Tichys Einblick
Von der Nanny zum trotzigen Bengel

Nur ein wenig Kritik, und schon reagieren die Grünen verletzt, beleidigt, verunsichert – wie fragil ist die Partei?

Wie zerbrechlich das grüne Selbstbewusstsein ist, zeigt sich in diesen Tagen. Leser unabhängiger Medien essen nicht mit Messer und Gabel. Renate Künast droht der FDP, sie werde ihren Kurs „noch bereuen“. Und ein grüner Stadtrat fühlt sich gar als „Neuer Jude“, dem die Ausmerzung droht. Katharina Schulze fordert nach der Demo gegen das Heizgesetz in Erding die Entlassung Hubert Aiwangers.

IMAGO/photothek

Fragilität ist in. Bisher hatten wir es vor allem mit Fragilitäten zu tun, die Linke und Grüne kommunizierten. Männliche Fragilität etwa: harte Kerle, die in Wirklichkeit zerbrechliche Loser sind. Die Fragilität von Geschlechtlichkeit schlechthin. Aus den USA schwappt auch der Begriff der „white fragility“ zu uns rüber, der besagt, dass Weiße bereits genetisch Rassisten seien, aber extrem empfindlich darauf reagierten, wenn man sie mit Rassismusvorwürfen behellige. Allerdings gewinnt auch die Fragilität von Demokratien immer größere Bedeutung – die natürlich nur von einer Seite unterminiert werden.

Die magische 13
Grüne am Rande des Nervenzusammenbruchs
Von einer Fragilität las man jedoch bisher reichlich wenig. Es handelt sich um die grüne Fragilität. Es behandelt das Phänomen der extremen Empfindlichkeit von Parteivertretern, wenn sie sich nicht im warmen Schoß des medialen Lobes befinden, und politische Gegenmeinungen die Oberhand zu gewinnen drohen. Etwa, wenn die AfD 20 Prozent in Umfragen erhält und die Werte der Grünen sich wieder in Richtung Einstelligkeit bewegen. Wenn in Erding eine Demonstration dezidiert gegen die grüne Politik stattfindet – und das mit Erfolg. Und wenn ein Heizungsgesetz immer mehr zum Schicksalspunkt dieser Ampel-Regierung stilisiert wird – es aber immer schwieriger fällt, dieses so durch das Parlament zu peitschen, wie man es vorhatte.

Das Aushängeschild grüner Fragilität war dieser Tage der Münchener Stadtrat Bernd Schreyer. Dieser twitterte am Wochenende: „Obwohl es nie ein Heizungsverbot gab, ist es gelungen so gegen Grüne aufzuwiegeln, als seien sie d. ’neuen Juden‘, die ‚ausgemerzt‘ werden müssen, um Deutschland wieder alles Glück und Wohlstand zu bringen.“ Nachdem Schreyer seinen Tweet gelöscht hatte, verteidigte er sich, dass er keinen Holocaust-Vergleich hatte bemühen wollen. Vielmehr habe er sich auf die 1920er Jahre bezogen. Auch das war ein eher panisches Manöver. „Ausgemerzt“ wurden die Juden schließlich nicht in der Weimarer Republik. Mittlerweile hat Schreyer sich entschuldigt – und seinen Posten geräumt.

Ein Ausrutscher? Eher ein Stück in einem Mosaikmuster. In der letzten Woche teilt Cem Özdemir gegen die Leser grünkritischer Medien wie denen von Julian Reichelt und Tichys Einblick aus. Sie folgten Medien, die sich Sachen ausdenken und verfälschen würden. Die hätte ein zivilisierter Mensch, der mit Messer und Gabel isst, früher nicht angefasst.

Aber auch dieser Angriff entpuppt sich als Rohrkrepierer. Im Netz wird der Landwirtschaftsminister zum Gespött. Als kulturloser Barbar lässt man sich eben ungern beschimpfen. Es herrscht eine Stimmung wie kurz vor der Niederlage von Hillary Clinton im US-Wahlkampf von 2016, als sie glaubte, mit Wählerbeschimpfungen etwas zu erreichen. In Wirklichkeit bestärkte sie ihre Niederlage und beförderte die Kampagne ihres Gegners Donald Trump. Die Grünen graben sich tiefer ins Loch, statt herauszukommen.

Die Nerven liegen demnach blank. Die Grünen zeigen, dass ihr Selbstbewusstsein auf wackligen Füßen steht. Es ist nicht das erste Mal, dass sie eine Niederlage hinnehmen müssen. Davon gab es in den letzten beiden Jahrzehnten genügend. Schon damals reagierten sie empfindlich. Schlechte Wahlergebnisse quittierten sie mit der Feststellung, dass der Wähler ihr Programm nicht verstanden hätte. Sie unterstellten dem Bürger damit letztlich Beschränktheit und Ignoranz. Dass der Bürger womöglich zu gut verstanden hatte, was die Grünen wollten, kam ihnen nicht in den Sinn.

Dass es nicht an den eigenen Inhalten, sondern der Dummheit des Pöbels liegen musste, ist ein sich wiederholendes Narrativ. Die Bundestagsabgeordnete Renate Künast formulierte es letzte Woche so: „Wir haben die Notwendigkeit und das soziale Motiv für dieses Gesetz nicht ausreichend erklärt und damit das Gesetz nicht ausreichend gut vorbereitet.“ Gesetze ergehen nicht zum Wohle des Volkes, sie sind eher ein Wert an sich, der von oben nach unten kommuniziert werden muss. Es kann schlicht nicht sein, dass ein von den Grünen ausgearbeitetes Gesetz schlecht ist, es wurde nur „schlecht vorbereitet“, weil es Koalitionspartner und Volk unappetitlich empfinden. Mit einer roten Schleife wird alles besser.

Künast ist zu einer Art Stimmungsthermometer ihrer Partei geworden. Olaf Scholz kritisierte sie. Es sei schwieriger geworden, mit der SPD zu koalieren als unter Gerhard Schröder. „Der Umgang miteinander ist heute anders, zu wenig kooperativ“, sagte sie der Zeit. Scholz sorge mitunter dafür, dass sich nichts bewege. „Das ist auch eine Art des Eingriffs, allerdings kein konstruktiver.“

Im Zeit-Gespräch wahrt sie die Contenance. Auf Twitter kann man jedoch deutlicher ablesen, dass es hinter dieser Maske anders zugeht. „Und jeder, gegenüber dem Links-Grünen Wertekanon Andersdenkende wird fast schon inflationär als Nazi diffamiert. Gerne auch als Idiot“, schreibt die FDP-Abgeordnete Katja Adler. Künast bestätigt genau diesen Vorwurf, als sie ihr empört erwidert: „Was ist in ihrem Leben schief gelaufen, dass sie hier so hasserfüllt rumtweeten?“ Schon eine Woche zuvor pöbelte Künast in die Richtung der FDP-Frau: „Sie hat einfach nix eigenes das halbwegs darstellbar wäre.“

Nur einen Tag später wird Künast erneut ausfällig. „Haben die von der #FDP nix zu arbeiten sonst als bashing?“, schreibt sie auf Twitter, dieses Mal in Richtung von Gerald Ulrich, ebenfalls FDP. Und sie droht: „Schauspiel das sich nicht auszahlen wird. Ihr werdet es bereuen.“ Bisher hatte man scherzhaft von einer grünen Mafia gesprochen, wenn es um die Agora-Connections ging; aber dieser Tonfall gegenüber Bundestagsabgeordneten? Schafft man sich so Verbündete in einer ramponierten Koalition? Für ihr Heizungsgesetz brauchen die Grünen auch die Stimmen der FDP.

— Renate Künast (@RenateKuenast) June 12, 2023

Adler wie Ulrich haben einen „Fehler“ gemacht. Sie haben sich auf die Aussagen des Forsa-Chefs Manfred Güllner bezogen. Künast greift die beiden FDP-Abgeordneten an, aber eigentlich ist es der SPD-Mann Güllner, der den Grünen am Montag einen Nervenzusammenbruch beschert hat. Derselbe Mann, der unter Rot-Grün noch als eine verbündete Stimme bei den Meinungsforschungsinstituten galt, hat sich ganz offen gegen die Grünen gestellt.

„Die große Mehrheit der früheren SPD-Wähler in normalen Arbeitsverhältnissen hat den Eindruck, dass sich ‚ihre‘ einstige Partei zu sehr einer Art grüner Diktatur beugt“, so konstatierte er im Interview mit der Welt. Wie so häufig grollen die Grünen eigentlich der SPD, schlagen aber auf die FDP ein. Und das zu einem Zeitpunkt, an dem die grüne Hysterie vom Wochenende noch nicht abgeflaut war.

Wie beschrieben: Die Grünen haben schon früher Niederlagen entgegennehmen müssen. Doch dieses Mal ist etwas anders. Die Ausfälle grüner Mitglieder häufen sich, werden zum Alltag. Es zeigt sich das Bild einer zutiefst verunsicherten Partei, die sich viel zu lange unangreifbar glaubte, nun aber nicht nur Umfragewerte, sondern auch ihre kulturelle Hegemonie bröckeln sieht. Plötzlich kann man Grüne kritisieren und gilt nicht gleich als Populist. Auch in den Redaktionsstuben, die die Grünen vielleicht nicht hochschrieben, dafür aber duldeten, gibt es nun den einen oder anderen Journalisten, der sein Eigenheim bedroht sieht. Und wenn ein Grüner den Holocaust im Eigeninteresse verharmlost, muss er die Konsequenzen tragen.

Dennoch konnten es die Grünen nicht sein lassen. Besonders nicht bei der anti-grünen Demonstration in Erding. Dabei bemühte Ricarda Lang eine bemerkenswerte Logik, als sie den Auftritt des bayerischen Ministerpräsidenten kritisierte. Es habe sich „dort noch mal ganz klar und auf den Punkt gezeigt, dass die Strategie, den Rechten nach dem Mund zu reden, am Ende nicht den Konservativen nutzt, sondern ganz im Gegenteil das Original stärkt“, so Lang. Das mag auf Markus Söder zutreffen – aber eben nicht, weil dieser „den Rechten nach dem Mund“ redete, sondern weil er als Daueropportunist unglaubwürdig war.

Und die glücklose Landesvorsitzende Katharina Schulze stellt mit ihrer Fraktion im Bayerischen Landtag einen Dringlichkeitsantrag, der Markus Söder auffordert, „Hubert Aiwanger nach seinen demokratiefeindlichen Aussagen zu entlassen. Demokratie gemeinsam stärken statt das Lied der Rechtspopulisten singen muss die Losung sein.“

Bemerkenswerterweise erhält sie Unterstützung von der CSU, da Chef Markus Söder auf der Veranstaltung in Erding auch ausgepfiffen worden war und er erst reden konnte, nachdem sich die Kabarettistin Monika Gruber sich schützend vor ihn gestellt hatte. Das greift natürlich das Selbstwertgefühl des schwarzen Mannes an – ist auch die CSU schon angekränkelt von Fragilität?

Hubert Aiwanger konnte dagegen mit eben dieser Strategie erheblich bei alten und neuen Wählern über die Landesgrenzen Bayerns hinaus punkten. Er war der politische Gewinner am Samstag. Es bestätigte sich also genau das, was Lang bestreitet – und es ist für jeden mehr als offensichtlich, der die Reaktionen auf das Erdinger Ereignis beobachtet hat. Jetzt muss er nur noch durchhalten – oder er zerfällt in 1000 Scherben. Die Grünen versuchen sich neuerlich an Realitätsklitterung, aber jeder sieht, dass sie es aus Verzweiflung, nicht aus einer Position der Stärke heraus tun. Neuerlich ringen sie mit der Ohnmacht. Wie konnte das passieren – eine dezidiert anti-grüne Demo in einem westdeutschen Bundesland, dazu in der Nähe einer Landeshauptstadt und mit Unterstützung etablierter Kräfte –, ohne dass man die Veranstaltung als ein Happening gemeingefährlicher Reichsbürger oder jammernder „Deplorables“ abtun kann?

Vielleicht mag der Versuch, die Demonstration in Erding als Schulterschluss mit Rechtsextremisten darzustellen, im Juste Milieu gelungen sein – aber eben nicht in der Breite der Gesellschaft, die bei den Grünen sowieso kein Kreuz setzen würden. So unglaubwürdig der Auftritt von Markus Söder in Erding wirken mag, so sehr hat dieser dazu geführt, die Demonstration als Ereignis der Bürgerlichen zu markieren und nicht als Demonstration am Rande der Gesellschaft. Das wirkmächtige grüne Narrativ, das zu gerne mit dem Begriff „Querdenker“ eine Gegenbewegung skandalisiert hätte, verfängt nicht. Da mögen die ideologisch Festgelegten so viel dagegen anschreiben. Die Bürger, mit denen Journalisten und Politiker in den letzten Jahren zu gerne im Kindersprech parlierten, sind der Bevormundung überdrüssig. In ihrer Ohnmacht geriert sich die grüne Nanny dafür umso mehr wie ein Bengel in der Trotzphase.

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