Wer grüne Politik angreift, betreibt Putinsche Desinformation – das behauptete zuletzt Renate Künast bei Maischberger, und sprang damit auf den Zug auf, mit dem man unter Grünen versucht, das eigene Versagen bei den jüngsten Wahlen zu erklären, ohne auf so unzeitgemäße Tugenden wie Selbstkritik zurückgreifen zu müssen. Da die gesellschaftlichen und ökonomischen Umbauprojekte der Ampel maßgeblich als grüner Ideologie entsprechende Anliegen verstanden werden, fällt das Scheitern dieser Pläne nun eben auf die Partei zurück.
Doch anstatt innen- und gesellschaftspolitisch eine Wende zu vollziehen, versucht man bei den Grünen lieber, das Problem unter einen blau-gelben Teppich zu kehren: Der Krieg in der Ukraine muss es richten, und so instrumentalisiert man die außenpolitische Krise, um sich nach innen zu konsolidieren.
Das ist kurzsichtig und unverantwortlich. Das Vertrauen in die grüne Lesart der Wirklichkeit liegt zunehmend am Boden, was negativ auf die Solidarität mit der Ukraine zurückfällt: Denn wieso sollte man den Grünen in der Bewertung der außenpolitischen Situation trauen, wenn sie innenpolitisch zum Teil grotesk danebenliegen (zumal mit Annalena Baerbock ein Totalausfall das Außenministerium leitet)?
Erschwerend kommt hinzu, dass die Grünen weiterhin nicht davon Abstand nehmen, sich durch Moralisierung gegen Widerrede zu immunisieren: Wer an ihnen Kritik übt, ist eben Putin-Freund. „Wer die Grünen verteufelt, während Faschisten und Putin-Fans auf dem Vormarsch sind, sollte Politik anderen überlassen“, so der Grünen-Bundestagsabgeordnete Felix Banaszak gegenüber der Funke-Mediengruppe.
So erspart man sich, der Bevölkerung erklären zu müssen, warum die Ukraine unterstützt werden muss. Man unterlässt auch sträflich, die Perspektive der östlichen Nachbarn sichtbar zu machen, die Haltung und die Sorgen der Balten oder Polen einer breiten Öffentlichkeit zu vermitteln.
All das spielt jenen in die Hände, die an den rechten und linken Rändern unkritisch tatsächlich prorussische Propaganda betreiben: Mit dem BSW steigt eine Partei auf, deren Vorsitzende Putins Stalinismus-Nostalgie teilt, und auch die AfD klingt in dieser Angelegenheit auffallend sozialistisch. Erstaunlich, dass dies in Ostdeutschland verfängt: Fatalerweise überlagert die Erfahrung, dass Mainstream, Eliten, „die da oben“, kreativ mit der Darstellung der Wirklichkeit umgehen, die Erinnerung an vierzig Jahre lügnerischer Verzerrung von Worten wie „Frieden“ und „Freundschaft“.
Russland ergeht sich derweil in Geschichtsfälschung, deren Effizienz gerade darin liegt, dass sie völlig unverfroren ist: Am 17. September veröffentlichte das russische Außenministerium ein Video, das den Einmarsch in Polen 1939 als Schutzmaßnahme gegen den Aggressor Polen darstellt: Hitler-Stalin-Pakt? Fehlanzeige. Die so konstruierte Kontinuität der Sowjetunion respektive Russlands als friedlicher, zu Unrecht verurteilter Riese, der lediglich ab und zu Imperialisten in ihre Schranken weist, und ethnische Minderheiten schützt, ist in vielerlei Hinsicht beunruhigend, vor allem aber im Hinblick auf die Sicherheit der westlichen Nachbarländer Russlands.
Bei aller angebrachten Skepsis gegenüber jeglichen historischen Narrativen liegt hier nicht einfach eine andere Lesart vor, sondern die Schaffung einer fiktiven Faktenbasis, ein historisches Paralleluniversum, das natürlich auch in die Zukunft hinein Wirkung entfaltet, und nicht zuletzt den Weg zu Versöhnung und Ausgleich erschwert.
Mittlerweile scheint also ein Großteil deutscher Politik auf dem Rücken der Ukraine ausgetragen zu werden: Die traditionell in Russland verliebte SPD weiß nicht wohin, BSW und AfD arbeiten mit der Nuklear-Angst der Generation Friedensbewegung, und die Grünen waschen sich mit Hinweis auf angebliche russische Desinformation von der Verantwortung für das eigene Scheitern rein: Angesichts der Sicherheitslage in Europa und der anstehenden Wahlen in den USA sollten alle Beteiligten in Erwägung ziehen, das Kreisen um sich selbst einzustellen.