Tichys Einblick
Fehlt Ostdeutschland der Bezug zur Nation?

Anlässlich des Tages des Grundgesetzes: Die Union möchte mehr Patriotismus

Der Tag des Grundgesetzes war für Parteien und Medien kein Thema. Er wird benutzt, um politischen Aktivismus gegen rechts zu feiern. Dabei wird „Vielfalt“ als Fetisch propagiert.

IMAGO / Bihlmayerfotografie

Wie wichtig das Grundgesetz für Deutschland ist, das vor 74 Jahren am 23. Mai 1949 verkündet wurde, wird in Politik und Medien ständig beschworen. Dessen eigentliche Wichtigkeit kann man aber auch am Stellenwert der Jubiläumsfeiern ablesen. Während in anderen Staaten die Jahrestage der Verfassung mit Festakten und landesweiten Feierlichkeiten begangen werden, feiert man in Berlin und in Deutschland – gar nichts.

Kanzler Olaf Scholz setzte einen Tweet (sic!) zur Verfassung ab, und Innenministerin Nancy Faeser (beide SPD) mahnte zum „Schutz der Demokratie“, was für sie und ihre Umgebung gleichbedeutend mit dem „Kampf gegen rechts“ ist.

— Bundeskanzler Olaf Scholz (@Bundeskanzler) May 23, 2023

Was machte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier? Veranstaltete er eine Feier für das deutsche Volk? Nein, er besuchte einen Festakt im Berliner Ensemble, bei dem 5 „Botschafterinnen und Botschafter für Demokratie und Toleranz“ ausgezeichnet wurden: Halima Gutale, Jonathan Kalmanovich, Saloua Mohammed, Thomas Jakob und Hamida Taamiri. Schwerpunktmäßig umfasst ihr Engagement: Kampf gegen rechts und Engagement für Asylanten und Flüchtlinge.

Eine Feier für Deutschland und sein Grundgesetz? Fehlanzeige. Warum wird also das Grundgesetz nicht entsprechend unserer Nationalhymne Einigkeit und Recht und Freiheit gefeiert? Warum werden nicht Menschen ausgezeichnet, die sich für Einigkeit und Patriotismus einsetzen? Warum wird, analog zur DDR, linker politischer Aktivismus ausgezeichnet? Der Kampf gegen rechts.

Kein Kampf gegen links

Wenn nun das Grundgesetz angeblich einen Kampf für die Demokratie erfordert, fragt man sich, warum nur einen „Kampf gegen rechts“, warum keinen „Kampf gegen links“? Stalin kostete 20 Millionen Menschen das Leben und Mao 40 Millionen Tote, die DDR existierte noch vor 40 Jahren. Vielleicht kann die von den Linken und Grünen verehrte Ex-Kanzlerin Merkel mit ihrer links-grünen Gesellschaftspolitik weiterhelfen: Während die AfD zur Aussätzigen erklärt wird, gilt die Linke mit ihrer totalitären SED-Vergangenheit im politischen Rund als geläutert.

Das bedeutet: Plötzlich gilt für Linke keine historische Schuld mehr. „Nie wieder!“ bedeutet nur „Nie wieder rechter Nationalsozialismus“. Es bedeutet aber nicht „Nie wieder linker Stalinismus, Maoismus oder DDR“. Die in Deutschland so beliebte historische Schuld gilt also nur für Rechte. Linke sind offensichtlich davon befreit. Diese Scheinheiligkeit ist prägend für die heutige politische Moral.

Der Fetisch „Vielfalt“

Nun heißt es in Artikel 3 des GG:

Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden.

Aber es heißt dort nicht Diversity bereichert, Buntheit bringt Farbe – derlei Slogans hören wir heute aber überall. Und immer wird mit dem Grundgesetz argumentiert. Bei dem Slogan „Vielfalt verbindet“ wird die Realität besonders krass auf den Kopf gestellt, denn Vielfalt hat ja die Tendenz, zum Auseinanderklaffen beizutragen.

Nun wird in jedem Dorf der Begriff „Vielfalt“ beziehungsweise „Buntheit“ als Gewinn gefeiert. Wer aber nur ein bisschen darüber nachdenkt, versteht, wie hohl und falsch diese Aussage ist. Ob Vielfalt – oder heute: Diversität – ein Gewinn oder ein Verlust ist, kommt immer darauf an, was mit was gemischt wird. Da genügen schon einige Vergleiche. Wird Wein mit Wasser zusammen geleert, ist das Ergebnis nicht gerade besser. Man sollte sich also genau die Eigenschaften der Elemente anschauen, um beurteilen zu können, ob Vielfalt ein Gewinn oder ein Verlust ist.

Ist die Einwanderung von Menschen aus mittelalterlichen Kulturen, deren Werte ganz offensichtlich im Gegensatz zum Grundgesetz stehen, ein Gewinn? Ist die Einwanderung von gut ausgebildeten an den Werten des Grundgesetzes orientierten Menschen ein Gewinn? Ersteres sicher nein, Letzteres wahrscheinlich ja.

Offenheit bedeutet ja nicht Beliebigkeit. Wir mischen Kartoffel, Bananen, Bohnen, Erdbeeren und Rettiche zusammen, rühren herum, und fertig ist der schmackhafte Eintopf? So stellt sich manch ideologisch geprägter Universalist, der noch nie in einer Küche gearbeitet hat, das Leben vor. Wer offen für alles ist, ist nicht ganz dicht, sagen andere, eher Realitätsorientierte.

Asien sagt: Diversity, nein danke

Interessant ist, dass sich ostasiatische Kulturen ihre Gesellschaft genau umgekehrt vorstellen. Nach Japan oder Südkorea einzuwandern und dort die Staatsbürgerschaft zu erhalten, ist nahezu ein Ding der Unmöglichkeit. Dort lebende Ausländer bekommen gezielt kein Integrationsangebot. Das sollen sie auch gar nicht. Man will unter sich bleiben.

Aber auch in den anderen außerwestlichen Ländern sind nur die Ausländer willkommen, die Geld bringen. Wer Geld kostet, findet sich schnell wieder im Heimatland. Es kommt dort auch keiner auf die Idee, dass Gender, LBGTQ und andere Vielfalt bereichere.

Asiaten fühlen sich ihren Ahnen verpflichtet und möchten entsprechend ihre Kultur rein erhalten. Das wäre aus deutscher Multikulti-Sicht reiner Rassismus. Traut sich aber keiner auszusprechen.

Auf der Post spielt das reale Leben

Wenn es nun also in Artikel 3 heißt, niemand solle aufgrund seiner Herkunft benachteiligt werden, ist das leicht gesagt, wenn die Stimmung aus verstehbaren Gründen in eine andere Richtung kippt.

Nun soll ein Erlebnis auf einer kleinen Poststelle etwas zur Erklärung beitragen. Die einzige Postlerin am Schalter erzählt mir entsetzt von Beleidigungen wie „Scheißtürkin“ ihr gegenüber. Dann nimmt das Gespräch mit ihr allerdings eine unerwartete Wendung. Die Türkin erzählt nämlich, vor der Jahrtausendwende sei die Stimmung viel besser gewesen. Es gab wenige Probleme. Jeder lebte vor sich hin, die Atmosphäre war nicht gereizt. Heute sind schon die Begriffe „Ausländer“ oder „Migranten“ falsch und emotional aufgeladen.

Es richte sich ja nicht gegen alle Ausländer. Franzosen oder Holländer werden ja nicht beleidigt. Ziel der Angriffe sind vor allem Araber und Afrikaner. Gott sei‘s geklagt, nun eben auch Türken: mitgehangen, mitgefangen. Und wie die Post-Mitarbeiterin meinen inzwischen sehr viele Türken: Es sind einfach zu viele „Ausländer“ hier. „Guckt doch mal, was IHR euch hier reinholt“, ist inzwischen eine verbreitete Meinung in der türkischen Community.

Und die Frau spricht weiter: Wer von den Deutschen sich gegen das hemmungslose Asylwesen ausspricht, ist doch sofort Ausländerfeind. Da steigt die Wut der Leute, die etwas dagegen haben. Sie haben doch keine Lust, für ihre Meinung diffamiert zu werden. In der Öffentlichkeit schweigen sie aber aus Angst. Und der Druck kommt dann bei uns als Beschimpfung raus. Ehrlich gesagt, wundert es mich, dass es nicht viel mehr Beleidigungen gibt. Im Prinzip verstehen wir sie. Wir sind auch gegen Millionen Asyleinwanderer. Was meinst du, warum wir zu zwei Dritteln Erdogan wählen.

Die Union und der Patriotismus

Die Union will anlässlich des Tages des Grundgesetzes „politische Symbole und Rituale“ stärker in die Öffentlichkeit rücken. Sie bringt nun einen entsprechenden Antrag mit dem Titel „Verfassung und Patriotismus stärken“ in den Bundestag ein. Deutschland solle also im wahrsten Sinne des Wortes mehr Flagge zeigen und die Nationalhymne solle bei öffentlichen Anlässen öfter gesungen werden. Aber CDU und CSU werden dabei ziemlich alleine dastehen.

Bei Merkel war dies noch anders. Unvergessen ist der Moment am Wahlabend des 22. September 2013, als Angela Merkel während der CDU-Siegesparty ihrem damaligen Generalsekretär Hermann Gröhe unwirsch eine Deutschland-Fahne aus der Hand riss.

Heute heißt es in dem Antrag der Union, hier lebende Ausländer sollen „von den verbindenden und einladenden Potenzialen des Patriotismus angesprochen und ihre Identifikation mit dem deutschen Staat gestärkt werden“.

Das ist zwar alles richtig und gut, aber gewohnt trottelhaft formuliert. Eine solche Initiative braucht Charme und Eros. Sie muss so formuliert sein, dass sie eine Anziehungskraft entfaltet, und sich nicht als Einladung für den politischen Gegner geriert und obendrein unverzeihliche Eigentore schießt.

Hat Ostdeutschland einen fehlenden Bezug zur eigenen Nation?

Nun kommt allerdings eine ungewollt ironische Pointe: Für Ostdeutschland diagnostiziert die Union einen „zum Teil fehlenden Bezug zur eigenen Nation“, aus dem sich „nunmehr ein besonderer Einsatz für patriotische Fragen ergeben muss“. Das klingt ziemlich nach dem angeblichen Demokratiedefizit des Ostens, das der ehemalige Ostbeauftragte der Bundesregierung Marco Wanderwitz feststellte.

Aber hier hat die Union Ostdeutschland mit Westdeutschland verwechselt. Also nochmal richtig und der Realität entsprechend: Für Westdeutschland muss einen „zum Teil fehlenden Bezug zur eigenen Nation“ diagnostiziert werden, aus dem sich „nunmehr ein besonderer Einsatz für patriotische Fragen ergeben muss“. Wenn ein Teil Deutschlands patriotisch denkt, dann ist das Ostdeutschland.

Heute sind Heimat und Identität in Deutschland besonders wichtig

In Zeiten heftiger Umbrüche technischer und politischer Art ist die Frage nach Heimat und Identität besonders entscheidend. Das ist mehr als ein kalter Verfassungspatriotismus, von dem Polit-Technokraten reden.

Patriotismus und Kultur sind vor allem der Raum von Gedanken und Emotionen, von Überlieferungen über Generationen, die Gedanken und Gefühle prägen. Dies prägt Identität einer Gruppe, einer Gesellschaft, einer Nation. Von Hölderlin stammt der Satz: „Das Eigene muss so gut gelernt sein wie das Fremde.“ Man könnte auch sagen: Nur, wer sich selbst gut kennt und liebt, kann das Fremde respektieren.

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