Tichys Einblick
Agitprop im Hohen Haus

Global Compact for Migration – UN-Migrationspakt

Der Bundestag bespricht erstmals den „Global Compact for Migration“. Für die meisten Redner geht es dabei vor allem um die AfD. Das führt dazu, dass der inhaltliche Kernwiderspruch unaufgelöst bleibt: Ist der Pakt nun unverbindlich – oder soll er angewendet werden?

Von den Personen, die nach Deutschland einwandern (wollen), tun das Erhebungen zufolge nicht wenige maßgeblich auch deshalb, weil die Bundesrepublik weltweit als stabile Demokratie gilt. Unser parlamentarisches System, obschon natürlich nicht perfekt, funktioniert – jedenfalls hat es international diesen Ruf.

Tatsächlich ist Deutschlands Parlament eine Geschlossene Gesellschaft. Anders lässt sich vieles gar nicht erklären, was im nur architektonisch verglasten, dafür aber leider nicht nur architektonisch entkernten Reichstagsgebäude geschieht.

Fast immer ist der Meinungsstreit zwischen den Abgeordneten in Wahrheit kein offener Meinungsaustausch zwischen unabhängigen Volksvertretern, sondern ein Schaulaufen von festgelegten Fraktionspositionen – und das wiederum ist lediglich eine Spezialdisziplin im ewigen Dauerwahlkampf der Parteien. Über nunmehr fast 70 Jahre bundesrepublikanischer Parlamentsgeschichte endlos eingeübt, folgt das Ganze fest eingebrannten Ritualen. Von wenigen rhetorischen Ausnahmetalenten abgesehen, begegnen sich die Mitglieder des Bundestags nicht mit Sachargumenten, sondern mit Routinereflexen.

Ein Zuwanderer, der an diesem Donnerstagmittag auf der Besuchertribüne des Bundestages Platz nimmt, dürfte sich – mit dem deutschen parlamentarischen Alltag konfrontiert – verwundert die Augen reiben: Was passiert hier gerade?

Polemik statt Diskussion
Bundestagsstunde zum UN-Migrationspakt
In der Plenarsitzung an diesem Donnerstag steht – um 10.30 h, als Punkt 5 – die Drucksache 19/5530 auf der Tagesordnung: Beratung (Erste Lesung) des Antrags der Fraktion der AfD „Kein Beitritt zum Global Compact for Migration durch die Bundesrepublik Deutschland“. Hintergrund: Anfang Dezember wollen die Vereinten Nationen in Marokko diesen „Global Compact for Migration“ auf den Weg bringen. Die unterzeichnenden Staaten vereinbaren darin, in der Migrationspolitik enger zusammenzuarbeiten und globale Standards im Umgang mit Migranten durchzusetzen.

Die AfD lehnt den Pakt ab und fordert mit ihrem Antrag die Bundesregierung auf, ihm nicht beizutreten. AfD-Chef Alexander Gauland destilliert seine Kritik so:

„Dieses Dokument ist der erste Schritt, Migration zu einem Menschenrecht zu machen, das Staatenrecht übersteigt und zu Völkergewohnheitsrecht wird.“

Wer auch immer auf der Besuchertribüne sitzt und jetzt eine ernsthafte Debatte über weltweite Migration erwartet, wartet überwiegend vergeblich.

„Die AfD verbreitet Lügen.“ Christoph Matschie von der SPD nimmt Ton und Richtung der meisten folgenden Redebeiträge vorweg. Seine Parteifreundin Claudia Moll „schämt sich, dass wir diesen Antrag hier in diesem Haus besprechen müssen.“ Der Berliner CDU-Abgeordnete Frank Steffel übersetzt erst Passagen des Pakts aus dem Englischen (in seinem Sinne, aber leider falsch), um dann ebenfalls Thema und Vokabular zu wechseln und sich der AfD zu widmen: „Das ist die eigentlich niederträchtige Schweinerei ihrer Politik.“

Von CDU und CSU über Grüne und FDP bis zu SPD und Linken: Es hagelt Angriffe auf die AfD. Statt um konkret vorliegende Inhalte geht es überwiegend um vermutete Strategien beim politischen Lieblingsgegner. Und es bleibt rustikal: Die Grüne Filiz Polat verzichtet zwar auf jedes Beispiel, erklärt aber trotzdem eine von der AfD unterstützte Bürgerpetition gegen den Pakt kurzerhand für antisemitisch.

„Israel wird dem Globalen Pakt für Migration nicht beitreten,“ antwortet AfD-Migrationsexperte Martin Hebner und fragt ironisch nach, ob Australien, die USA, Tschechien, Polen, Österreich, Ungarn, Kroatien und die Schweiz – alles Länder, die den Pakt ablehnen oder das erwägen – dann auch antisemitisch seien?

Nach Hebners auffallend ruhigem, geradezu nüchternen Vortrag verflüchtigt sich der allgemeine Pulverdampf etwas. Zum Vorschein kommen die Argumente, die einige wenige Redner dann doch auch noch mitgebracht haben. Drei Dinge kann man dabei bis hoch auf die Zuschauertribüne erkennen:

Erstens: Es zeigt sich ein Politikansatz über die Köpfe der Menschen hinweg. Politik wird weder vorab erörtert noch hinterher erklärt. Und damit fühlt sich keineswegs nur die AfD unwohl:

„Immer wieder wurde seitens der Bundesregierung gesagt, dass das auch im Bundestag und in der Öffentlichkeit debattiert werden würde. Nichts davon ist passiert.“

(Sevim Dagdelen, Die Linke)

Zweitens: Die AfD steht mit ihrem Ansatz allein, Migration aus einer nationalen deutschen Perspektive zu betrachten. Ausnahmslos alle Redner erwähnen nur die Migranten bzw. deren Situation, manchmal auch deren Rechte. Von den Auswirkungen von Migration auf Deutsche redet an diesem Vormittag tatsächlich niemand.

Drittens: Die Verteidiger des Pakts haben zwei Hauptargumente.

            (Joachim Stamp, FDP)

                                                    (Christoph Matschie, SPD)

Das ist erkennbar ein grundsätzlicher logischer Widerspruch. Wenn der Pakt unverbindlich ist und nicht umgesetzt wird, hat er naturgemäß auch keine positiven Auswirkungen. Um die zu entfalten, müsste er verbindlich in die Tat umgesetzt werden. Ist er nun also verbindlich und soll verwirklicht werden – oder nicht?

Diesen inhaltlichen Kernwiderspruch ihrer Argumentation lösen die Befürworter des „Global Compact for Migration“ nicht auf. Noch aber ist nicht alle Hoffnung für die Besucher auf der Zuschauertribüne verloren: Denn eine All-Parteien-Koalition (mit Ausnahme der AfD) überweist den AfD-Antrag an den Auswärtigen Ausschuss zur weiteren Beratung.

Ob der sich allerdings mit dem Antrag befassen wird, noch bevor die Bundesregierung den Global Compact for Migration im Dezember in Marokko mit unterschreibt, ist noch nicht sicher.


Mehr zum Thema:
Roland Tichy (Herausgeber), Der UN-Migrationspakt und seine Auswirkungen. Tichys Einblick, 112 Seiten, 12,00 €.
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