Hält Omid Nouripour Teile der Scharia immer noch für mit dem Grundgesetz vereinbar?
Zara Riffler
Der neue Grünen-Vorsitzende Omid Nouripour behauptete 2018, dass Teile der Scharia mit dem Grundgesetz vereinbar seien: Die Politik müsse dafür sorgen, dass diese Teile in Deutschland angewendet werden können. Ein fatales Signal für Parallelgesellschaften.
Der neugewählte Vorsitzende der Grünen, Omid Nouripour, flüchtete 1988 mit seinen Eltern aus dem Iran nach Deutschland. Zu dieser Zeit war Nouripour erst dreizehn Jahre alt. Sein Onkel wurde damals im Iran hingerichtet, und seine Schwester war bereits einmal verhaftet worden. Nouripour müsste also um die Brutalität der Scharia bestens Bescheid wissen, die im Iran als Rechtssystem gilt.
Doch im Zuge seiner gerade erfolgten Wahl zum neuen Grünen-Vorsitzenden taucht ein kurioser Redebeitrag von ihm auf, den er 2018 gehalten hat. Darin plädiert Nouripour, dass die Politik dafür Sorge tragen müsse, dass „Teile der Scharia“, die mit dem „Grundgesetz vereinbar“ seien, in Deutschland angewendet werden können. Das ist ein fatales Signal für Scharia-Verfechter in Deutschland und Frauen sowie Homosexuelle, die darunter leiden würden.
Die Farbe dieser Partei ist die gleiche wie die des Islams. Grün.
Irgend wann dann auch Homosexuelle töten und Gliedmaße abschneiden? Wehret den Anfängen! pic.twitter.com/wPwoquqVBy
Omid Nouripour hielt diese Rede im Rahmen der Bundestagsdebatte 2018 über den AfD-Antrag „Unvereinbarkeit von Islam, Scharia und Rechtsstaat“. Auf eine provokante Rede des AfD-Abgeordneten Dr. Gottfried Curio, der fragte „Ist das also Merkels Motto: nach mir die Scharia?“ und dabei Straftaten aufzählte und Antisemitismus benannte, entgegnete Nouripour:
„Es sind ganz viele Arten von Scharia unterwegs. Unser Job hier ist dafür zu sorgen, dass die Teile, die mit dem Grundgesetz vereinbar sind, auch angewendet werden können. Und die nicht, eben nicht. Aber es gibt zahlreiche Arten der Scharia. Ich frage mich, ob er die Reclam-Ausgabe meint, wenn er Scharia sagt. Wissen Sie, wovon er redet? Und die zweite Frage ist: Die Geschichte des Islams ist eine ganz lange Geschichte von Interpretationsmöglichkeiten und es gab bis Ende des 19. Jahrhunderts unter jedem Gutachten immer einen Satz, der hieß ‚wie es aber wirklich ist, weiß nicht der Mensch, sondern nur der Gott, der der Gläubigen‘.“
Zwar sagte der Grünen-Bundestagsabgeordnete, dass die Teile der Scharia, die „eben nicht“ mit dem Grundgesetz vereinbar seien, nicht angewendet werden sollen. Aber die Frage ist: Welche Arten der Scharia sind denn überhaupt mit dem deutschen Grundgesetz vereinbar? Denn welche „Arten“ Nouripour konkret meint, gab er nicht preis.
Das islamische Recht, die „Scharia“, ist kein einheitliches Gesetzbuch. Neben dem brutalen Scharia-Strafrecht geht es auch um die religiösen Regeln der Glaubenspraxis: Speisevorschriften, Beten und Fasten. Allerdings fällt dies automatisch unter die Religionsfreiheit des deutschen Grundgesetzes, weshalb Politiker nicht erst dafür „Sorge tragen müssen“, dass diese Teile der Scharia hier angewendet werden müssen.
Wenn ein Politiker im Bundestag ausspricht, dass dafür Sorge getragen werden muss, dass Scharia-Teile in Deutschland angewendet werden können – dann hat diese Aussage eine unfassbare Problematik und gravierende Symbolik. Unter „Scharia“ versteht der Westen nämlich nicht bloß das einfache Beten von Muslimen. Sondern die höchst problematischen bis mittelalterlichen Anweisungen für das Verhalten in Familie und Gesellschaft. Es widerspricht vollständig der Moderne und Demokratie westlicher Länder, dass die Religion entscheidet, was man trinkt, wen man heiratet, wie man Frauen, Homosexuelle, Andersgläubige und Minderheiten behandelt.
Die Scharia geht weit über Religion an sich hinaus; sie ist ein politisch-islamisches Recht, das unvereinbar ist mit internationalen Menschenrechten wie Glaubensfreiheit, Meinungsfreiheit oder Gleichstellung von Mann und Frau. In islamischen Ländern, in denen das Scharia-Strafrecht angewendet wird, folgen brutale Strafen: Wer etwas stiehlt, dem wird die Hand abgehackt, wer Ehebruch begeht, wird gesteinigt, wer homosexuell ist oder vom Glauben abfällt, wird mit dem Tod bestraft.
Scharia-Teile finden bereits Anwendung in Deutschland
Besonders Frauen und Homosexuelle werden durch die Scharia zutiefst diskriminiert. Geht es nach der Scharia, so dürfen Frauen keine eigenen Entscheidungen treffen, sie sind dem Mann untergeordnet, dem es erlaubt ist, seine Frau gewaltsam zu bestrafen. Diese Scharia-Teile, welche die Frauen diskriminieren, finden in Deutschland längst in der Realität statt. Besonders wenn es um Erbe, Heirat, Scheidung und Sorgerecht geht, ist die Frau benachteiligt – auch das findet in Deutschland teilweise statt. Denn Gerichte in Deutschland müssen nicht das heimische Recht anwenden, wenn es um Zivilrecht geht, sondern können das jeweilige ausländische Recht des Herkunftslandes anwenden, beispielsweise wenn die deutsche Staatsbürgerschaft nicht vorliegt.
Doch nicht nur im juristischen Raum, sondern in sozialen Räumen findet das in Parallelgesellschaften ebenso statt. Vor Kurzem berichtete TE darüber, dass einige DITIB-Jugendverbände die Kinder in Deutschland nach der Scharia erziehen: Es wird strikt Geschlechtertrennung eingehalten und den jungen Mädchen wird beigebracht, dass sie vor der Ehe überhaupt nicht mit Jungs in Berührung kommen dürfen – nicht einmal über Social Media. Alle Zusammenkünfte ohne nikah (Ehebund) wären verboten, alles andere wäre „zina” („Unzucht“).
Besonders betroffen von solchen Scharia-Regeln sind junge Frauen in patriarchalisch geprägten Familienverhältnissen: Ihnen ist Sex und Kontakt mit jeglichen Männern vor der Ehe verboten – auch damit die Familienehre nicht verletzt wird. Sie dürfen sich nicht freizügig, also westlich kleiden, sondern müssen sich verhüllen und bedecken. Gehorchen diese Frauen nicht, müssen sie oft um ihr Leben fürchten. In Deutschland sind bereits Hunderte sogenannte Ehrenmorde begangen worden.
Auch das Erbrecht wird von vielen muslimischen Verbänden in Deutschland nach der Scharia propagiert: So steht der Frau um die Hälfte weniger zu als dem Mann. Die hier in Deutschland ausgelebte Scharia in Parallelgesellschaften führt dazu, dass die Gleichberechtigung, die im Grundgesetz garantiert ist, in der Realität nicht umgesetzt wird. In diesen Parallelgesellschaften spielt einfach keine Rolle, was im Grundgesetz steht. Wenn der Bundestagsabgeordnete also solch eine Äußerung trifft, gibt er den Scharia-Verfechtern ein fatales Signal.
Die Aussagen von Omid Nouripour sind auch deshalb kurios, weil er in der Vergangenheit immer klar Stellung zu Islamisten wie den Taliban bezog, welche die brutalste Scharia eingeführt haben. Im Jahr 2017 veröffentlichte er das Buch „Was tun gegen Dschihadisten?“, das von renommierten Islam-Kritikern vielfach gelobt wurde. Auch befürwortet er klar die Diskussionen über den politischen Islam. Der Grünen-Bundestagsabgeordnete ist bezüglich Islam-Themen und islamischen Verbänden widersprüchlich.
So war Nouripour 2009 Mitglied der Islamkonferenz. Doch in einem Interview mit der taz plädierte er dafür, dass die Ahmadiyya-Gemeinde ebenso mit am Tisch sitzen darf. Öfters war Nouripour schon bei Ahmadiyya-Veranstaltungen zu Gast. Beispielsweise 2012 in Bentheim oder 2019 in Berlin beim Ahamdiyya-Event “Islam und Europa –Kampf der Kulturen?”, wo auch Vertreter anderer Fraktionen anwesend waren. Die Ahmadiyya ist streng hierarchisch organisiert und wird von Wissenschaftlern als islamische Sekte angesehen.
Die Gemeinde Ahmadiyya gibt vor, es gäbe bloß ein falsches Verständnis der „Scharia“. Doch die Wirklichkeit sieht anders aus. Laut Islam-Expertin Susanne Schröter wolle die Ahmadiyya ein weltumspannendes Kalifat und stelle die Scharia über das Grundgesetz. Besonders was Frauen und Homosexualität betrifft, gibt es immer wieder diskriminierende Vorfälle, die durch Videos oder Broschüren öffentlich gemacht werden. Widersprüchlich ist auch, dass Nouripour sich gegen die antiisraelische und antisemitische BDS-Bewegung („Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen“) positioniert, er aber in der „Deutsch-Palästinensischen Gesellschaft“ (DPG) im Beirat saß, die der BDS-Bewegung nahesteht. Derweil ist Nouripour aus dem Beirat ausgeschieden.
Anzeige
Wenn Ihnen unser Artikel gefallen hat: Unterstützen Sie diese Form des Journalismus. Unterstützen