Alltag in Deutschland: In der 119.000-Einwohner- und 28.000-Studenten-Universitätsstadt Göttingen gibt es an der bahnhofnahen Groner Landstraße 9-9b in Plattenbauweise 432 Wohneinheiten für überwiegend migrantische Bewohner. 700 Menschen, darunter 200 Kinder, leben dort. Sinti und Roma stellen die Mehrheit. Die Polizei muss immer wieder vor Ort sein. Größere Einsätze gab es im Juni 2020 und September 2022. Sperrmüll häuft sich, Messerdrohungen, Drogen, Kleinkriminalität sind Alltag. Lautstarke Streitereien von fünfzig und mehr Bewohnern auch.
Am 9. April 2024 ab 5.30 Uhr gab es eine amtliche „Ortsbegehung“, damit sich die Kommune ein Bild von den dortigen Verhältnissen machen konnte. Mehrere Hundertschaften Polizeibeamte aus ganz Niedersachsen riegelten den Komplex ab und gingen von Tür zu Tür. Polizeidrohnen umflogen das Gelände, die Polizei vollstreckte fünf Haftbefehle. Linke und Grüne kritisierten den Polizeieinsatz scharf.
Linksradikale inszenieren „antirassistische Inspektion“ im Rathaus
Klar, dass sich da Linksradikale aus den zahlreichen linken Göttinger WGs als Hilfstruppen motiviert fühlten. Und dann geschah, was zu erwarten war: Etwa zwanzig bis dreißig linke Vermummte setzten am 16. Mai ein „Zeichen“: Sie randalierten, stürmten das Rathaus, drangen in Büros ein, nannten ihren Hausfriedensbruch auf Flugblättern eine „antirassistische Inspektion“, rissen Schränke auf, beleidigten Mitarbeiter als „Nazis“, bedrohten sie und versuchten, sie nach draußen zu jagen. Inzwischen hat die Stadt Anzeige gegen Unbekannt erstattet, die Staatsanwaltschaft ermittelt. Die Täter selbst gaben zu, ins Rathaus eingedrungen zu sein, bestreiten aber Beleidigungen und Bedrohungen.
Hat man davon außerhalb Göttingens etwas erfahren? Wenig! Das „Göttinger Tageblatt“ und die „Junge Freiheit“ berichten. Der NDR berichtete auch über beide „Ereignisse“, aber in der „Tagesschau“, die vom NDR kommt, lief nichts. Für die „tageszeitung“ (taz) war die Ortsbegehung in ihrer Ausgabe vom 10. April „unprofessionell und stigmatisierend“. Von der Erstürmung des Rathauses durch linke Randalierer in der „taz“ kein Wort.
Der Haussegen im Göttinger Rathaus hängt nun ziemlich schief:
- „Die städtische Begehung am 9. April war rechtmäßig, der gestrige Protest rechtswidrig“, sagt Göttingens SPD-Oberbürgermeisterin Petra Broistedt am Tag nach der Erstürmung des Rathauses. Das sei eine „Verrohung der politischen Auseinandersetzung“ und nicht zu akzeptieren. Gestützt wurde die Oberbürgermeisterin von der CDU.
- Der Göttinger SPD-Stadtverband kritisierte erst einmal, ehe er sich später an die Seite der OB stellte, die Bewohner seien durch den Polizeieinsatz pauschal diskriminiert worden. Damit grenzte sich der Stadtverband zunächst von ihrem SPD-Mitglied Broistedt ab.
- Grüne und Linke bezeichnen die Ortsbegehung als „völlig unverhältnismäßig“.
- Die Grünen haben zwei Anträge zur „Aufarbeitung“ der Sache eingebracht.
- Ein Bündnis linker Göttinger Gruppierungen wirft der Verwaltung und der Polizei vor, bei dem Einsatz im April „rassistisch und klassistisch“ vorgegangen zu sein.
- Die Basisdemokratische Linke BL/„Voices of GL9“ (GL = Groner Landstraße) meint: Die Oberbürgermeisterin zeige „mit ihren Anschuldigungen erneut, wie nötig die vergangene Protestaktion war“. Die Oberbürgermeisterin lege eine „Doppelmoral an den Tag“. Denn mit den Durchsuchungen in der Groner Landstraße seien Traumata reproduziert worden und Menschen rassistischen Pauschalisierungen ausgesetzt. Auch dass der Einsatz am 8. April, also am Welt-Roma-Tag stattgefunden habe, lasse auf mangelnde Sensibilisierung in Bezug auf Antiromaismus schließen, heißt es bei der BL (Anm. von TE: Der Einsatz fand nicht am 8. April, sondern am 9. April statt.).
Am Rande: Die Mehrheitsverhältnisse im Rat der Stadt Göttingen sind schwierig. Die stärkste Fraktion stellen die Grünen mit 14 Sitzen; das hat mit der traditionell linken Uni zu tun, an der auch der Juso Frank-Walter Steinmeier von 1976 bis 1982 studiert und für DDR-finanzierte Blätter geschrieben hatte. Es folgen die SPD (inkl. Oberbürgermeisterin mit 12 Sitzen), die CDU (11), die Linke (4), die FDP (3) und Sonstige 3. Es gibt ein Haushaltsbündnis von SPD, CDU und FDP. OB Petra Broistedt (SPD) hatte sich 2021 erst in einer Stichwahl mit knapp 53 Prozent gegen ihre grüne Mitkonkurrentin durchgesetzt.
Ein Gedankenspiel – Wetten, dass…?
Zum Schluss ein Gedankenspiel: Wären Glatzköpfe mit Reichskriegsfahne, mit 88- oder AH- oder HH-Tätowierungen oder Sympathisanten von „Reichsbürgern“ dabei gewesen, hätte man medial von einem „Aufmarsch“, nicht bloß von einer „Aktion“ erfahren. Dann hätte es Statements der obersten Regierenden gegeben, Faeser wäre nach Göttingen geflogen, die Nachrichten wären umgestellt worden, es hätte Sondersendungen gegeben, Verfassungsschutzpräsident Haldenwang hätte mal wieder irgendwas in die Mikrophone geschwurbelt, die Talkshows wären mit den üblich-verdächtigen Rechtsextremismus-„Forschenden“ bestückt worden …
Wetten, dass…?