Tichys Einblick
"Schleuser nicht pauschal Kriminelle"

Grüne wollen alle Grenzkontrollen abschaffen

Der Nutzen der Grenzkontrollen bleibt umstritten, vor allem, solange sie von Faeser geplant werden. Die Grünen wollen nun alle Kontrollen abschaffen. Asylanträge müssten immer möglich sein, Schleuser seien nicht immer kriminell. Die Partei steht damit weitab von der Stimmung im Land, zumal im Osten.

picture alliance / dts-Agentur | -

Die Diskussion über Grenzkontrollen ist wieder zurück, seit die Fußball-EM und nun auch die Olympischen Spiele zu Ende gegangen sind. Wegen der beiden Sportereignisse hatte sich Innenministerin Nancy Faeser (SPD) zu Kontrollen an allen Grenzen Deutschlands breitschlagen lassen und so jahrealte Forderungen aus Opposition und Polizeigewerkschaft quasi erhört, auch wenn immer klar war, dass die Kontrollen nicht für immer dauern sollten.

Aber sogar einige SPD-Genossen hofften, dass Faeser die Kontrollen auf Dauer stellen könnte. Namentlich im SPD-regierten Bundesland Bremen ist man sich der ‚Bedeutung‘ offener Grenzen für die stadtinterne Kriminalität – durch Maghrebiner, die über Frankreich und die Benelux-Länder einwandern – nur allzu bewusst (TE berichtete hier und hier). Das allein könnte also ein guter Grund sein, um die Augen auch Richtung Westen zu öffnen.

CDU-Innenminister in den Ländern haben die Verlängerung aller Kontrollen bereits gefordert. Die aktuellen Grenzkontrollen müssten „über die Olympischen Spiele hinaus verlängert werden und so lange bleiben, bis die EU-Außengrenzen nachhaltig gesichert sind“, meinte etwa der baden-württembergische Amtsinhaber Thomas Strobl (CDU). Sein brandenburgischer Kollege Michael Stübgen will die Kontrollen erhalten, bis die EU-Asylreform im Jahr 2026 in Kraft tritt.

Billiger Weg für bessere Stimmung?

Die Bundespolizei wartete derweil mit allerhand Ergebnissen auf, auch mit einigem „Beifang“ wie lange gesuchten Tatverdächtigen, die bei Grenzkontrollen auffielen. Es hat also nicht unbedingt mit Einwanderungskontrolle zu tun, wenn Grenzkontrollen gefordert werden. Sie können aber trotzdem der Kontrolle der Migration dienen, wie auch die manchmal gelingenden Zurückweisungen der Bundespolizei zeigen. Trotzdem haben auch viele Migrationskritiker Zweifel, ob die Kontrollen de Bundespolizei letztlich eine Senkung der Zuwanderung nach Deutschland bewirken können.

Für CDU-Parteichef Friedrich Merz gehören sie zu jenen Dingen, die „kein Geld kosten“, aber „die Stimmung im Land sehr schnell zum Besseren ändern könnten“. Die Bundespolizisten werden ja ohnehin bezahlt – warum sie also nicht auch nutzbringend einsetzen, damit die Stimmung eine andere wird? So sieht also der Oppositionsführer das Instrument Grenzkontrollen, man könnte es instrumentell, vielleicht sogar manipulativ nennen. Laut Merz könnte damit aber auch die Schlepperkriminalität bekämpft werden, was ja auch eines der Ziele Faesers sein soll. Man merkt das nur nicht immer und an allen Handlungen der SPD-Dame mit Antifa-Nähe und Vorliebe für allerlei Verbote.

Nur einer der Koalitionspartner, die Grünen, hat mit großer Sicherheit andere Absichten und verbirgt das ja auch kaum. In einem offenen Brief an die EU-Kommission haben nun verschiedene Parteimitglieder ein generelles Ende aller Grenzkontrollen rund um Deutschland gefordert. Benannt werden dabei die Grenzkontrollen zu Polen, Tschechien, Österreich und der Schweiz, die derzeit noch bis zum Herbst fortbestehen und dann von Faeser verlängert werden dürften. Aber die Grünen betrachten eben diese Kontrollen, die teils schon seit 2015 durchlaufen, plötzlich „mit Sorgen“.

Grüne mit gefälligen „Fachgutachten“

Angeblich zeige ein „neues Fachgutachten“, dass die „Wirkung der Grenzkontrollen und diesbezügliche Erfolgsmeldungen sehr fragwürdig und in vielen Fällen nicht statistisch belegt sind“. Zu den Unterzeichnern gehören grüne EU-, Bundestags- und Landtagsabgeordnete wie Erik Marquardt (für die Grünen im EU-Parlament), Filiz Polat (Bundestag) oder Sahra Damus aus dem Brandenburger Landtag. Nun kann man über Sinn und Unsinn dieser konkreten Grenzkontrollen streiten. Laut Faeser werden damit Schleuserrouten „durchkreuzt“. Andere meinen, die Schleuser wüssten meist sehr genau, wo Kontrollen drohen, und wählen schlichtweg Ausweichrouten. Die Grünen wollen das Kind offenbar mit dem Bade ausschütten und zeigen dabei noch weniger Sicherheitsbedenken, als die SPD-Innenministerin schon für sich alleine vermissen lässt.

Dazu haben die Grünen in der Tat schon Vorarbeiten geleistet. Schon im Mai veröffentlichte die grüne Fraktion im Brandenburger Landtag eine von ihr beauftragte „Kurzexpertise“ zweier Sozialwissenschaftler. Darin heißt es unter anderem, die „Diskussionen in der Asyl- und Flüchtlingspolitik“ nähmen „zunehmend einen postfaktischen Charakter“ an und seien von „einem sehr selektiven Umgang mit empirischer Evidenz geprägt“. Eine „sorgfältige Auseinandersetzung mit Erkenntnissen der Wissenschaft“ komme „häufig zu kurz“, klagen die Soziologen, von denen einer über das Deutsche Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM) in direktem Sold der Bundesregierung steht. So relativiert sich auch das „Fachgutachten“ eventuell zum Gefälligkeitsgutachten, um nicht von einer aus Bundesmitteln herangezüchteten Forschungslandschaft zu sprechen.

Die Studie selbst möchte Schleuser nicht pauschal als Kriminelle ansehen, die „skrupellos, gewalttätig oder sogar vorsätzlich handeln“. Das sei eine „starke Vereinfachung der Realität“. Gibt es also gute Schleuser? Ja, genau. Es gebe „eine Vielfalt von Motiven und Formen von Schleusungen“, lassen die Autoren uns wissen: „Dabei spielt die ‚small-scale facilitation‘ ohne kriminelle Absicht und zum Teil ohne materiellen Nutzen eine wichtige Rolle.“ Mit anderen Worten: Wenn damit nicht das große Geld verdient wird, ist eine Delikt kein Delikt mehr. Das Steuern eines PKW über die Grenze oder die Begleitung von Migranten zu Fuß sei so eine Tätigkeit, die von kleinen Rädchen im Getriebe erledigt wird, die keine „höherrangigen Aufgaben in der organisierten Kriminalität“ übernähmen. Also alles halb so schlimm. Dies könnten die „legalen“ Wege nach Deutschland sein, die Grüne ermöglichen wollen.

Das böse Bild vom skrupellosen Schleuser

Die grünen Landtagsabgeordneten Sahra Damus und Benjamin Raschke nehmen solche Ansichten gerne zur Kenntnis und haben die Studie auch offiziell verlinkt. Sahra Damus formuliert etwa: „Das Bild vom skrupellosen Schleuser wird unzulässig vereinfacht und muss immer wieder herhalten für populistische Argumentationen.“ Schleusungen müssten „differenziert aufgeschlüsselt werden“, je nach dem, ob sie von den „Hintermännern“ aus der organisierten Kriminalität begangen werden und daher für die Migranten „gefährlich“ sind oder ob es sich um nette Handreichungen kleinkrimineller Gelegenheitsschleuser handelt.

In ihrer Mitteilung schreiben die beiden Grünen, dass in Brandenburg derzeit lediglich drei von 20 Grenzübergängen überhaupt rund um die Uhr besetzt seien. Daher seien Ausweichbewegungen auf die grüne Grenze wahrscheinlich. Leicht zurückgegangen seien auch die Aufgriffe von Schleusern, was auch für eine Vermeidung der kontrollierten Übergänge sprechen könnte.

Außerdem gehen die Grünen von vielen Mehrfachversuchen zur Einreise aus, die die Statistik verzerren würden. In derselben tauchen dann also mehr Zurückweisungen auf, als wirklich Personen zurückgewiesen wurden. Das ist eine Kritik an den veröffentlichten Zahlen, die auch von konservativer Seite kommen könnte. Allerdings weiß man es schlicht nicht genau und muss mit diesen Zahlen arbeiten. Die Grünen meinen zudem, auch durchreisende „Schutzsuchende“ würden so fälschlich als nach Deutschland eingereiste Zuwanderer gezählt, obwohl sie ihren Schutzantrag am Ende in anderen Ländern stellen würden. Aber das dürfte, wenn überhaupt, nur einen sehr kleinen Anteil ausmachen.

Die Polizei vor ihren Aufgaben schützen

Das Hauptargument der Grünen gegen Kontrollen bleibt, dass sich „die Menschen auf Kontrollen“ einstellen und die bewachten Grenzübergänge vermeiden. Das kann ein Argument gegen diese Art der selektiven Kontrollen bei niedrigem Personaleinsatz sein, aber nicht gegen Grenzkontrollen überhaupt. Außerdem haben die Grünen natürlich die Belastungen für Pendler, den Handel und „die Polizei selbst“ hervorgekramt. Die Bundespolizei wird nun also schon vor ihren ureigenen Aufgaben von den Grünen geschützt. Auch eine Art, den Plan „Defund the Police“ (Polizei definanzieren) voranzutreiben.

Benjamin Raschke, Fraktionschef der Grünen im Potsdamer Landtag, meint, dass alle, die nach Deutschland über die Landgrenzen einreisen, ein Recht auf einen Asylantrag hätten: „Nur in Erstaufnahmeeinrichtungen kann das Asylgesuch und die mögliche Zuständigkeit anderer Staaten geprüft werden.“ Die Bundespolizei ist da bekanntermaßen anderer Ansicht und sagt, sie verfüge über Ressourcen und die Fähigkeit zur Zurückweisung von Migranten, die ohne Berechtigung nach Deutschland einreisen wollen. So viel Zutrauen sollte man vielleicht noch in den früheren Bundesgrenzschutz haben.

Die Grünen wollen das nicht, weil sie andere Interessen haben. Selbst der fadenscheinige Grenzschutz an drei von 20 Grenzübergängen (in Brandenburg) ist ihnen noch zu viel. Von wirklich wirksamen Grenzkontrollen wie in Vor-Schengen-Zeiten ist Deutschland dabei noch weit entfernt. Die Grünen wünschen sich freien Zugang zum deutschen Asylsystem für alle jene, die schon in anderen EU-Ländern registriert sind und auch dort Schutzanträge hätten stellen können. Das Grundgesetz und die Dublin-Regeln sind ihnen egal. Hauptsache keine Zurückweisungen in supersichere Nachbarländer wie Polen, Österreich oder in den Schengen-Partner Schweiz. Aber die Haltung der Grünen exponiert sie als eine Partei, die sich meilenweit von der Stimmung im Lande entfernt hat. Das gilt vor allem für die ostdeutschen Bundesländer, in denen die Grünen durchgehend an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern könnten.

Anzeige
Die mobile Version verlassen