Tichys Einblick
Gründung der Wagenknecht-Partei

Sahra Wagenknecht flirtet mit Yanis Varoufakis

Die Linke befindet sich in der Auflösung. Die Fraktion im Bundestag hat die Wahl eines neuen Vorstands auf unbestimmte Zeit verschoben. Dafür nimmt die neue Wagenknecht-Partei nun weitere Konturen an.

IMAGO – Collage: TE

Das Bild vom Kaninchen und der Schlange passt derzeit nur zum Teil auf die Partei „Die Linke“. Zwar starrt die Partei gebannt und regungslos auf das, was Sahra Wagenknecht macht. Nur sitzt die mitten unter den Linken. Noch. Als Mitglied der 39-köpfigen Fraktion im Bundestag. Dort bekommt Wagenknecht aus erster Hand mit, wie sich ihr künftiger politischer Konkurrent selbst zerlegt.

Die Fraktion im Bundestag wollte ursprünglich nächste Woche einen neuen Vorsitz wählen. Diesen Termin hat sie nun auf unbestimmte Zeit verschoben, wie unter anderem das ZDF berichtet. Demnach bleiben Dietmar Bartsch und Amira Mohamed Ali vorerst im Amt. Ali hatte mit Verweis auf den Konflikt zwischen dem Bundesvorstand der Linken und Wagenknecht auf eine weitere Kandidatur verzichtet. Bartsch sagt, er trete aus privaten Gründen nicht mehr an.

Streitfall Carola Rackete
Den Linken droht die Spaltung
Die verschobene Wahl zeigt, in welch verfahrene Situation der Bundesvorstand um Janine Wissler die Partei manövriert hat. Denn dieser Vorstand hat das Vorschlagsrecht für den Fraktionsvorsitz. Doch offensichtlich findet der keinen, der kandidieren will – oder das Zeug dazu hätte, eine Mehrheit unter den 39 Abgeordneten auf sich zu vereinen. Klaus Ernst, ein offener Gegner Wisslers und Befürworter Wagenknechts, weist im ZDF die Schuld zu: „Der Vorstand der Partei hat insbesondere nach der letzten Bundestagswahl einen personellen Neuanfang für die Fraktion gefordert und damit indirekt die Fraktion für das Wahldesaster verantwortlich gemacht. Janine Wissler war damals übrigens Spitzenkandidatin.“ Die Verschiebung der Wahl sei ein „Offenbarungseid und Ergebnis eines strategie- und orientierungslosen Vorstands der Linkspartei, der die Partei und Fraktion in den Abgrund führt“.

Die Linke ist zum Abschuss freigegeben. Und Wagenknecht bastelt derweil an ihrer neuen Partei. Dafür könnte sie nun einen strategischen Partner gefunden haben: die Mera 25, auch bekannt als DiEM 25. Das ist eine linke Bewegung, die von Griechenland ausgeht und deren prominentester Kopf der ehemalige griechische Finanzminister Yanis Varoufakis ist. Die Zusammenarbeit ist schon älter. Man kennt sich.

Die „Democracy in Europe Movement 2025“ (DiEM 25) geht einen typischen linken Weg: Eine Handvoll „Kader“ gründet 2016 eine Sammelbewegung, die sich aber gleich in mehrere Arme verästelt – unter anderem einer „Sonstigen Politischen Vereinigung“. So tritt sie 2019 zur Europawahl in Deutschland an, holt aber nur 130.000 Stimmen, was 0,3 Prozent entspricht und nicht für ein Mandat reicht. Im November 2020 gründet sie sich europaweit als Partei. Aber schon im November 2021 ist die Situation so verfahren, dass sie sich als Mera 25 neu gründet. Das ist angelehnt an den griechischen Namen. Denn dort holt die Partei 2019 bei der Parlamentswahl ihr bisher mit Abstand bestes Ergebnis: 3,4 Prozent. Eine linke Splitterbewegung halt.

Es riecht nach Zusammenbruch der Linken
Dietmar Bartsch kandidiert nicht mehr
Für die Wagenknecht-Partei könnte die DiEM 25 oder Mera 25 trotzdem spannend sein. Zwar fehlt der selbst die Zugkraft. Bei der Bürgerschaftswahl in Bremen kam sie auf 0,6 Prozent. Doch für diese Zugkraft steht Wagenknecht selber. Die DiEM 25 könnte etwas einbringen, das der Wagenknecht-Partei fehlt: eine Organisationskraft, die in die Breite geht – zumindest für linke Verhältnisse.

2019 hat Yanis Varoufakis für die DiEM 25 in Deutschland kandidiert. Bei Europawahlen können Bürger der EU in jedem Land der EU antreten. Nun verstärkt sich das Gerücht, Varoufakis könnte für die Wagenknecht-Partei antreten. Neben der Organisationsfähigkeit der DiEM 25 hätte dies noch einen Vorteil für die neue Partei: Wie Umfragen zeigen, mobilisiert Wagenknecht selbst mit ihren Themen Wähler im rechten Lager. Etwa mit ihrem Einsatz für einen Frieden in der Ukraine, ihre Abkehr von der Identitätspolitik oder mit einer linken Sozialpolitik, die kritisch auf die Einwanderung sieht und stattdessen die nationalen Interessen der Arbeiterschaft in den Vordergrund stellt. Eine Zusammenarbeit mit Varoufakis würde Wagenknecht schützen: Eine Partei, die sich in den Zusammenhang mit paneuropäischen Linken stellt, wäre von grün-rot nahen Medien schwerer in die rechte Ecke zu stellen – und hinter einer Brandmauer zu verstecken, wie es grün-rote Parteien und Journalisten mit der AfD machen.

Varoufakis passt zudem inhaltlich gut zu dem wichtigsten Mann der Wagenknecht-Partei: Wagenknechts Mann Oskar Lafontaine. So vertritt der ehemalige griechische Finanzminister ähnliche Thesen wie der ehemalige deutsche Finanzminister zur Entstehung der Finanzkrise von 2008. Wie Lafontaine ist Varoufakis ein Anhänger von John Maynard Keynes, der die These entwickelt hat, dass die Wirtschaft boome, solange der Staat für Nachfrage sorge. Wie Lafontaine spricht sich Varoufakis gegen eine solide Finanzpolitik und für staatliche Schulden aus.

Dass Wagenknecht noch wie eine Made im Speck der Linkspartei sitzt, ist nicht nur für die Linkspartei ein Problem. Offiziell gibt es keine Ansprechpartner für die noch nicht gegründete Partei. Nur ihre potenzielle Gründerin. Die verweist auf ihrer Internetseite auf ihre Bundestagsadresse als Kontaktadresse. Das Problem ist nur: Wie bei allen Abgeordneten zahlt der Bundestag Wagenknechts Mitarbeiter im Bundestag. Auch wenn sich da in der Praxis keiner daran hält: Den Mitarbeitern im Bundestag ist es eigentlich verboten, Arbeit für die jeweilige Partei zu machen. Sie dürfen nur die inhaltliche Arbeit der Abgeordneten im Bundestag darstellen und begleiten.

Ulrike Guérot als Kandidatin umworben
Sahra Wagenknecht rekrutiert – und Oskar Lafontaine auch
Als TE berichtet, dass die Politikwissenschaftlerin Ulrike Guérot für die Wagenknecht-Partei zur Europawahl antreten könnte, bestätigt diese das auf unsere Nachfrage. Doch eine offizielle Anfrage an Wagenknecht bleibt unbeantwortet. In Ermangelung einer anderen offiziellen Adresse geht die an das Bundestags-Büro. Eigentlich verhält sich das Team an dieser Stelle korrekt, indem es nicht antwortet.

Zum Thema Varoufakis stellen wir trotzdem wieder eine Anfrage. Eine andere offizielle Adresse gibt es ja nicht. Dieses Mal antwortet eine Mitarbeiterin: „Gerne können Sie das Büro Wagenknecht mit folgendem Zitat in Ihren Text einbauen. Büro Wagenknecht: ,Es gibt bisher keine Kontakte und eine Kandidatur ist nicht vorgesehen.‘“

Es ist das „Büro Wagenknecht“ im Bundestag, das die Kandidatur Varoufakis’ und die Kontakte zur DiEM 25 dementiert. Nicht die potenzielle Parteigründerin. Die bleibt weiterhin in Deckung und offiziell ein Mitglied der 39-köpfigen Fraktion der Linken im Bundestag. Für Journalisten ist das kein Problem. Es gibt in Berlin genügend Informierte, die über die Entwicklung bei den Linken reden. Für die Journalisten ist es eine unterhaltsame Geschichte – für die Vertreter der Partei ist es indes ein Untergangs-Drama. Ihre Fraktion droht, demnächst in zwei Teile zu zerbrechen: Zehn Abgeordnete würden bei einer Gründung der Wagenknecht-Partei mitgehen, spekuliert das ZDF.

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