Tichys Einblick
Neue liberale Feigheit

Gründe für den Absturz: Die FDP handelt feige und falsch

Die FDP agiert unter ihrem Chef Christian Lindner mutlos. Deswegen regieren die Liberalen auch falsch – und stürzen bei den Wahlen zurecht ab.

Bundesfinanzminister Christian Lindner, 28.3.2022.

IMAGO / Chris Emil Janßen

Christian Lindner hätte zum Helden werden können. 2017. Er hatte früh erkannt, dass Angela Merkel dem Land schadet und ihre Kanzlerschaft nicht verlängert werden darf. Deshalb ließ er die Verhandlungen für eine Jamaika-Koalition platzen. Er machte nur einen, allerdings entscheidenden Fehler: Er traute sich nicht, die Gründe für sein Handeln öffentlich zu nennen. Flüchtete sich ins Vage: „Lieber nicht regieren, als schlecht regieren.“ Der Zeitgeist war 2017 noch pro Merkel – und Lindner traut sich nicht, dem Zeitgeist zu widersprechen. Damals wie heute. Seine Feigheit ist seine größte Schwäche.

Jetzt regieren Christian Lindner und die FDP. In einer Ampel. Der Zeitgeist-Koalition schlechthin. Einem Zeitgeist, dem sich die FDP in absurder Weise unterwirft. So tadelte Verkehrsminister Volker Wissing jüngst den großen Lümmel, das Volk, er solle keine Fotos von seinem Essen mehr posten. Das spare Energie und rette das Klima. Etwas weniger Freigeistiges hat selten ein Liberaler verlangt. Und als wenn das alles nicht schon dumm genug gewesen wäre, hat auch noch das Social-Media-Team Wissings tief geschlafen – und die dutzenden Fotos im Netz stehen lassen, auf denen das Team in Wissings Namen Essensbilder geteilt hat.

Zeit zum Lesen
„Tichys Einblick“ – so kommt das gedruckte Magazin zu Ihnen
Doch das sind Randgeschichten. Polit-Klatsch. Die Zukunft der FDP entscheidet sich in den harten Themenfeldern: Finanzen, Recht, Wirtschaft und Verkehr. Der Wähler ist da offensichtlich nicht zufrieden mit der FDP. Über das gescheiterte Comeback im Saarland konnten sich die Liberalen noch mit Zugewinnen trösten. Aber die Niederlagen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen sind eindeutig und vernichtend.

Wie sieht die Fehleranalyse aus? Justizminister Marco Buschmann begann den Montag danach damit, einen Beitrag der Zeit zu posten. Über das neue Familienrecht. Die FDP wolle die Verantwortungsgemeinschaft einführen. Die Familien sollen selbst definieren können, wer zu ihr gehöre: der transsexuelle Hausfreund, die Cousine zweiten Grades oder der Amazonbote. In einer Koalition mit den Grünen setzt die FDP darauf, mit grünen Themen zu punkten.

Das geht kollosal schief, wie die NRW-Wahl zeigt: Die FDP vergrätzt ihre Stammklientel. Elf Prozentpunkte hat sie bei den Selbstständigen verloren. Von den liberalen Wählern sind 260.000 zur CDU abgewandert, 130.000 gingen gar nicht mehr wählen. Zum Ausgleich Stimmen von Rot-Grün zu holen, gelingt der FDP auch nicht. Im Gegenteil: 100.000 liberale Wähler wanderten zu den Grünen ab und sogar der Wahlverlierer SPD konnte sich noch über 60 .000 gelbe Stimmen freuen. Die Zahlen stammen von Infratest Dimap.

Landtagswahl in NRW
Rote Illusionen, Schwarze Hoffnungen und grüner Sieg
Im Freiheitsthema Corona-Politik verbucht die FDP zwar Teilerfolge: Die allgemeine Impfpflicht ist letztlich an ihr gescheitert, sie hat die Aufhebung der G-Regeln und der Maskenpflicht durchgesetzt. Aber diese Teilerfolge zahlen nicht auf das liberale Konto ein. Weil die Liberalen zu feige sind, sie zu beanspruchen. Statt den „Freedom Day“ zu feiern, ließen sie Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) erklären, diesen Tag habe er verhindert. Statt als Fraktion gegen die allgemeine Impfpflicht zu stimmen, wählten sie das Hilfskonstrukt des parlamentarischen Antrags. Kanzler Olaf Scholz (SPD) sollte so sein Gesicht wahren – was gescheitert ist, wie so viele FDP-Pläne.

Weil der Mittelweg in der Not den Tod bedeutet: Die Corona-Zahlen gehen runter, obwohl Maßnahmen ausgesetzt wurden. Die Impfpflicht für Pfleger bleibt, obwohl sie inhaltlich, juristisch und ganz praktisch gefährlicher Unsinn ist. Trotzdem lässt die FDP Lauterbach über „Absolute Killervarianten“ schwadronieren, hält an der Impfpflicht für Pfleger fest und schließt ein Comeback der G-Regeln nicht aus. Gar nicht lösen, dann ein bisschen was durch die Hintertür machen und dann wieder Stupides dulden … Statt für ihre Positionen einzutreten, geht es für die Liberalen nur noch darum, niemanden zu vergrätzen. Lieber 100.000 Wähler verlieren, als einen negativen Kommentar in den Tagesthemen zu riskieren. FDP – das F steht für Feigheit.

NRW: 5,76 Millionen Nicht-Wähler
Der größte Verlierer ist die Demokratie
Vor allem aber versagt die FDP in ihren Kernthemen. Deswegen geht sie bei Wahlen derart unter. Einen schönen Eindruck davon, wie das funktioniert, gibt ein Strategiepapier, das Christian Lindner jüngst selbst veröffentlicht hat. Auf den 21 Seiten steht manch Kluges. In der Analyse: Wie Krieg und „Pandemieschock“ vorhandene Probleme verschärften. Dass die Wirtschaft vor „Herausforderungen“ stünde, die sie belasteten: die geplante Senkung des CO2-Ausstoßes, die Digitalisierung oder die älter werdende Gesellschaft. Dass „Belastungen“ jetzt schwärmerisch als „Herausforderungen“ bezeichnet werden, ist allerdings Teil der neuen liberalen Feigheit.

Die viel größere Schwäche Lindners aber ist: Aus den richtigen Erkenntnissen zieht er die falschen Schlüsse. In der echten Politik wie auf dem Papier. Lindner sagt, die Staatsverschuldung verschlechtere die Rahmenbedingungen, sodass die Wirtschaft nicht stark genug sei und auch nicht werden könne, um die zusätzlichen Aufgaben zu schultern. Deswegen müsse der Staat seine Verschuldung stoppen. So weit so liberal.

Doch: Über 300 Milliarden Euro Defizit hat der Staat laut Statistischem Bundesamt in den vergangenen beiden Jahren gemacht. Zwar will Lindner sparen. Aber erst später. Jetzt gelte es, durch staatliche Eingriffe die Belastung Privater und Unternehmer in der Krise abzufedern. Der Finanzminister ist wie ein Alkoholiker, der in den Entzug will, weil ihn die Sucht tötet – aber heute noch mal einen draufmachen und den Entzug erst „morgen“ anfangen will.

Christian Lindners Versagen
Inflation: Das verlorene Gewinnerthema der FDP, nicht nur in Nordrhein-Westfalen
Die Wirtschaft werde in der Lage sein, verspricht Lindner, zu wachsen bei gleich bleibenden Preisen. Quasi saufen, ohne besoffen zu werden. Das sei zum einen möglich, weil bürokratische Hürden abgebaut würden. Die Realität sieht aber anders aus: Der Staat wächst. Allein der Berliner Regierungsapparat hat sich jüngst über 700 neue Stellen gegönnt. Genau so wächst die staatliche Regulierungswut. So beklagte sich an diesem Wochenende der Städtetag, die Regeln für Ukraine-Flüchtlinge seien so kompliziert, dass die Auszahlung von Hartz IV an den bürokratischen Hürden zu scheitern drohe. Auch weil es an Papier für so viel Papierkram mangele.

Dazu passt, dass der Abbau des Staates für den Liberalen Lindner erst an zweiter Stelle kommt. An erster Stelle müsse die „Wettbewerbsordnung“ gestärkt werden. Der Staat solle einen „Prozess der schöpferischen Zerstörung“ anstoßen, um nur die Unternehmen am Markt zu lassen, die „zukunftsfähig“ sind. Sprich: Würde Bill Gates Microsoft in einer deutschen Garage gründen, würde der Staat erst prüfen, ob seine Ideen tragen. Das hört sich viel eher nach Pankow als nach Pasadena an.

44,5 Prozent gingen nicht zur Wahl
Der grüne Parteienstaat
Und dann brauche die Wirtschaft Investitionen in die Infrastruktur, sagt Lindner. Die bekomme sie auch. Durch die mit 160 Milliarden Euro Schulden finanzierten Pakete für die Aufrüstung und den Klimaschutz. Auf sanierte Brücken, neue Schienen oder ein funktionierendes Netz kann die Wirtschaft demnach verzichten. Ihren Investitionsschub erhalte sie, weil der Staat in Panzer investiert und grüne Entwicklungsgesellschaften mit Geld flutet. Bei soviel Verdrehtheit ist es dann konsequent, dass Lindner Schulden in „Sondervermögen“ umgetauft hat – neue liberale Feigheit.

Als wäre das alles nicht schlimm genug für die FDP, kommt noch das Personal hinzu: Lange Zeit ist die Partei dafür kritisiert worden, dass sie nur durch Christian Lindner öffentlich vertreten werde. Das hat sich nun geändert. Nicht zum Vorteil der FDP. Der neue Fraktionsvorsitzende Christian Dürr ist eine Phrasen-Spuckmaschine. Volker Wissing hat als Verkehrsminister bisher keine Erfolge vorzuweisen, die von seinem Essensbilder-Blödsinn ablenken könnten. Und mit jedem Talkshow-Auftritt von Marie-Agnes Strack-Zimmermann kann sich eine andere Partei über Stimmenzuwachs aus dem liberalen Lager freuen.

Anzeige
Die mobile Version verlassen