Tichys Einblick
Falsche Weichenstellung

Grundsatzfehler der deutschen Einwanderungsdebatte

Verspielt Deutschland seine traditionellen Stärken, so wird dieses Land letztlich auch seine Anziehungskraft auf die Fachkräfte Ost- und Südeuropas und den Rest der Talente der Drittstaaten verlieren.

© Sean Gallup/Getty Images

Im vergangenen Jahr sind insgesamt 39.897 Arbeitsmigranten aus den Nicht-EU-Ländern nach Deutschland eingewandert. Davon bekamen wiederum lediglich etwas mehr als 17.000 Personen eine Aufenthaltsgenehmigung mit qualifizierter Beschäftigung.

Demgegenüber sind im vergangenen Jahr nach dem sogenannten EASY-System des BAMF knapp 305.000 neue Asylsuchende in Deutschland erfasst worden. Die Bundespolizei allerdings schätzt die Zahl der neuen Asylsuchende des Jahres 2016 aufgrund der hohen Fehleranfällig des EASY-Systems auf unter 200.000.

Des Weiteren sollen im 2016 weltweit 105.000 Visa zum Familiennachzug nach Deutschland erteilt worden sein, darunter ein „Großteil für den Familiennachzug zum Schutzberechtigten“, heisst es aus der Antwort des Auswärtigen Amtes auf Anfrage der „Welt“.

Wer aber glaubt, dass es sich bei der aktuellen Flüchtlingsmigration überwiegend um einen vorübergehenden Aufenthalt in Deutschland handelt, der könnte sich täuschen: Zum einen will eine große Mehrheit der Flüchtlinge selbst dauerhaft in Deutschland leben. Jedenfalls hat eine Umfrage des BAMF unter den Flüchtlingen in Deutschland ergeben, dass sich 84,7 Prozent der Befragten eine Zukunft in Deutschland erhofften und dass fast 80 Prozent gerne die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten wollten.

Zum anderen ermöglicht das neue Integrationsgesetz den anerkannten Flüchtlingen und Asylberechtigten, bereits nach fünf Jahren Aufenthalt in Deutschland eine unbefristete Niederlassungserlaubnis zu erhalten (§26 Abs.3 AufenthG). Vorausgesetzt wird unter anderem, dass der Lebensunterhalt des anerkannten Flüchtlings „überwiegend gesichert“ sein muss. Eine überwiegende Sicherung des Lebensunterhalts als Voraussetzung zur Erlangung eines unbefristeten Aufenthaltstitels heißt beispielsweise in der Bundeshauptstadt Berlin unter anderem, dass bei einem Bezug von öffentlichen Leistungen nach fünf Jahren Aufenthalt diese weniger als 50 % des Gesamteinkommens ausmachen dürfen.

Selbst bei abgelehnten Asylanträgen bleibt offenbar ein großer Teil der abgelehnten Asylbewerber weiterhin dauerhaft im Land. 25.375 Abschiebungen gab es insgesamt im vergangenen Jahr, davon die meisten in die Westbalkanländer.

Warum die Abschiebungen nur schwer vorankommen, muss hier nicht näher erläutert werden. Die Liste der möglichen Gründe ist lang: die offiziell fehlenden Reisedokumente sowie die damit verbundene Weigerung der Herkunftsländer zur Aufnahme, Verbot der Abschiebung in unsichere Länder durch die Europäische Menschenrechtskonvention sowie das deutsche Aufenthaltsgesetz, der oft nicht vorhandene politische Wille der Landesregierungen, die Zersplitterung der Zuständigkeit auf die einzelnen Bundesländer, die Kritik der Medien sowie die Engagements der NGOs und linker Gruppierungen zur Verhinderung der Abschiebungen.

Fest steht jedoch, dass eine Rückführung in die Herkunftsländer unter den gegebenen rechtlichen Bedingungen und politischen sowie gesellschaftlichen Ausrichtungen immer schwieriger durchzusetzen ist, je länger sich der abgelehnte Asylbewerber –  ggf. mit Familie –  im Land aufhält.

Man kann daher zu der Feststellung gelangen, dass ein Großteil der Flüchtlinge unter den in absehbarer Zeit in Deutschland und Europa vorherrschenden politischen wie gesellschaftlich-dogmatischen Umständen letztlich dauerhaft im Land bleiben wird, somit letztlich als Migranten bezeichnet werden kann.

Die Meinung eines Einwanderers
Agenda Deutschland - Wie Migrationspolitik aussehen sollte und warum die Zukunftsfähigkeit auf dem Spiel steht
Auf die Problematik der Armutszuwanderung und die Unvereinbarkeit zwischen Sozialstaat und Masseneinwanderung habe ich bereits in einem Artikel im September 2016 hingewiesen. Zwei wesentliche Gründe führen dazu, dass eine berufliche wie kulturelle Integration einer überwiegenden Mehrheit der im Zuge der Migrationskrise nach Deutschland gelangten Migranten in die deutsche Gesellschaft nahezu unmöglich zu realisieren ist. Zum einen führt die Veränderung der wirtschaftlichen Struktur in Deutschland von einer Industriegesellschaft zu einer Dienstleistungsgesellschaft (Anteil der Erwerbstätigen im Dienstleistungssektor im 2016: 74,1 Prozent) dazu, dass die neuen entstehenden Stellen zumeist eine solide abgeschlossene Berufsausbildung sowie gute Deutschkenntnisse voraussetzen, welche die meisten Flüchtlinge schlicht nicht mitbringen. Einer raschen nachträglichen Ausbildung der Flüchtlinge stehen ebenfalls die oftmals fehlende solide Schulausbildung sowie die mangelnden Sprachkenntnissen entgegen. Zudem reduziert das Vorhandensein eines üppigen Sozialsystems die Motivation zur Aufnahme einer einfachen Tätigkeit, deren Bezahlung oftmals kaum über das gesamte Leistungspaket der deutschen Minimalsicherung steht. Hinzu kommt noch die rasant voranschreitende Digitalisierung und Automatisierung, welche in Zukunft noch mehr einfache Tätigkeiten überflüssig machen werden.

Zum anderen steht das religiös oder völkisch/nationalistisch geprägte Weltbild der Zuwanderer aus den nordafrikanisch-arabischen Kulturkreisen, die aufgrund ihrer Sozialisierung im Herkunftsland oft eine ausgeprägte „Wir-gegen-sie-Mentalität“ besitzen, einer säkular-hedonistischen geprägten deutschen Mehrheitsgesellschaft entgegen, deren nationales und kulturelles Bewusstsein auf ein Minimum geschrumpft ist. Beide Weltanschauungen können zwar friedlich nebeneinander co-existieren, sofern die tolerantere postmoderne Mentalität der deutschen Mehrheitsgesellschaft vorherrscht und der Sozialstaat noch funktioniert. Dennoch sind beide Mentalitäten von zwei Gegensätzlichkeiten geprägt und schließen sich gegenseitig aus. Daraus folgt, dass beide Mentalitäten nicht einander integrierbar sind.

Eine österreichische Nahostexpertin hat auf dem Höhepunkt der Migrationskrise im 2015 bereits angemerkt, dass die Säkularen heute in Syrien die Minderheit sind und dass die Religion dort Dreh- und Angelpunkt allen Denkens und Handelns ist. Wenn diese Angabe stimmt, so kann kaum davon ausgegangen werden, dass bei einer Massenmigration von hunderttausenden zumeist Geringqualifizierten aus dieser Sozialisierung in eine moderne säkular und christlich geprägte Industrienation wie Deutschland die Bildung größerer Parallelgesellschaften zu befürchten ist.  Da die deutsche Mehrheitsgesellschaft selbst auch nicht aktiv ihre kulturelle und nationale Identität pflegt und dementsprechend selbst Integrationswilligen keine neue, deutsche Identität geben kann, ist eine fortwährende Verstärkung der religiösen oder ethnischen/nationalistischen Identitäten vieler Migrantengruppen in Deutschland auf der Suche nach einem emotionalen Halt in der Fremde voraussehbar. Sollte die deutsche Politik dazu keine geeignete Lösung finden, wären die Folgen für die innere Sicherheit und Stabilität der Gesellschaft dramatisch.

Einwanderungsgesetz als allseitige Wunschlösung

Auf der anderen Seite sucht die deutsche politische wie mediale Öffentlichkeit nach einem anderen, besseren Migrationskonzept, um die Migrationsströme doch zum Vorteil der Gesellschaft zu wenden.

Offensichtlich ist die Zahl der regulären und qualifizierten Arbeitsmigration aus dem Nicht-EU-Raum nach Deutschland verschwindend gering im Vergleich zu der irregulären Migration, die im Zuge der Flüchtlingskrise genannten Migrationskrise vollzogen wird. Faktisch findet eine nennenswerte Zuwanderung von qualifizierten Personen aus dem nicht-europäischen Raum also nicht statt, wohingegen eine faktische Massenzuwanderung von Flüchtlingen genannten Migranten von statten geht.

Als Grund für diese Schieflage sehen jedoch fast die gesamte mediale Öffentlichkeit, ein Großteil des politischen Establishments sowie Vertreter der Wirtschaftsverbände in Deutschland vor allem die hohen bürokratischen Hürden für qualifizierte Einwanderer. Als Gegenmaßnahmen wird dementsprechend ein lockeres Einwanderungsgesetz bzw. eine Senkung der Hürden für qualifizierte Einwanderer gefordert.

Folgende Annahmen werden dabei aber als selbstverständlich erachtet: Deutschland sei an sich ein sehr attraktives Zielland für die qualifizierten Fachkräfte aus den Drittländern. Es gebe eine enorm starke Nachfrage in der deutschen Wirtschaft an Fachkräften aus Drittländern.

Selbst politische Parteien wie die AfD, LKR oder Teile der FDP, die dem derzeitigen migrationspolitischen Kurs der Bundesregierung kritisch gegenüberstehen, fordern als Gegenentwurf zu der derzeitigen etablierten deutschen Migrationspolitik ein Einwanderungsgesetz nach dem Vorbild der klassischen Einwanderungsländer. Das Ziel dahinter ist also, den Anteil von qualifizierten Migranten durch ein standardisiertes gesetzliches Regelungswerk nach Vorbild eines klassischen Einwanderungslandes zu erhöhen.

Abgesehen davon, dass der Gegenentwurf der politischen Opposition in der Migrationsfrage nur dann Sinn ergibt, wenn die irreguläre Migration konsequent unterbunden werden kann, wird auch hier die Annahme zugrunde gelegt, dass Deutschland einerseits eine starke Nachfrage nach Fachkräften aus den Drittländern habe und andererseits für die Fachkräfte aus aller Welt attraktiv genug sei. Denn ein solches Einwanderungsgesetz wäre nur mit einer starken Nachfrage (nach  Arbeitskräften aus Drittstaaten) und einem großen Angebot (aus hochqualifizierten einwanderungswilligen Drittstaatlern) zu begründen. Ansonsten wäre eine solche Forderung obsolet.

Schauen wir uns doch die derzeitigen Einwanderungshürden für hochqualifizierte Fachkräfte in Deutschland und in den USA genauer an.

Einwanderungshürden für Fachkräfte aus Drittstaaten in Deutschland

Für Fachkräfte mit einem akademischen Abschluss stehen grundsätzlich zwei Wege offen, um ein Arbeitsvisum für die USA oder für Deutschland zu beantragen. Im ersten Fall haben die Fachkräfte ihren Studienabschluss in den Zielländern absolviert und im Anschluss ein Arbeitsplatzangebot erhalten, sodass sie direkt im Zielland ein Arbeitsvisum beantragen können. Im anderen Fall beantragen die Akademiker ein Arbeitsvisum direkt in ihrem Herkunftsland.

In Deutschland hat jeder ausländische Student aus dem Nicht-EU-Raum nach Abschluss eines Studiums an einer deutschen Hochschule grundsätzlich die Möglichkeit, direkt nach seinem Studium zunächst ein Visum zur Arbeitssuche zu beantragen. Danach haben sie 18 Monate Zeit, um nach einem Arbeitsplatz suchen. Wenn sie dann einen Arbeitsplatz gefunden haben, können sie ein Arbeitsvisum beantragen. Dies wird ihnen in der Regel auch erteilt, sofern die Tätigkeit ihrem Studienabschluss entspricht. Eine frühere Regelung der sogenannten Vorrangprüfung, d.h. die Prüfung darauf, ob nicht auch ein Deutscher oder ein EU-Bürger die Tätigkeit ausüben könnte, wurde abgeschafft. Zusätzlich dazu können die Studienabsolventen auch die sogenannte BlueCard beantragen (dazu später etwas mehr), die sie zu einem Aufenthalt in jedem EU-Land berechtigt.

Darüber hinaus können aber auch ausländische Absolventen, sofern sie eine Jobzusage eines in Deutschland ansässigen Unternehmens haben, bei einer deutschen Auslandsvertretung in ihrem Heimatland ein Arbeitsvisum beantragen. Falls ausländische Absolventen mit einem dem deutschen Hochschulabschluss vergleichbaren Hochschulabschluss noch keine Jobzusage aus Deutschland haben, so steht ihnen trotzdem die Möglichkeit offen, für sechs Monate ausschließlich zur Arbeitsuche nach Deutschland zu kommen.

Gleichzeitig können sowohl Absolventen, die bereits in Deutschland ihr Studium abgeschlossen haben, als auch Absolventen einer ausländischen Hochschule eine BlueCard erhalten, falls sie ein Stellenangebot für einen ihrem Abschluss angemessenen Arbeitsplatz mit einem Bruttojahresgehalt von 50.800 Euro vorlegen können. Für Absolventen der MINT-Fächer reicht sogar ein Gehalt von 39.624 Euro für eine BlueCard aus.

Absolventen deutscher Hochschulen erhalten übrigens bereits nach zwei Jahren Berufstätigkeit eine unbefristete Niederlassungserlaubnis. Inhaber einer BlueCard erhalten eine unbefristete Niederlassungserlaubnis nach 33 Monaten Berufstätigkeit – bei guten Sprachkenntnissen (B1) sogar bereits nach 21 Monaten.

Einwanderungshürden für ausländische Fachkräfte in den USA

Wer als Akademiker ein Arbeitsvisum für die USA (das sogenannte H-1B Visum) beantragen möchte, der muss auch ein konkretes Arbeitsplatzangebot, welches seinem Abschluss hinsichtlich der Qualifikation und Bezahlung entspricht, der US-Auslandsvertretung oder einer Einwanderungsbehörde in den USA vorlegen. Ein spezielles Visum zur Arbeitsuche gibt es in den USA nicht (lediglich ein Touristenvisum für längere Aufenthalte).

Für die H-1B-Visa wird jedes Jahr jedoch ein Kontingent festgelegt. 2015 bewarben sich ganze 236.000 hochqualifizierte Ausländer aus aller Welt auf insgesamt 85.000 zur Verfügung stehende H-1B-Visa. Diese Visa werden dann mithilfe eines computerbasierten Verfahrens gelost. Das bedeutet jedoch, dass etwa zwei Drittel der hochqualifizierten ausländischen Bewerber dieses Jahres trotz eines vorliegenden gut dotierten Arbeitsplatzangebots letztlich an der Vergabe der Visa gescheitert sind. Nur ausländische Absolventen von MINT-Fächern einer US-Hochschule oder mit höherem akademischen Grad haben durch eine Ausnahmeregelung mindestens mehr als eine Chance, gelost zu werden. Von den Kontingenten der H-1B-Visa nicht betroffen wäre eine Tätigkeit an einer Hochschule oder regierungsnahen Forschungseinrichtung.

Wer zu den wenigen Glückseligen zählt, der ein H-1B-Visum ergattern konnte, der muss aber noch einen langen und mühseligen Weg zur Erlangung eines permanenten Arbeitsvertrags- und Aufenthaltstitels (Greencard) gehen. Ein H-1B-Visum kann nur für maximal 6 Jahre Gültigkeit besitzen. Vergeht diese Zeit und es wurde keine Greencard beantragt, so muss der ausländische Arbeitnehmer das Land verlassen. Eine Greencard für einen ausländischen Arbeitnehmer setzt einen permanenten Arbeitsvertrag voraus, der wiederum vom US-Arbeitsministerium genehmigt werden muss. Die Genehmigung und Erteilung eines sogenannten „Labor certification“, mit dem ein permanentes Arbeitsverhältnis begründet werden kann, erfordert allerdings den Nachweis dafür, dass es für diese permanente Tätigkeit keinen anderen qualifizierten US-Bürger gebe.

Wer schließlich all das hinter sich hat, der muss noch eine lange Zeit in Kauf nehmen, bis er mit Glück eine Greencard erhalten kann. Die arbeitsplatzbasierten Greencards sind nämlich kontingentiert, sodass pro Jahr nur eine begrenzte Anzahl solcher Greencards vergeben wird. Gehen mehr Anträge ein, als Greencards vorhanden sind – was für die großen Herkunftsländer ausländischer Fachkräfte wie China und Indien in der Regel der Fall ist – so werden die „überschüssigen Anträge“ auf eine Warteliste gesetzt. Es gilt übrigens das Prinzip des „Geburtsortes“, d.h. die Kontingente richten sich nicht nach der Staatsangehörigkeit, sondern nach dem Geburtsland des Antragstellers.

Ergebnis des Vergleiches Deutschland und USA

Es ist unschwer festzustellen, dass die Einwanderungshürden für Fachkräfte in den USA wesentlich höher als in Deutschland liegen. Zum einen brauchen ausländische Absolventen deutscher Hochschulen –  im Gegensatz zu den USA – keine Vorrangprüfung der Arbeitsämter bestehen, um einen unbefristeten Arbeitsvertrag zu schließen oder ein Arbeitsvisum zu erhalten. Diese müssen lediglich ein Arbeitsplatzangebot vorlegen, welches ihrem Abschluss gerecht ist. Zum anderen sieht das deutsche Aufenthaltsrecht für ein Arbeitsvisum keine Kontingente vor. Jedem Drittstaatler, der ein adäquates Arbeitsplatzangebot bei einer deutschen Auslandsvertretung vorlegen kann, kann nach Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit in der Regel ein Arbeitsvisum erteilt werden, ohne dass eine etwaige Kontingentgrenze wie in den USA zu berücksichtigen wäre.

Nach zwei Jahren Beschäftigung erhält der ausländische Absolvent deutscher Hochschule in der Regel eine Niederlassungserlaubnis, für Inhalber der BlueCard in der Regel nach 33 Monaten. Ausländische Fachkräfte, die eine Greencard der USA beantragt haben und aus den großen Herkunftsländern wie China oder Indien kommen, erhalten eine Greencard aufgrund der Wartezeit oft erst nach 5-10 Jahren.

Bei diesen Erkenntnissen müsste man also eigentlich annehmen, dass ausländische Fachkräfte aus Drittstaaten Deutschland aufgrund der niedrigen Zugangsvoraussetzungen bevorzugen würden. Das glatte Gegenteil ist jedoch der Fall. Der Andrang aus den großen Drittstaaten wie China oder Indien nach USA ist trotz der dortigen hohen Hürden ungleich größer als nach Deutschland.

Deutschland strukturell nicht konkurrenzfähig gegenüber Einwanderungsländern

Warum ist also Deutschland trotz der geringen Einwanderungshürden derart unattraktiv für die hochqualifizierten Fachkräfte aus dem Nicht-EU-Raum? Wie kann eine Lösung aussehen? Sollen die Hürden weiter abgebaut werden?

Meines Erachtens ist Deutschland strukturell nicht konkurrenzfähig gegenüber den klassischen Einwanderungsländern, um die besten Talente abzugewinnen.

Das Gespenst der Überalterung
Demografischer Wandel und Armutsmigration
Das fängt schon mit der Sprache an. In China zum Beispiel lernt man bereits ab der dritten Klasse Englisch. Regulären Deutschunterricht gibt es in der Regel nur in wenigen Fremdsprachenschulen bzw. an manchen Hochschulen für Studierende der Germanistik. Warum sollten hochqualifizierte Fachkräfte, die in der Regel auch die englische Sprache beherrschen, nicht nach Möglichkeit in ein englischsprachiges Land auswandern und stattdessen Deutschland bevorzugen? Warum sollten sich solche Fachkräfte überhaupt die Mühe machen wollen, die deutsche Sprache von Null an mühselig zu lernen, die nach Einschätzung vieler Chinesen zudem auch noch schwerer ist als die englische Sprache? In einem englischsprachigen Land könnten sich die chinesischen Fachkräfte sowie ihre Angehörigen, die der englischen Sprache mächtig sind, hingegen sofort angekommen fühlen.

Migranten wandern zudem bevorzugt in ein Land ein, in dem bereits größere Communities der eigenen Landsleute existieren. Dies gilt auch für viele hochqualifizierte Einwanderer. Das Vorhandensein von größeren Gemeinden des eigenen Herkunftslandes erleichtert nicht nur den Einstieg in eine fremde Umgebung bei mangelnden Sprachkenntnissen (das rasche Verknüpfen von Kontakten bzw. Kennenlernen neuer Leute), sondern stellt den neuen Migranten eine reichliche Infrastruktur zur Verfügung: Freizeitvereine, Rechtliche Dienstleistungen von Landsleuten, Lebensmittelläden mit gewohnten Lebensmitteln, etc.

Der Anteil derer, die sich in einem fremden Land rasch assimilieren ließen und fast ausschließlich mit den Einheimischen in Kontakt treten wollen, setzt eine große Offenheit für fremde Kulturen bzw. charakteristische Extraversion voraus, welche die meisten Einwanderer aus einem ganz unterschiedlichen Kulturkreis schlicht nicht mitbringen. Die meisten Migranten wandern aus, um in erster Linie ihren Lebensstandard und ihre Perspektiven bzw. die ihrer Familie zu verbessern. Das Interesse an der Kultur des Ziellandes ist dabei, wenn überhaupt vorhanden, zunächst mal nachrangig.

Zudem sind die Bezahlungen für hochqualifizierte akademische Fachkräfte in den klassischen Einwanderungsländern wie USA oder Australien in der Regel höher und vor allem die Entwicklungsmöglichkeit größer als in Deutschland. Das liegt nicht nur an den Strukturen der mittelständischen deutschen Unternehmen, die meist in Familienbesitz sind, oder an der Hierarchie der Großkonzerne in Deutschland. Alleine die Tatsache, dass die meisten ausländischen Fachkräfte eben Fachkräfte eines zumeist technischen Studiengangs sind und die deutsche Sprache meistens nicht auf muttersprachlichem Niveau beherrschen können, führt dazu, dass nur die wenigsten ausländischen Fachkräfte ins Management aufsteigen können (es sei denn, sie werden ins Ausland entsandt und übernehmen in ihrem Heimatland danach Führungsverantwortung). Die Aufstiegsmöglichkeiten in den Einwanderungsländern sind für hochqualifizierte Fachkräfte alleine schon perspektivisch größer als in Deutschland, da viele ausländische Fachkräfte die englische Sprache sehr gut beherrschen. Den indischen Einwanderern ist darüber hinaus auch die Kultur in den angelsächsischen Einwanderungsländern gut vertraut.

Hochqualifizierte ausländische Fachkräfte haben in der Regel auch in ihrer Heimat eine gehobene soziale Stellung und gehören der oberen Mittelschicht an. Wir wissen, dass in Ländern wie China oder Indien eine solche gehobene Mittelschicht trotz der seit Jahren wachsenden Tendenzen immer noch die absolute Minderheit darstellt. Dementsprechend ist eine soziale Anerkennung für solche Einwanderer enorm wichtig. In Deutschland werden Einwanderer oft als sozial schwache Gruppen wahrgenommen, da ein Großteil der Migranten in Deutschland Armutsmigranten sind und dementsprechend das Bild des Migranten prägen. In den USA gelten legale Migranten durch die strengen Einwanderungshürden als eine Bereicherung der Gesellschaft. Warum sollte also eine hochqualifizierte ausländische Fachkraft, die in ihrem Heimatland der gehoben Schicht gehört, freiwillig in ein Land migrieren wollen, wo sie von der Mehrheitsgesellschaft mit Armutsmigranten gleichgesetzt wird?

Zu guter Letzt sind hochqualifizierte Fachkräfte in der Regel Leistungsträger, die in der Regel nicht auf Sozialleistungen angewiesen sind. Warum sollten hochqualifizierte Fachkräfte freiwillig in ein Land auswandern wollen, in dem die Sozialabgaben zu den höchsten zählen, um den ausurfenden Sozialstaat auf Kosten der Mittelschicht zu finanzieren?

Aus diesen Gründen ist Deutschland schon allein aufgrund seiner Sprache, seiner bereits etablierten Einwandererstrukturen, seiner Eigenschaft als Sozialstaat, also all das, was die heutige Bundesrepublik bereits wesentlich ausmacht, nicht konkurrenzfähig gegenüber den klassischen Einwanderungsländern.

Eine weitere Senkung der Einwanderungsstandards wird folglich keine wesentliche Erhöhung der Zuwanderung von besten Talenten und Leistungsträgern aus den Drittstaaten auslösen. Sofern eine Senkung der Einwanderungshürden auch eine Senkung der Qualifikation der einwanderungsberechtigten Fachkräfte zur Folge hat, so werden vermutlich eher mittelmäßige ausländische Fachkräfte auf den deutschen Arbeitsmarkt drängen und die Konkurrenzsituation dort mit dem Überangebot des deutschen akademischen Personals verschärfen.

Die Studienanfängerquote in Deutschland beträgt für das Jahr 2016 55,5 Prozent. Mit der zunehmenden Akademisierung des deutschen Arbeitsmarktes kann angenommen werden, dass auch die Arbeitslosigkeit der Studienabsolventen steigen und die Konkurrenz um die akademischen Stellen rasant zunehmen wird. Dies zeigen die Erfahrungen der bereits überakademisierten Länder wie die südeuropäischen Staaten, Großbritannien, ostasiatische Staaten wie Südkorea, Japan, aber auch China.

Selbst für den MINT-Bereich, für den seitens der Wirtschaft und Politik immer wieder ein zunehmender Fachkräftemangel beklagt wird,  könnte im Zuge der weiteren Akademisierung ein Überangebot an Studienabsolventen entstehen. So konstatierte bereits eine Studie des DIW aus dem Jahr 2012, dass es aufgrund der hohen Beliebtheit der ingenieurtechnischen Studiengänge eher ein Überangebot als eine Knappheit an solchen Fachkräften gebe.

Vor diesem Hintergrund der absehbaren Folgen der rasanten Akademisierung des Arbeitsmarktes und des Überangebots des akademischen Personals könnte eine weitere Senkung der ohnehin schon niedrigen Einwanderungsstandards für Fachkräfte aus den Drittstaaten die Wettbewerbssituation des angespannten Arbeitsmarktes zusätzlich verschärfen. Man sollte dabei auch bedenken, dass der deutsche akademische Arbeitsmarkt ohnehin schon für das akademische Überangebot der gesamten EU zur Verfügung steht.

Fazit

Gesetzliche Möglichkeiten, die von einer qualifizierten Fachkraft aus den Drittstaaten genutzt werden können, um in Deutschland eine Beschäftigung aufzunehmen, sind bereits jetzt reichlich und großzügig vorhanden.

Der Grundsatzfehler der deutschen Einwanderungsdebatten liegt folglich darin, dass die Priorität zur Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands falsch gesetzt wird. Nicht ein Einwanderungsgesetz wird die besten Fachkräfte der Welt nach Deutschland holen und über den Erhalt des Wohlstands und der Fortschrittlichkeit Deutschlands entscheiden. Vielmehr sollte sich das politische Augenmerk darauf richten, die traditionellen Stärken Deutschlands zu erhalten und Deutschland zukunftsfähig zu gestalten. Dazu gehören Maßnahmen zur Stärkung der deutschen Mittelschicht, eine nachhaltige Politik zur Erhaltung der deutschen Sozialsysteme, die Förderung der inländischen Begabten und Leitungsträger, die intellektuelle Anhebung der Mitte und eine großzügige Investition in die Bildung und Forschung. Dazu gehört aber auch eine konsequente Unterbindung der irregulären Migrationsströme zum Erhalt des Sozialstaates und einer stabilen Gesellschaft, infolgedessen auch die Mittel für die  oben genannten Innovationsvorhaben zur Verfügung stehen und genutzt werden können.

Nur bei einer weitgehend stabilen Gesellschaft kann sich die Politik wieder darauf konzentrieren, die Innovationsfähigkeit und die Zukunftsgestaltung Deutschlands aktiv voranzutreiben.

Sofern Deutschland seine traditionellen Stärken aufrechterhält und zukunftsfähig gestaltet, wird es weiterhin in der Lage sein, Fachkräfte der EU-Länder und manche Talente der Drittstaaten anziehen, die einen großen Wert auf eine sichere Lebensumgebung (wenig Kriminalität), viel Freizeit (Urlaub), eine sichere Anstellung, ein bescheidenes, aber sorgenfreies Leben (Sozialsysteme) legen, oder die sich ohnehin für die deutsche Sprache, Kultur und Lebensweise interessieren. Deutschland wird auch dann kein attraktives Land für die Mehrheit der Fachkräfte aus den Drittländern sein. Jedoch wird immerhin ein Teil der Fachkräfte aus den Drittländern die gegebenen Einwanderungsmöglichkeiten der Bundesrepublik nutzen wollen.

Verspielt Deutschland jedoch seine traditionellen Stärken, so wird dieses Land letztlich auch seine Anziehungskraft auf die Fachkräfte Ost- und Südeuropas und den Rest der Talente der Drittstaaten verlieren. Wenn es dazu kommt, dann wird es bei weitem nicht nur bei ausländischen Fachkräften bleiben, die das Land wieder in Scharen verlassen werden in Richtung neue Kompetenzzentren der Welt.

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