Tichys Einblick
Muezzinruf in Köln

Glocken sind kein Glaubensbekenntnis

Der oft bemühte Vergleich des Muezzinrufs mit dem christlichen Glockengeläut hinkt gewaltig. Während die Glocken vom Kölner Dom zum Gottesdienst rufen, ist mit „Allahu akbar“ ein Bekenntnis zum Glauben verbunden. Von Heinrich Wullhorst

Kirchenglocke des Kölner Dom

IMAGO / Schöning

Wer schon einmal in einem islamisch geprägten Land seinen Urlaub verbracht hat, kennt die Rufe des Muezzin, die fünfmal am Tag meist aus knarzenden Lautsprechern von den Minaretten der Stadt erschallen. Was in Istanbul und Kairo üblich ist, wird nun auch im Schatten des Kölner Doms möglich. Im „hillijen Kölle“, das allerdings schon länger nicht mehr ganz so heilig ist und wo die Zahl der Christen bereits im Jahre 2017 erstmals unter die 50-Prozent-Marke gefallen ist.

Die in der Domstadt oft beschworene Vielfalt und der Gleichheitsgrundsatz des Grundgesetzes haben die Oberbürgermeisterin Henriette Reker angetrieben, einen Modellversuch für die Dauer von zwei Jahren zu starten. Dabei soll der Muezzin dann weder fünfmal am Tag noch täglich sein „Allahu akbar“ erschallen lassen, sondern nur einmal in der Woche, und zwar am Freitagmittag. Das ist nämlich der Zeitpunkt, an dem die Muslime ihrer Gebetspflicht in der Moschee nachkommen müssen. Musliminnen und Muslime seien ein fester Bestandteil der Kölner Stadtgesellschaft und deshalb dürfe auch der Ruf des Muezzin neben dem christlichen Glockengeläut erschallen, meint Reker.

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Ihr Vorstoß, den Muezzinruf zu erlauben, ist sicherlich ein bundesweites politisches Signal. Allerdings ist es in Nordrhein-Westfalen auch nichts Neues. In Düren ist der muslimische Gebetsruf bereits dreimal am Tag öffentlich zu hören. Der Liberale Christian Lindner findet das Projekt der Oberbürgermeisterin offenbar gut. „Das gehört zur Freiheit der Religionsausübung dazu“, meint der FDP-Politiker. Auch der Leiter des Osnabrücker Islaminstituts, Bülent Uçar, begrüßt die Kölner Entscheidung in der Neuen Osnabrücker Zeitung als überfällig. Der Muezzinruf am Freitag mache die religiöse Pluralisierung in Deutschland sichtbar.

Der oft bemühte Vergleich des Muezzinrufs mit dem christlichen Glockengeläut hinkt allerdings gewaltig. Während die Glocken vom Dom zum Gottesdienst rufen, ist mit dem „Allhu akbar“ ein Bekenntnis zum Glauben verbunden. Bei domradio.de hat der Wissenschaftliche Leiter des Glockenmuseums Stiftskirche Herrenberg bei Stuttgart, Klaus Hammer, diesen Unterschied erklärt: „Der Muezzinruf ist eine eindeutige Botschaft mit einem Aufforderungscharakter speziell zum islamischen Gebet.“ Dort heiße es: „Allah ist groß, ich bezeuge, dass es keinen Gott gibt außer Allah“. Übersetze man dieses Allah mit Gott, könnten dieser Botschaft sicherlich auch andere gläubige Menschen folgen. Schwieriger werde es mit der Aussage: „Ich bezeuge, dass Mohammed Gottes gesandter Prophet ist“. Einen weiteren Ruf sieht Hammer als besonders problematisch an. Wenn es dort heiße, „kommt her zum Gebet, kommt her zum Heil“, beinhalte das die Festlegung, wo das Heil sei und damit auch wo eben nicht.

Otto Jastrow, emeritierter Professor an der Universität Erlangen-Nürnberg, hat das im Jahr 2018 in einem Beitrag für den Deutschlandfunk auf den Punkt gebracht: „Die Diskriminierung anderer Religionen zieht sich wie ein roter Faden durch die islamische Geschichte. Da der Islam für seine Gläubigen die einzig wahre und letztgültige Religion ist, können andere Religionen per se nicht gleichberechtigt sein. Deshalb kennt der Islam keine religiöse Toleranz; sie ist ein Wunschbild des Westens.“

Für den Politologen Hamed Abdel-Samad hat der Kölner Vorstoß weder mit Vielfalt noch mit Glaubensfreiheit zu tun. Gegenüber der „Welt“ stellte er klar: „Atheisten, Hindus und Veganer dürfen das nicht. Nur die Minderheit der Muslime darf jetzt an 35 Orten in Köln jeden Freitag fünf Minuten ihre Ideologie herausposaunen.“ Ihn störe diese Bevorzugung, die aus seiner Sicht verfassungswidrig sei. Niemand dürfe aufgrund seiner Religion privilegiert werden.

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Es gibt aber durchaus noch andere Bedenken als die, die aus der Glaubenspraxis stammen. So kritisiert die ehemalige Islam-Beauftragte der SPD-Bundestagsfraktion, die Kölnerin Lale Akgün, Rekers Initiative als Symbolpolitik. Das gelte besonders im Hinblick auf die Kölner Zentralmoschee, die von der eng mit der türkischen Regierung verbundenen „Ditib“ betrieben wird. „Die Erlaubnis für den Muezzinruf von der Ehrenfelder Moschee ist ein Knicks vor dem politischen Treiben Erdoğans, auch in Deutschland“, wird Akgün deutlich. Die Autorin des Buches „Platz da! Hier kommen die aufgeklärten Muslime“ wehrt sich seit vielen Jahren gegen die Vorherrschaft des konservativen Islams in Deutschland. Auf ihrer Facebookseite wirft sie der Oberbürgermeisterin vor, ihr Schritt sei „unpolitisch und das Gegenteil von gelebter Toleranz“. Sie sieht Reker mitten in einem politischen Minenfeld.

Um die Bedeutung der Ditib-Moschee als Symbol für den politischen Islam zu unterschätzen, müsse man „politisch blind und taub“ sein. Die Entscheidung sei auch ein Schlag ins Gesicht aller politischen Dissidenten, die in Deutschland politisches Asyl bekommen haben. „Der Muezzinruf aus Köln wird zu einem Ruf des politischen Islams“, betont Akgün, die in Frage stellt, ob das Verantwortlichen wirklich klar ist? Darüber hinaus geschehe das in einer Zeit, in der Erdoğan davon spreche, dass aus seiner Sicht theologisch keine Differenz zu den Taliban bestünden.

Die türkischstämmige Rechtsanwältin und Moschee-Gründerin Seyran Ateş macht auf Twitter ebenfalls deutlich, dass das religöse Patriarchat durch die Entscheidung gestärkt werde, das in vielen Gemeinden bereits ohrenbetäubend laut sei. Während Kirchenglocken auch von Frauen geläutet werden dürften, werde in den Moscheen nie die Stimme einer Frau zu hören sein.

Offizielle katholische Stimmen hört man in dieser Debatte nicht. Ob das aus vornehmer Zurückhaltung geschieht oder aus einer Position, in der man nicht gegen einen vermeintlichen Mainstream argumentieren möchte, mag dahinstehen. Auch ob der Muezzin in Köln demnächst wirklich ruft, bleibt ungewiss. Ein dazu erforderlicher Antrag ist bislang offenbar noch von keiner Moscheegemeinde gestellt worden.


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