Braunschweig kann nur Sänger Bosse? Nein, denn der Pianist, Keyboarder und Musikproduzent Jan-Heie Erchinger beispielsweise ist ebenfalls Braunschweiger, sogar Gründungsmitglied der Echo-Preis ausgezeichneten Jazzband Jazzkantine, Initiator erfolgreicher Musikprojekte mit ellenlanger Diskographie, ihm gehört eine Musikschule für den Nachwuchs und wenn Sigmar Gabriel nach Braunschweig kommt, spielt ihm Erchinger schon mal das Einmarsch-Piano.
Ja, der Musiker traut sich was. Er schaut übers niedersächsische Notenblatt hinweg nach Berlin. Und er polarisierte auch innerhalb der SPD, weil er kein Blatt vor den Mund nahm. So war ihm ein Artikel in der Braunschweiger Zeitung über seine Erfahrung auf der Documenta Kassel Anlass genug, sich auch einmal gegen den Mainstream kritisch mit der Immigrationspolitik der GroKo-Regierung zu befassen. Seinen Braunschweigern warf er am Freitag im Feuilleton Brocken hin wie diesen hier:
„Die Schlepperkriminalität und das Ertrinken haben mich die letzten zwei Jahre massiv beschäftigt und auf Facebook zu tausenden Streitigkeiten geführt. (…) Wir müssen Realitäten anerkennen und unsere Außengrenzen schützen und normalisieren! Ich meine, es sind auch deswegen sehr viele ertrunken, weil zum Beispiel in italienischen Häfen bringende NGO’s viele geradezu zur Flucht verleiten. Traurig!“
Im Gespräch zwischen zwei Terminen für Musikschüler, die er am Piano ausbildet, gibt er zu, dass er sich sogar eine GroKo wieder vorstellen könnte. Für eine erfolgreiche Realpolitik sei das prinzipiell gar keine so schlechte Option. Ihm sei die soziale Komponente in der Politik wichtig. „Das kann die SPD einfach besser als die Union.“ Als Beispiel aus Niedersachsen nennt er die Abschaffung der Studiengebühren. Gerechtigkeitsorientierte Bildungspolitik ist für den Musiker elementar.
„Und wenn das Handwerk jammert, dass sie keine Leute finden, dann sage ich: Tja, das ist eben Marktwirtschaft. Zahlt einfach besser, dann bekommt ihr auch besser Leute. Wie wäre es denn mal mit Teilhabe-Perspektiven? Dass der Bäckergeselle beispielsweise weiß: Du kannst hier noch was werden und wirst nicht alt auf den hinteren Plätzen in der Backstube.“
Erchinger redet Sätze fast wie vom Manuskript. Man merkt ihm an, dass er diese Themen schon etliche Male in Diskussionen und auf Facebook gedreht und gewendet hat. Im Interview muss er gebremst werden, damit man ein paar Kernsätze mitnehmen kann.
Er ist enttäuscht, erzählt er, dass sich Leute, die sich jahrelang gegen Überwachung ausgesprochen hätten, plötzlich interessiert daran sind, Kommentare im Netz genauer zu überwachen. „Ich selbst war ja 25 Jahre Mitglied der SPD und habe viele Freunde in der Partei gefunden. Aber ich wurde von den Führungspersönlichkeiten der Partei in Politik und ihren Sprüchen maaslos enttäuscht.“ (er bittet im Gespräch explizit um diese spätere Schreibweise „maaslos“). Ein Bespiel sei auch Sigmar Gabriels linkspopulistischer Kommentar beim G20 Gipfel: „Während ganze Straßenzüge in Flammen stehen kritisiert der beifallheischend, dass so wenig afrikanische Staatsoberhäupter geladen wären. Hallo? Das ist G-20!“