Tichys Einblick
Es wird immer nebulöser

Patrick Graichen antwortet Preussen Elektra – Heillos verirrt im Nebel der Ideologie

Ob die Idee, von Missverständnissen zu reden, von Graichen oder von Habeck stammt, sei dahingestellt. Aber der Staatssekretär fühlt sich selbstredend falsch verstanden und unterstellt Preussen Elektra, den falschen Eindruck hervorzurufen, dass die AKWs flexibel hoch- und runtergefahren werden sollen.

Staatssekretär Patrick Graichen und Bundesminister Robert Habeck, Berlin, 05.09.2022

IMAGO / Chris Emil Janßen

Vielleicht ist Patrick Graichen ja auch der Chef von Robert Habeck. Und Robert Habeck, der es liebt, Sachverhalte zu erklären, die er selbst noch nicht ganz verstanden hat, der Kommunikator, der Verkäufer von Graichens Ideen. Vielleicht erzielt er beim Publikum auch deshalb eine so große Wirkung, weil er zuallererst sich selbst zu erklären versucht, was er allen mitzuteilen hat. So befinden sich zumindest Sprecher und Hörer, um eines der unsinnigen Lieblingsworte der Woken zu benutzen, auf Augenhöhe. Jedenfalls war der inzwischen verbeamtete Staatsekretär Patrick Graichen zuvor Chef der Lobby-Organisation Agora Energiewende, die gemeinhin Denkfabrik genannt wird.

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Zum Geschäftsfeld dieser „Denkfabrik“ gehört es, Konzepte für die Energiewende zu erstellen und das Networking für die Energiewende zu betreiben. Es kann nicht schaden, an dieser Stelle zu erwähnen, dass die Voraussetzung für die Energiewende in der Abhängigkeit von russischem Erdgas besteht. Wenn die grüne Regierung und selbst ihr Bundeskanzler behauptet, dass die CDU die Schuld an Deutschlands Energiekrise trage, weil sie – und jetzt kommt die kabarettistische Einlage – die sogenannten erneuerbaren Energien, also Christian Lindners „Freiheitsenergien“, nicht genügend ausgebaut und den Ausbau sogar noch gebremst habe, ist das natürlich undankbar. Scholz hat wohl inzwischen auch vergessen, dass er der Regierung Merkel angehört hatte.

Vor allem aber ist es nur die typische Reaktion, die zur Grundausstattung eines Grünen gehört. Sie besteht darin, dass ein Grüner oder eine Grüne immer das Beste wollen und wenn das Beste dann nicht funktioniert, weil es nie funktioniert, es natürlich nicht am Besten liegt, sondern an den anderen, die es falsch oder nicht konsequent umgesetzt, eben auf die eine oder andere Art sabotiert haben. Das erinnert an Stalin, der sogar auf die Idee verfiel, dass, umso erfolgreicher der Aufbau des Sozialismus voranschritt, immer mehr Klassen- oder Volksfeinde entstehen und gegen ihn streiten. Oder an die DDR: Wenn die Kartoffelernte schlecht ausfiel, trugen die Amerikaner daran die Schuld, die hinterhältig Millionen Kartoffelkäfer über die schutzlosen ostdeutschen Kartoffeläcker abwarfen.

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Weil der temporär anfallende Strom der sogenannten erneuerbaren Energien nicht gespeichert werden kann – nicht einmal durch das Netz, wie Annalena Baerbock wahrscheinlich immer noch glaubt – und man bei Dunkelflaute keinen Strom mittels Solarzellen oder Windräder zu erzeugen vermag, benötigt man Kraftwerke in Reserve, wozu sich Gaskraftwerke besonders gut eignen, die zu dem dank des billigen Erdgases aus Russland den an sich schon zu hohen Preis dennoch in Grenzen hielten. Es darf vermutet werden, dass ohne Putins billiges Erdgas die Strompreise bereits in der Vergangenheit explodiert wären und zu einer gesellschaftlichen Debatte geführt hätten, als deren Ergebnis wahrscheinlich heute nicht einmal halb so viele Windparks existieren würden. Diese notwendige Debatte konnte Merkel dank Putins Erdgas verhindern.

Robert Habeck machte nicht nur besagten Patrick Graichen zu seinem Staatsekretär, sondern auch Michael Kellner, der wiederum mit Verena Graichen, Patrick Graichens Schwester verheiratet ist. Das fiel sogar der Taz auf, die unter der Überschrift: „Energiewende als Familienprojekt“ am 19.12.2021 schrieb: „Verena Graichen wiederum arbeitet als ‚Senior Researcher‘ beim Öko-Institut zu den Themen Klimapolitik und Emissionshandel und ist gleichzeitig Vorsitzende des Umweltverbands BUND in Berlin. Und als wäre das noch nicht genug Öko-Power, arbeitet auch das dritte Kind der Eltern Graichen, Jakob, als ‚Senior Researcher‘ zu Klima- und Energiefragen beim – genau – Öko-Institut, Seite an Seite mit seiner Schwester, der Ehefrau und Schwester der Staatssekretäre.“ Marco Gallina wies auf TE darauf hin, welche Mitglieder der Bundesregierung zum Netzwerk der Agora Denkfabrik gehören:

Der Journalist Frank Lübberding hat, was wichtig zum Verständnis ist, getwittert: „Die Energiewende ist kein Idealismus, sondern ein Multi-Milliarden-Markt. Das ist längst big business, wo die wirtschaftliche Zukunft ganzer Netzwerke von abhängen. Vom Umweltverband über Pseudo-NGO bis zur Industrie, von der Wissenschaft über Medien bis zur Politik.“

Das will man sich von niemandem, schon gar nicht von den Betreibern von Kernkraftwerken zerstören lassen. Deshalb antwortete jetzt Patrick Graichen der Preussen Elektra. Ob die Idee, von Missverständnissen zu reden, nun von Graichen oder von Habeck stammt, wo es eigentlich um Verständnisse geht, sei dahingestellt, aber Patrick Graichen fühlt sich selbstredend falsch verstanden, wo man doch im Vorfeld mit EON, zu der die Preussen Elektra gehört, Gespräche geführt habe. Allerdings war der Reserve-Plan so vage, wie er gehalten ist, wirklich nicht zu verstehen.

In Frage steht, wann mit EON, wann mit der Preussen Elektra gesprochen wurde? Laut Welt ist „aus Unternehmenskreisen zu hören, dass das Ministerium erst wenige Stunden vor der offiziellen Verkündung erstmals den Plan mit den Reserve-AKW offenbart habe“. Auf die konkrete Frage der Berliner Zeitung an das Bundeswirtschaftsministerium (BMWK), „ob das Ministerium die AKW-Betreiber über die Pläne für eine ‚Einsatzreserve‘ informiert hat, bevor das Vorhaben am Montagabend vorgestellt wurde“, antwortete das BMWK nur grundsätzlich. „Ich kann bestätigen, dass es vor der Verkündung der Entscheidung Gespräche mit den Betreibern der Kraftwerke gab.“ Man bleibt also vage. „Die Idee einer Einsatzreserve wurde den Energiekonzernen nach Informationen der Berliner Zeitung jedoch bis Montag nicht vorgestellt“, schreibt die Berliner Zeitung weiter.

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Patrick Graichen unterstellt nun PreussenElektra, den falschen Eindruck hervorzurufen, als sollten die AKWs flexibel hoch- und runtergefahren werden. „Ziel ist es, dass ein Abruf der Reserve mit ausreichendem Vorlauf erfolgt und dann bei einem Abruf auch durchgehend, bis längstens Mitte April, in Betrieb bleiben.“ Des Grünen Müllers Bundesnetzagentur soll durch ein „Monitoring“ frühzeitig feststellen, ob sich die Lage so verschlimmert, dass die AKWs zur Stabilisierung des Stromnetzes hochgefahren werden müssen. Klingt gut, aber was heißt das konkret? In Graichens Vorstellung scheint der Chef der Bundesnetzagentur zum Bundeswetterhellseher aufzusteigen, denn letztlich ist die einzig wirklich unbekannte Größe in der Rechnung das Wetter.

Zusätzliches Gas wird aus Norwegen nicht kommen, aus Katar und Kanada wird überhaupt kein Gas angeliefert. Ludwig Möhring, Geschäftsführer des Bundesverbands Erdgas, Erdöl und Geoenergie, schätzte in einem Interview im August ein, dass mit „ernsthaft großen Mengen an LNGs wahrscheinlich nicht vor 2027“ zu rechnen ist. Annalena Baerbock und Robert Habeck haben mehrfach und sehr laut in die Welt hinausposaunt, dass sie kein Erdgas aus Russland mehr wollen – nun sind sie endlich von Putin erhört worden, nach Deutschland fließt kein Erdgas mehr. Wenn Ursula von der Leyen den Preisdeckel für Erdgas durchsetzt, wird auch künftig kein russisches Erdgas mehr nach Europa strömen. In Brüssel scheint man zu glauben, dass Europa der einzige Kunde für russisches Erdgas ist.

Da also errechnet werden kann, welche Mengen an Flüssiggas und an Erdgas verfügbar sein werden, mit welchen Kapazitäten bei der Kohleverstromung man planen kann, bleiben in der Tat nur Christian Lindners „Freiheitsenergien“ übrig, die variabel sind, abhängig vom Sonnenschein und vom Wehen des Windes. Und genau das, die Sonnentage und die Windstärken, soll anscheinend die Bundesnetzagentur langfristig voraussagen, damit man frühzeitig erkennen kann, ob die AKWs benötigt werden oder nicht. Möglicherweise glaubt man in Habecks Umfeld, dass Kernkraftwerke technisch so etwas wie Gaskraftwerke, nur mit Brennstäben statt Gas sind.

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Der energiepolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Michael Kruse, kritisiert demzufolge Patrick Graichen und seinen Minister mit den Worten: „Das ist äußerst bedauerlich, denn schon der zweite Stresstest war das Ergebnis einer Prüfung seitens des Wirtschafts- und Umweltministeriums, die die fachliche Expertise der Kraftwerksbetreiber ignoriert hatte.“ Der Vorschlag, die AKWs in Reserve zu halten, würde der „fachlichen Prüfung offenkundig nicht“ standhalten. „Technische Lösungen müssen nicht nur einem Stresstest, sondern auch einem Realitätscheck standhalten … Die Kernkraftwerke sind kein Experimentierfeld für grüne Wahlkampferfolge.“ Kruse forderte die Bundesregierung auf, angesichts „der explodierenden Strompreise“ rasch ein neues Konzept vorzulegen.

Es ist klar, Robert Habeck steht zwischen Baum und Borke. Entscheidet er sich gegen die AKWs, ist die Regierung weg, verlängert er die Laufzeiten der AKWs, ist die Partei weg. Am 9. Oktober wird in Niedersachsen gewählt.

In der Vorstellung, zwei AKWs in Reserve zu halten, drückt sich perfekt Habecks Vorstellung von der Wirtschaft als einer Glühlampe aus. Mittels eines Schalters lasse sie sich an- und ausschalten. So jubelte er noch als Oppositionspolitiker, dass man in der Pandemie die Wirtschaft aus „ethischen“ Gründen herunterfahren könne. Als er die Bundesregierung hart wegen der Erhöhung der Kilometerpauschale kritisierte, wusste er nicht einmal, dass die Kilometerpauschale unabhängig vom benutzten Verkehrsmittel gilt. Als er noch Finanzminister werden wollte, stolperte er über Basel-III. Dass er von wirtschaftlichen Kreisläufen, von der Marktwirtschaft und auch von den Grundregeln des Insolvenzrechts nicht die geringste Kenntnis besitzt und ihm die mittelständischen Betriebe vollkommen gleichgültig sind, hat er bei Maischberger der Nation vorgeführt.

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Seine Wirtschafts- und Energiepolitik hat eine Insolvenzwelle ausgelöst. Das Institut für Weltwirtschaft sagt für das nächste Jahr eine Inflation von fast 9 Prozent und ein Schrumpfen des Bruttoinlandsprodukt (BIP) um 0,7 Prozent voraus. Es spricht manches dafür, besonders das Agieren des Wirtschafts- und Energieministers, dass diese Prognosen sich noch als zu optimistisch herausstellen könnten. Über die Gasumlage, die Robert Habeck nach verschiedenen Medienberichten von Uniper und von den Chefs von zwei Energiekonzernen in die Feder diktiert wurde, möchte man nicht einmal mehr spotten.

Es ist schon mehr als Chuzpe, wenn Deutschlands Insolvenzminister gerade eben im Bundestag der Merkel-Regierung „Möchtegern-Wirtschaftspolitik“ vorwirft. Warum rügt er die Merkel-Scholz-Regierung nicht auch für eine Möchtegern-Finanzpolitik? Selbstkritik ist bei Habeck Fehlanzeige, wenn er in den Plenarsaal ruft: „Lieber Herr Merz, sechzehn Jahre lang hat die Union dieses Land regiert und viele Bundesländer. Und wir räumen in wenigen Monaten auf, was sie in sechzehn Jahren verbockt, verhindert und zerstört haben.“

Wahrlich, für Robert Habeck stellt sich die Inflation als Aufbauwerk dar, nicht weniger aufbauend wirken die explodierenden Energiepreise. Und Habeck räumt tatsächlich auf, das stimmt, und zwar mit dem Mittelstand. Er räumt auf mit dem Wohlstand und der Sicherheit in Deutschland. Und während Robert Habeck seine tönende Rede hält, sich daran berauscht, was er alles aufräumt und aufbaut, von Umlagen und Rettungsschirmen träumt, ungedeckte Versprechungen macht, erklärt der Präsident des DIHK, Peter Adrian, gegenüber dem RND: „Immer mehr Betriebe melden uns, dass sie überhaupt keinen Versorgungsvertrag bei Strom oder Gas mehr bekommen. Ihnen wird im wahrsten Sinne des Wortes der Hahn zugedreht. “

Mit Blick auf diese Regierung, für die der Vizekanzler geradezu symbolisch steht, bleibt nur das Fazit, dass momentan nicht einmal der liebe Gott Mitleid mit Deutschland hat.

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