Wie beim Ende des Transrapids sind die Grünen in Siegerlaune. Wie damals ist auch der Ausstieg aus der Atomkraft eher Technologiefeindlichkeit denn Innovation geschuldet. Jürgen Trittin steigt die Unangreifbarkeit indes zu Kopf.
Jürgen Trittin ist ein Mann mit Selbstbewusstsein. Freundlich gesprochen. Die Deutschen unterhalten zu dem Mann, der ihnen Dosenpfand und die berühmte Kugel Eis einbrockte, ein besonderes Verhältnis. Trittin ist sich dessen bewusst. „Es bleibt dabei, dass die Förderung erneuerbarer Energien einen durchschnittlichen Haushalt nur rund 1 Euro im Monat kostet – so viel wie eine Kugel Eis.“ Es war das Jahr 2004.
Zwanzig Jahre, einige Milliarden Euro und einem der höchsten Strompreise in Europa, später zieht Trittin auf Twitter Bilanz. „Interessant“, schreibt der einstige Bundesumweltminister und fügt einen Smiley mit Sonnenbrille hinzu. Er teilt einen Artikel des Spiegel. Titel: „Warum ist eine Kugel Eis so teuer geworden?“
Man mag das als Chuzpe bewerten. Vielleicht als Hohn und Spott. Es ist aber mit Sicherheit ein Zeichen der eigenen Unangreifbarkeit. Jede andere Partei, jeder andere Politiker riskierte mit dieser Wiedervorlage des Nahles’schen „Bätschi!“ Empörung im Blätterwald. Bei Trittin branden allein die wütenden Antworten von Twitterusern gegen das felsenfeste Ego eines Mannes an, der schon früher dafür bekannt war, „innerlich wie gepanzert“ zu sein. Kaum ein deutscher Politiker strahlt eine solche Gewissheit auf, stets auf der richtigen Seite, heißt der Gewinnerseite der Geschichte zu stehen.
Trittin steht symbolisch für ein grünes Triumphgefühl, das sich dieser Tage allem Irdischen enthoben fühlt. Auf dem Streitwagen steht kein Diener, der den ungekrönten grünen Imperatoren zuruft, sich doch ihrer Sterblichkeit bewusst zu bleiben. Der 15. April ist die Vollendung eines Traums. Zwar war es Rot-Grün, das mit Fischer, Trittin und Rainer Baake den Startschuss gegeben hat; doch die CDU ist der eigentliche Erfüller dieses Ausstiegs, weil sich damit der politisch-kernkraftfreundliche Block an die Spitze der Bewegung der Energiewende stellte.
Da nützen auch Ablenkungsmanöver wie die von Jens Spahn nichts, der beim Nachrichtensender n-tv den 15. April als „schwarzen Tag für den Klimaschutz“ bezeichnete. Ausgerechnet an die FDP, mit der die Union das Ende der Kernkraft besiegelt hatte, appellierte Spahn, den Atomausstieg zu verhindern. Dabei hat Spahn persönlich am 30. Juni 2011 dafür gestimmt, bis zum 31.12.2022 aus der Kernenergie auszusteigen. Vielmehr unterstreicht die Groschenoper, dass man nun, da es in der Bevölkerung einen Stimmungswandel gibt, neuerlich opportunistisch auf der Meinungswelle surfen will, statt von Anfang bis zu Ende auf eine konsequent seriöse Energiepolitik zu vertrauen.
Zu den gelungenen Strategien Trittins wie seiner Partei gehört es dabei, die eigene Fortschrittsfeindlichkeit als Fortschrittsfreundlichkeit auszugeben und die Technologieoffenheit der Konkurrenz als Rückwärtsgewandtheit. Dazu gehört nicht nur die Leugnung der Fortentwicklung der Kernkrafttechnologie. Zugleich postulieren die Grünen eine besondere Modernität der Windkraft. Dasselbe gilt für den Dieselmotor, der als vorgestrige Erfindung gebrandmarkt wird, obwohl der Elektromotor deutlich älter ist – und sich historisch nicht gegen den sparsameren und effizienteren Dieselantrieb durchsetzen konnte.
Die inhärente Technologiefeindlichkeit zeigt sich an zwei weiteren Beispielen. Zum einen sind die Anekdoten aus der Gründungszeit der Grünen bekannt. In den 1980er Jahren wollten die Grünen die Digitalisierung de facto verbieten, um die „Verdatung“ von Beschäftigten zu verhindern. Sie wehrten sich gegen Glasfaserverkabelung und befürworteten einen „Stopp des Kabel- und Satellitenfernsehens“. Auch bei dem Thema dieser Tage schlechthin – KI, ChatGPT etc. – sind sie wieder zuverlässig ganz vorne als Verhinderungspartei mit von der Partie.
Doch auch noch Jahre später war der Reflex stark, sich gegen Innovationen zu stemmen, so sie nicht selbst dem grünen Geist entsprangen. Wieder spielt Jürgen Trittin eine Rolle. Im Februar 2000 feiern die Grünen das Aus für den Transrapid. Im Deutschen Technikmuseum in Kreuzberg halten sie Festreden zum Ende der Magnetschwebebahn. Motto: „Der Transrapid schwebt ins Museum“. Der damalige Bundesumweltminister ist Ehrengast.
Bei der Abwicklung des Transrapids fällt eines auf: Klima, CO2 oder Umweltschutz spielen zu keinem Zeitpunkt eine Rolle. Auch bei der Bundesdebatte stehen Kostenüberlegungen im Vordergrund. Wieder das beliebte Stilmittel: Der Transrapid sei eine alte Technologie, die neu verkauft werde – so, als griffen die Grünen nicht dauernd zu Technologien der Vergangenheit. Doch die Diffamierung wirkt. Der Transrapid wird totgeredet. Die Logik: Weil er sich bisher nirgendwo durchgesetzt hätte, ist es ein Beleg für seine Minderwertigkeit.
Höhepunkt der damaligen Debatte: Der grüne Albert Schmidt belehrt das Parlament über die Sinnlosigkeit des Transrapids: „Die neue Generation von schnellen Zügen, die 300 und mehr km/h fahren können, und die Neigetechnikzüge, die sich wie ein Motorrad in die Kurve legen können, haben dazu beigetragen, dass die Transrapid-Technologie im Fernverkehr nicht mehr erforderlich ist. Ein Gefährt, das noch schneller ist als der Transrapid und keinen Fahrweg braucht, existiert bereits: Es ist das Flugzeug.“
Richtig gelesen: lieber Inlandsflüge als der verhasste Transrapid. Wie man zu der Magnetschwebebahn auch stehen mag, zuletzt zerfließt die Argumentation in bloßer Abneigung auf den Gegenstand. Man ist nicht für etwas, sondern gegen etwas. Schmidt prognostiziert, dass man bald in anderthalb Stunden auf der Schiene von Hamburg nach Berlin fährt. Von der Ankündigung ist ebenso wenig geblieben wie von der berühmten Kugel Eis. Aber bei der Atomkraft wird es dieses Mal anders werden – bestimmt. Denn Strom, dass hat Katrin Göring-Eckardt versprochen, soll nach der Abschaltung billiger werden.
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