Das Bild vom Kaninchen und der Schlange passt derzeit nur zum Teil auf die Partei „Die Linke“. Zwar starrt die Partei gebannt und regungslos auf das, was Sahra Wagenknecht macht. Nur sitzt die mitten unter den Linken. Noch. Als Mitglied der 39-köpfigen Fraktion im Bundestag. Dort bekommt Wagenknecht aus erster Hand mit, wie sich ihr künftiger politischer Konkurrent selbst zerlegt.
Die Fraktion im Bundestag wollte ursprünglich nächste Woche einen neuen Vorsitz wählen. Diesen Termin hat sie nun auf unbestimmte Zeit verschoben, wie unter anderem das ZDF berichtet. Demnach bleiben Dietmar Bartsch und Amira Mohamed Ali vorerst im Amt. Ali hatte mit Verweis auf den Konflikt zwischen dem Bundesvorstand der Linken und Wagenknecht auf eine weitere Kandidatur verzichtet. Bartsch sagt, er trete aus privaten Gründen nicht mehr an.
Die Linke ist zum Abschuss freigegeben. Und Wagenknecht bastelt derweil an ihrer neuen Partei. Dafür könnte sie nun einen strategischen Partner gefunden haben: die Mera 25, auch bekannt als DiEM 25. Das ist eine linke Bewegung, die von Griechenland ausgeht und deren prominentester Kopf der ehemalige griechische Finanzminister Yanis Varoufakis ist. Die Zusammenarbeit ist schon älter. Man kennt sich.
Die „Democracy in Europe Movement 2025“ (DiEM 25) geht einen typischen linken Weg: Eine Handvoll „Kader“ gründet 2016 eine Sammelbewegung, die sich aber gleich in mehrere Arme verästelt – unter anderem einer „Sonstigen Politischen Vereinigung“. So tritt sie 2019 zur Europawahl in Deutschland an, holt aber nur 130.000 Stimmen, was 0,3 Prozent entspricht und nicht für ein Mandat reicht. Im November 2020 gründet sie sich europaweit als Partei. Aber schon im November 2021 ist die Situation so verfahren, dass sie sich als Mera 25 neu gründet. Das ist angelehnt an den griechischen Namen. Denn dort holt die Partei 2019 bei der Parlamentswahl ihr bisher mit Abstand bestes Ergebnis: 3,4 Prozent. Eine linke Splitterbewegung halt.
2019 hat Yanis Varoufakis für die DiEM 25 in Deutschland kandidiert. Bei Europawahlen können Bürger der EU in jedem Land der EU antreten. Nun verstärkt sich das Gerücht, Varoufakis könnte für die Wagenknecht-Partei antreten. Neben der Organisationsfähigkeit der DiEM 25 hätte dies noch einen Vorteil für die neue Partei: Wie Umfragen zeigen, mobilisiert Wagenknecht selbst mit ihren Themen Wähler im rechten Lager. Etwa mit ihrem Einsatz für einen Frieden in der Ukraine, ihre Abkehr von der Identitätspolitik oder mit einer linken Sozialpolitik, die kritisch auf die Einwanderung sieht und stattdessen die nationalen Interessen der Arbeiterschaft in den Vordergrund stellt. Eine Zusammenarbeit mit Varoufakis würde Wagenknecht schützen: Eine Partei, die sich in den Zusammenhang mit paneuropäischen Linken stellt, wäre von grün-rot nahen Medien schwerer in die rechte Ecke zu stellen – und hinter einer Brandmauer zu verstecken, wie es grün-rote Parteien und Journalisten mit der AfD machen.
Varoufakis passt zudem inhaltlich gut zu dem wichtigsten Mann der Wagenknecht-Partei: Wagenknechts Mann Oskar Lafontaine. So vertritt der ehemalige griechische Finanzminister ähnliche Thesen wie der ehemalige deutsche Finanzminister zur Entstehung der Finanzkrise von 2008. Wie Lafontaine ist Varoufakis ein Anhänger von John Maynard Keynes, der die These entwickelt hat, dass die Wirtschaft boome, solange der Staat für Nachfrage sorge. Wie Lafontaine spricht sich Varoufakis gegen eine solide Finanzpolitik und für staatliche Schulden aus.
Dass Wagenknecht noch wie eine Made im Speck der Linkspartei sitzt, ist nicht nur für die Linkspartei ein Problem. Offiziell gibt es keine Ansprechpartner für die noch nicht gegründete Partei. Nur ihre potenzielle Gründerin. Die verweist auf ihrer Internetseite auf ihre Bundestagsadresse als Kontaktadresse. Das Problem ist nur: Wie bei allen Abgeordneten zahlt der Bundestag Wagenknechts Mitarbeiter im Bundestag. Auch wenn sich da in der Praxis keiner daran hält: Den Mitarbeitern im Bundestag ist es eigentlich verboten, Arbeit für die jeweilige Partei zu machen. Sie dürfen nur die inhaltliche Arbeit der Abgeordneten im Bundestag darstellen und begleiten.
Zum Thema Varoufakis stellen wir trotzdem wieder eine Anfrage. Eine andere offizielle Adresse gibt es ja nicht. Dieses Mal antwortet eine Mitarbeiterin: „Gerne können Sie das Büro Wagenknecht mit folgendem Zitat in Ihren Text einbauen. Büro Wagenknecht: ,Es gibt bisher keine Kontakte und eine Kandidatur ist nicht vorgesehen.‘“
Es ist das „Büro Wagenknecht“ im Bundestag, das die Kandidatur Varoufakis’ und die Kontakte zur DiEM 25 dementiert. Nicht die potenzielle Parteigründerin. Die bleibt weiterhin in Deckung und offiziell ein Mitglied der 39-köpfigen Fraktion der Linken im Bundestag. Für Journalisten ist das kein Problem. Es gibt in Berlin genügend Informierte, die über die Entwicklung bei den Linken reden. Für die Journalisten ist es eine unterhaltsame Geschichte – für die Vertreter der Partei ist es indes ein Untergangs-Drama. Ihre Fraktion droht, demnächst in zwei Teile zu zerbrechen: Zehn Abgeordnete würden bei einer Gründung der Wagenknecht-Partei mitgehen, spekuliert das ZDF.