Mit der nassforschen Ankündigung der sich als Weltinnenministerin verstehenden Annalena Baerbock in Riga im April 2022: „Wir werden bis zum Sommer das Öl halbieren und bis Ende des Jahres bei null sein“, wurde ohne Not die Groteske um das PCK Schwedt eröffne. Es handelt sich um „eine der erfolgreichsten europäischen Raffinerien, die jährlich 1,5 Milliarden Euro Energiesteuer und 500 Millionen Umsatzsteuer bezahlt und die seit Jahren Millionenbeträge in Umwelt- und Sicherheitstechnik investiert hat“, wie die Landrätin der Uckermark, Karina Dörk (CDU) das Unternehmen beschrieb. Da das PCK das Erdöl, aus dem die Raffinerie Benzin, Kerosin, Diesel, Heizöl und Bitumen herstellt, durch die Pipeline Drushba aus Russland bezog – circa 11 Millionen Tonnen im Jahr– stellt sich die Frage, woher diese Mengen kommen sollen, wenn nicht aus Russland.
Habecks famoser Plan, den er in Schwedt verkündete, sah vor, dass Erdöl in Großtankern nach Rostock und Danzig verschifft und von dort durch Pipelines nach Schwedt gepumpt wird. Nur besitzt der Rostocker Hafen nicht die Voraussetzungen für Großtanker. Zur Not, versuchte Habeck zu beruhigen, stünde noch die nationale Erdölreserve in Wilhelmshaven zur Verfügung, die für drei Monate reicht. Der Mühe auszurechnen, ob es logistisch überhaupt möglich ist, diese Mengen an Erdöl über die Straße und über die Schiene von Wilhelmshaven nach Schwedt zu transportieren, hat sich vermutlich im Bundeswirtschaftsministerium niemand unterzogen. Auch hat wohl niemand über die Frage nachgedacht, was nach den drei Monaten geschieht.
Von Erdöl aus Kasachstan sprach damals noch niemand. Habeck versuchte, mit den Polen zu einer Einigung zu kommen, denn die Lieferungen über Danzig würden über die Pipeline von Danzig nach Plock und von Plock über die Drushba nach Schwedt erfolgen. Die Vereinbarung mit Polen, von der Habeck seit Frühjahr 2022 sprach, stand dann endlich am 1.12.2022, obwohl Deutschland die grundsätzliche Forderung zumindest zur Hälfte erfüllt hat, die Anteile des Hauptgesellschafters Rosneft Deutschland (RDG) (54,17 Prozent), der auf polnischen Wunsch hin enteignet werden sollte, unter die Treuhand des Bundes zu stellen – genauer: unter die von dem Grünen-Mitglied Klaus Müller geleiteten Bundesnetzagentur, die immer stärker zum Exekutor von Habecks Verstaatlichungswünschen wird.
Polen wünscht die Enteignung von Rosneft auch deshalb, damit der staatsnahe Energiegigant PKN Orlen in Schwedt einsteigen kann. Der Vorstandsvorsitzende von PKN Orlen, Daniel Obajtek, gilt nicht nur als PiS-nah, sondern als „politischer Zögling Jarosław Kaczyńskis“, wie es in Wikipedia mit Bezug auf einen polnischen Pressebericht heißt. Wenn PKN Orlen in Schwedt einsteigt, macht sich Deutschland also von der polnischen Regierung abhängig.
Die Vereinbarung zwischen Deutschland und Polen, die Habeck und Kellner in den Himmel heben, ist jedoch nicht das Papier wert, auf dem sie steht, sie stellt lediglich eine unverbindliche Deklaration dar und verpflichtet zu nichts. Mehr existiert bis heute nicht.
Dass das PCK seit dem 1. Januar 2023 offiziell kein russisches Erdöl mehr verarbeitet, beruht auf einer Selbstverpflichtung Deutschlands, denn die Einfuhr von Erdöl über Pipelines ist vom Embargo, das die EU beschlossen hat, ausgeschlossen, heißt: trotz Öl-Embargo der Europäischen Gemeinschaft hätte das PCK in Schwedt auch im Januar weiterhin Erdöl aus Russland durch die Drushba beziehen dürfen.
Während Deutschland freiwillig im Januar nach eigenem Bekunden kein russisches Erdöl mehr über die Drushba-Pipeline importiert hat, kaufte Polen 500.000 Tonnen Erdöl. Insgesamt sollen es, wie man hört, bis zum Frühjahr 3 Millionen Tonnen Erdöl werden, die Polen importiert. PKN Orlen soll sogar einen Vertrag mit einem russischen Erdölkonzern bis 2024 besitzen, wie die Lausitzer Rundschau berichtet. Begründet wird es damit, dass Polen diese Mengen benötigt und dass sonst Vertragsstrafen fällig werden würden, wenn es diese wohl bereits vereinbarten Mengen nicht abnimmt. Wenn das stimmt, stellen sich allerdings drei Fragen an Brandenburgs Wirtschaftsminister Steinbach:
- Braucht Ostdeutschland, braucht das PCK kein russisches Erdöl? Vermag das brandenburgische Wirtschaftsministerium durch eine Art reiner Geistzeugung die bisher fehlenden circa 6 Millionen Tonnen Erdöl (auf das Jahr berechnet) erschaffen?
- Muss Deutschland im Gegensatz zu Polen keine Vertragsstrafe bezahlen?
- Ist Polen deshalb weniger solidarisch mit der Ukraine?
Steinbach erweckt ohnehin in seinem hilflosen Agieren den Eindruck, als ob er Hauptabteilungsleiter in Habecks Ministerium wäre, statt Wirtschaftsminister des Landes Brandenburg, dessen Interessen er wahrzunehmen hat. Dabei wusste er bereits vor der Treuhandstellung der Rosneft-Anteile vom PCK, wie leichtfertig die Causa Schwedt in Habecks Ministerium und von dessen Beauftragten Kellner gehandhabt wird. Noch Anfang September drohte die brandenburgische Landesregierung, aus der gemeinsamen Taskforce zur Zukunft der Raffinerie auszusteigen, weil nichts voranging. Ntv berichtet, dass „Brandenburg … zuvor in einem Brief an Habeck bereits moniert“ hatte, dass „verlässliche und schriftliche Aussagen des Bundes, wie der Standort gesichert und die Folgen des Embargos abgefangen werden könnten“, fehlten.
Das Bundeswirtschaftsministerium lieferte zwar nicht, schuld sollten aber nicht Habeck und Kellner sein, sondern diejenigen, die Resultate verlangten. So pampte der sich unverstanden fühlende Habeck in einem Brief an die Finanzministerin Brandenburgs, Katrin Lange, und an den brandenburgischen Wirtschaftsminister Jörg Steinbach: „Offensichtlich sind Sie nicht umfänglich über den neuesten Stand informiert. Es liegt Ihrer Landesregierung ein Vorschlag über ein umfängliches Transformationsprogramm vor, mit dem wir den Standort in der schwierigen Lage unterstützen und Arbeitsplätze sichern wollen … Der Ball liegt also in Ihrem Feld, und wir würden uns sehr über eine konstruktive Zusammenarbeit freuen.“
Am 11. August sagte Katrin Lange dem Tagesspiegel: „Ich habe mich nie grundsätzlich gegen Sanktionen ausgesprochen. Aber ich stelle mir zwei Fragen: Wirken die Sanktionen? Und welche Folgen haben sie für uns? Das sind sehr legitime Fragen. Ja, mit dem einseitigen Boykott russischen Pipeline-Öls hadere ich. Denn davon hängt die Zukunft der PCK-Raffinerie in Schwedt und die Versorgung in Ostdeutschland ab.“ Lange hatte vollkommen zu Recht angemerkt – und war dafür in die Kritik geraten: „Deswegen wird man schon einmal innehalten und fragen müssen, ob ein ‚Weiter so‘ hier wirklich der richtige Weg ist, zumal die Kosten und Schäden für uns selbst, für Gesellschaft, Wirtschaft und die Bürger immer höher werden.“
In der Sache war man nicht weitergekommen, noch immer fehlte ein tragfähiges Konzept, nur die Landesregierung, nur Woidke und Steinbach scheinen vor Habeck und Kellner eingeknickt zu sein. Das Bundeswirtschaftsministerium gab am 16. September 2022 bekannt, dass die Rohölimporteure Rosneft Deutschland (RDG) und die RN Refining & Marketing GmbH unter die Treuhandverwaltung der Bundesnetzagentur gestellt werden. Das bedeutet, dass die Bundesnetzagentur die Kontrolle über Rosneft Deutschland und damit auch die jeweiligen Anteile an den Raffinerien in Schwedt (PCK), Karlsruhe (MiRo) und Vohburg (Bayernoil ) übernimmt.
Die Wahrheit ist, die Hängepartie hat begonnen. Der Standort ist nicht gesichert und die Zukunft schon gar nicht. Am 7. Dezember 2022 sagten Landtagsabgeordnete im Wirtschaftsausschuss, dass Kellners Äußerungen „nicht wirklich viel Neues gebracht hätten“ und, „dass das BMWK 25 Tage vor dem Embargo keine Antworten habe, stattdessen werde davon fabuliert, dass die Versorgungssicherheit irgendwie gewährleistet werde“.
Am liebsten fabulierte Kellner von einem Tanker, der in Danzig anlegen würde. Doch weder in der Öffentlichkeit, noch im Ausschuss redete Kellner Klartext, gab konkrete Auskünfte, sondern berief sich auf Betriebsgeheimnisse. In gleicher Weise verhielten sich auf Presseanfragen von TE das PCK, die Bundenetzagentur als Treuhänder des Mehrheitsgesellschafters, Shell, das Bundeswirtschaftsministerium und das Wirtschaftsministerium des Landes Brandenburg.
Aus unterschiedlichen Presseberichten, Gesprächen und Protokollen des Wirtschaftsausschusses des Landtages von Brandenburg ergibt sich folgendes, grobes Bild: Tanker von Rosneft mit Erdöl für das PCK wurden in Danzig nicht entladen, dafür wohl in Rostock. Weil aber die Schiffe zu groß für den Rostocker Hafen sind, wurde das Öl teilweise auf See entladen, sodass der Tanker mit der Restmenge, der nun leichter war, im Hafen gelöscht werden konnte. Der Tanker, den Shell geordert hatte, wurde zwar in Danzig entladen, aber mit großer Verzögerung.
Fakt ist, dass die Pipeline von Danzig nach Plock nicht die Größe besitzt, die Raffinerien Schwedt, Leuna und Plock vollständig zu beliefern. Die französische Firma Total, die die Raffinerie in Leuna betreibt, hat dem Vernehmen nach rechtzeitig mit den polnischen Partnern Entladungs- und Transportkapazitäten vereinbart.
Die Liefersituation für Erdöl sieht in Schwedt momentan so aus: Die Versorgung über Danzig ist kompliziert und äußert störanfällig. In Schwedt und Potsdam hofft man sehr auf Erdöl aus Kasachstan, doch das käme durch die Drushba-Pipeline, Russland, Belarus und Polen müssten das als Transitländer genehmigen. Auch wenn in der letzten Woche wohl eine Delegation in Kasachstan war, wie man aus dem Landtag hört, existieren keine Verträge und natürlich keine Durchleitungsvereinbarungen. Steinbach hofft, Ostern alles in trockenen Tüchern zu haben.
Wenn man wirklich die Raffinerie erhalten will, bleibt mittelfristig nur, den Hafen von Rostock für Tanker auszubauen und eine zweite Pipeline von Rostock nach Schwedt zu verlegen. Doch diesem realistischen Plan hat das Bundeswirtschaftsministerium eine Absage erteilt. Ich habe von Anfang an vermutet, dass Habeck und Kellner nicht an der Verarbeitung von Erdöl interessiert sind, sondern Schwedt zur Spielwiese ihrer Wasserstoff-Utopien machen – für den größten Teil der Raffinerie könnte das allerdings das Aus bedeuten. Die finanziellen Versprechungen stehen teils auf wackligen Beinen, denn die Staatshilfen könnte Brüssel als verbotene Beihilfen klassifizieren und verbieten. Fraglich ist zudem, ob überhaupt schon in Brüssel Fördergelder beantragt wurden.
EUGAL und OPAL sind zwei Pipelines, die nicht von Rostock, sondern von Greifswald/Lubmin nach Sachsen und Tschechien und nach Südwestdeutschland führen und früher das über Nord Stream 1 und 2 gelieferte Erdgas in den Süden transportierten. Beide Pipelines müssten allerdings umgebaut werden, denn man kann sie nicht einfach „umwidmen“, da Wasserstoff ganz andere Eigenschaften als Erdgas hat.
Zur Stunde existiert kein wasserstofffähiges Kraftwerk und es ist keine vollwasserstofffähige Turbine im Angebot. Woher die Mengen an grünem Wasserstoff kommen sollen, die gebraucht werden, ist auch noch völlig unklar. Aus Südamerika? Aus Namibia? Nach Habecks und Kellners Träumen soll sich Deutschland vollständig abhängig machen von politisch instabilen Staaten im Süden Afrikas und in Südamerika.
Die Versionen, die über die Versorgung des PCK mit Rohöl und über die Zukunft des PCK in Umlauf gebracht werden, mögen die Seiten des großen Wasserstoff-Buches zu füllen. Doch sie erwecken den Eindruck, dass hier eher etwas ver-, denn erklärt werden soll.