Tichys Einblick
Willkommen im grünen Disneyland

Die Grünen riskieren mit ihrem Anti-Kernkraft-Dogma die Energiesicherheit

Der Konflikt um den Weiterbetrieb der Kernkraftwerke spitzt sich zu. Ihre irrationalen Argumente offenbaren, in welchem Paralleluniversum die Grünen leben – und dass Deutschland täglich mehr zu einem großen grünen Schilda wird.

Blick auf das Atomkraftwerk Emsland mit Kühlturm

IMAGO / Sven Simon

Im zeitigen Frühjahr hatte ich bereits mit einem überschaubaren Mitgefühl über Robert Habecks Dilemma, zwischen der Lebenslüge der Grünen und einer notwendigen Entscheidung wählen zu müssen, geschrieben: Wenn Habeck sich für den Weiterbetrieb der drei AKWs entscheidet, ist die Partei weg, wenn er sich dagegen entscheidet, ist die Regierung weg. Zugegeben, die Formulierung ist auf die Spitze getrieben, aber sie beschreibt Habecks Konflikt zwischen Wunsch- und Realpolitik. Selbst ihm dürfte klar sein, dass auch der Streckbetrieb der drei AKWs nicht ausreichen dürfte, sondern dass er weitere Kernkraftwerke hochfahren muss.

Insofern haben die Parteikader, die gegen die Laufzeitverlängerung Sturm laufen, an dem Punkt sogar recht, dass die Verlängerung letztlich den Ausstieg aus dem Ausstieg aus der Kernenergie bedeuten würde. Doch auch in Europa bläst dem Wirtschafts- und Energie-, und ach ja Klimaminister der Wind inzwischen kalt ins Gesicht, denn niemand, nicht einmal seine grünen Freunde in Frankreich und anderen Ländern verstehen, weshalb Deutschland stur am Atomausstieg festhält, der mit Blick auf die CO2-Emissionen kontraproduktiv ist.  

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Parteikonkurrentin Annalena Baerbock ist bereits auf Distanz zum zaudernden Robert Habeck gegangen, indem sie erklärt hat, dass sie den Weiterbetrieb der Kernkraftwerke für „irrsinnig“ hält. Ob Baerbock, die einst dem Ausschuss des Bundestages für Wirtschaft und Energie angehörte, zu ihrer Irrsinns-Aussage nun von der inzwischen sprichwörtlichen Inkompetenz in Energiefragen, aus innerparteilicher Konkurrenz, aus Schmusen mit dem Parteiestablishment – oder weil es ihr schlichtweg egal ist, so wie es ihr egal ist, was ihre Wähler denken – verleitet wurde, bleibt dahingestellt. Dass Deutschland aus der Ukraine, die für Baerbock noch vor ihren Wählern kommt, Atomstrom kaufte, während sie die Laufzeitverlängerung von AKWs in Deutschland als „irrsinnig“ bezeichnet, fällt ihr nicht als kognitive Dissonanz auf. 

Es scheint jedenfalls, dass Robert Habeck den eigentlich überflüssigen „Stresstest“ verlängert, um über die Niedersachsen-Wahl zu kommen oder um den Streckbetrieb zeitlich zu verschleppen oder um genügend Rückenwind der Öffentlichkeit gegen die eigenen Parteifunktionäre zu generieren. Doch momentan nutzt Habecks Spiel auf Zeit den Hardlinern der Partei. Jürgen Trittin, der einst versicherte, dass die Energiewende einen deutschen Haushalt im Monat an Mehrkosten nicht mehr verursachen wird als das, was eine Kugel Eis kostet, läuft bereits Sturm gegen einen möglichen Weiterbetrieb und droht mit einer Entscheidung auf dem Parteitag über diese Frage.  

Mitte Oktober soll nun dieser Parteitag stattfinden. Inzwischen hat die Stahlhelmfraktion der AKW-Gegner mobil gemacht und einen Antrag formuliert, den nach Kenntnis des Redaktionsnetzwerks Deutschland (RND) bisher 98 Antragsteller signierten. Die Unterzeichner stellen klar: „Wir fordern den Bundesvorstand, die Bundestagsfraktion und die Bundesregierung auf, an dem Ausstiegsdatum 31. Dezember 2022 für die letzten drei Atomkraftwerke in Deutschland festzuhalten.“ Zur Begründung führen sie das übliche Amalgam grüner Mythen und falscher Behauptungen auf. Ob Atomenergie eine Hochrisikotechnologie ist, ist letztlich eine Frage der Risikodefinition, doch dass Atomkraft weder für die Deckung von Strom- noch von Wärmelastspitzen einsetzbar wäre, trifft einfach nicht zu.

Der Physiker Ulrich Waas bewies am Beispiel des Kernkraftwerks Neckarwestheim 2, dass „Kernkraftwerke in Deutschland … seit über 15 Jahren regelmäßig zum Ausgleich von schwankenden Leistungen im sogenannten Lastwechselbetrieb gefahren“. Ulrich Waas kommt zu dem Schluss: „Deutlich erkennbar wurde zum Ausgleich der Schwankungen im Angebot von Sonne und Wind die Leistung des Kraftwerks im Tagesrhythmus rauf- und runtergefahren, und zwar bis zu einer Spanne von gut 50 Prozent. Wie kann es sein, dass eine Bundesregierung international behauptet, es ginge etwas technisch nicht, was seit Jahren in Deutschland regelmäßig und erfolgreich praktiziert wird? Die Fachwelt in den EU-Ländern hat nur den Kopf geschüttelt.“ 

Vielleicht sollte man nicht allzu streng sein und etwas Verständnis dafür aufbringen, dass in einer Partei von Studienabbrechern kein enges Verhältnis zur Physik gepflegt werden kann. Die Behauptung, dass auch das Entsorgungsproblem nicht gelöst sei, ist in mehrfacher Hinsicht schlicht falsch, nur weil in Deutschland ein ideologisch zuverlässiger, aber fachfremder Beamter den Eindruck erweckt, dass Entsorgungsproblem zu behindern. 

Mariana Mazzucato
Die Frau, deren Wirtschaftsvorstellungen Robert Habeck umsetzen will
So nimmt beispielsweise 2023 in Finnland das Endlager Onkalo den Betrieb auf. „Der Vergleich mit Finnland in der Realisierung eines Endlagers“, schreibt Waas, „drängt die Frage auf, welche Faktoren in Deutschland zu dem Rückstand in dieser Frage geführt haben. Kann es sein, dass manche Gegner der Kernenergienutzung die Realisierung eines Endlagers auf die lange Bank schieben wollten, da sie die Behauptung ‚Kein Endlager in Sicht‘ als stärksten Hebel für die von ihnen politisch gewollte Abschaltung aller Kernkraftwerke sahen?“ Dass die Atomkraft insgesamt „unwirtschaftlich“ ist, werden mit Sicherheit die Ukrainer, die Franzosen, die Belgier, die Ungarn, die Slowaken den deutschen Grünen nicht bestätigen, denn unwirtschaftlich ist der Betrieb von AKWs mit Sicherheit nur dann, wenn in die Rechnung der Gemeinwohlfaktor oder Wohlgefühlfaktor der grünen Seele eingefügt wird. 

Die Antragsteller lehnen übrigens auch den Streck- oder Weiterbetrieb der drei AKWs bis zum Frühjahr ab, weil der „allenfalls einen geringen Beitrag für diesen Winter leisten“ würde, „weil der Gasmangel vornehmlich ein Wärme- und kein Stromproblem darstellt“. Deshalb wurde auch im Juli mehr Gas verstromt als in den Vormonaten. Man sieht, wie glaubensstark die grüne Seele ist, wenn sie tatsächlich den Unfug, dass wir kein Strom-, sondern nur ein Wärmeproblem haben, weitervertritt, obwohl die Behauptung allerorten nur noch Spott hervorruft. Aber klar, für Grüne kommt der Strom aus der Steckdose, das Gemüse wächst im Biomarkt und grüner Stahl aus Deutschland ist Weltmarktführer. Berichte über die Inflation in Deutschland sind nur Fake News der extremen Rechten, um die gute grüne Regierung mit den gelben Schafen zu delegitimieren. 

Nichts zeigt besser als diese Posse, in welchem Paralleluniversum die Grünen leben – und dass Deutschland täglich mehr zu einem großen grünen Schilda wird. Wie würde Robert Habeck wahrscheinlich sagen? Fakten waren gestern, gewöhn’ dich dran, Alter. 


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