Tichys Einblick
Kernkraft-Kompromiss

Es herrscht das grüne Narrativ

Die Ansage von Kanzler Scholz, drei Kernkraftwerke bis Mitte April weiterlaufen zu lassen, stößt bei den Grünen auf beleidigtes Murren. Wie immer verlegen sie sich nicht auf Fakten, sondern Narrative: Die FDP sei verbohrt, der Kanzler überschreite seine Kompetenz und die ganze Entscheidung sei fachlich nicht gedeckt.

IMAGO / Political Moments

„Ich finde diese Entscheidung jetzt nicht die geschickteste, weil wir im Norden ja tendenziell eher Stromüberschuss haben“, begann Anton Hofreiter (Grüne) patzig den Morgen im n-tv Frühstart. „Aber mein Gott, die FDP ist halt ideologisch verbohrt und des lieben Friedens willen muss man auch mal eine gewisse ideologische Verbohrtheit hinnehmen.“

Sie lesen richtig. Nicht etwa die Grünen, die die Laufzeitverlängerung verschleppen und ein ganzes Land damit in Geiselhaft nehmen – und das noch am Wochenende betont haben –, sind die ideologisch Verbohrten, sondern die FDP. Fragmente eines neuen Narrativkrieges. Denn das ist die grüne Spezialdisziplin: Nicht die realen Fakten zählen, sondern wie man die eigenen Fakten verkauft. Und in Hofreiters Narrativ ist die FDP die Diva, der man jetzt eben nachgibt. Weil man der Klügere ist.

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Die Quintessenz von Hofreiters Auftritt: Nicht die Grünen, sondern die FDP hat verloren. Denn neue Brennstäbe, wie sie diese haben wollte, bekam sie nicht. Ähnliches konnte man am Dienstagmorgen auch bei grünen Flankenverstärkern lesen. Eigentlich sei die FDP die Verliererin des gestrigen Tages, weil der Atomausstieg endgültig sei. Auf diesem Niveau ist auch die entschlossene Ankündigung von Parteichefin Ricarda Lang einzuordnen: „Wir werden dazu Gespräche führen.“ Das ist nur eine Kinositzreihe von „I’ll be back“ entfernt.

Ein ähnliches Narrativ: Die Inbetriebnahme der AKWs sei gar nicht nötig. Das hatte nicht nur Parteichefin Ricarda Lang am Wochenende betont, sondern auch die Grünen-Fraktionsvorsitzenden Katharina Dröge und Britta Haßelmann. Zitat: „Bedauerlich, dass Olaf Scholz und die SPD offenbar bereit sind, das AKW Emsland in den Reservebetrieb zu nehmen, obwohl es sachlich und fachlich dafür keinen Grund gibt.“ Ähnlich äußerten sich die Grünen-Politiker Julia Willie Hamburg und Christian Meyer. „Dass Olaf Scholz die Richtlinienkompetenz für einen befristeten Weiterbetrieb des Atomkraftwerks Emsland gezogen hat, ist unnötig und ohne fachliche Grundlage.“

Jürgen Trittin durfte nicht nur dem Kanzler, sondern sogar dem Grundgesetz widersprechen. „Mag sein, dass der Brief von der Geschäftsordnung der Bundesregierung gedeckt ist, vom Grundgesetz ist er es nicht“, sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. „Danach führen die Minister ihre Ressorts in eigener Verantwortung.“ Trittin insinuiert damit eine Unabhängigkeit der Minister, die es in diesem Sinne gar nicht gibt. Denn zur Richtlinienkompetenz lesen wir Folgendes im Grundgesetz: „Innerhalb dieser Richtlinien leitet jeder Bundesminister seinen Geschäftsbereich selbständig und unter eigener Verantwortung.“ Innerhalb der Richtlinien – nicht außerhalb.

Das grüne Narrativ herrscht nicht nur, weil es so weit verbreitet wird; es herrscht auch, weil sich niemand bemüßigt fühlt, ihm zu widersprechen. Der Gegner ist verbohrt oder wahlweise irrational, ob nun die FDP oder der Kanzler. Wie unartige Küken begutachten die grünen Glucken die politischen Entscheidungen. Grün sein heißt, sich davor zu ängstigen, weil es Mitte Oktober mal warm ist, weil die Klimakatastrophe an die Türe klopft, andererseits einen bevorstehenden Blackout als Lappalie abzutun und den Waschlappen hervorzuholen.

Dass man selbst inmitten der größten Wirtschaftskrise der Nachkriegszeit lieber über Klimaschutz trällert, während ein Betrieb nach dem nächsten wegen Inflation und Energiekosten schließt, zeigt nicht so sehr, dass die Grünen der Realität enthoben sind; es unterstreicht vielmehr, wie das grüne Narrativ selbst an diesem Tag den Diskurs bestimmt. Ansonsten deutete der Finger längst aus allen Richtungen auf den nackten Kaiser. Die Entzauberung der Grünen wird noch lange ein Desiderat bleiben. Wenn sie je eintreten sollte.

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