Vor zehn Jahren haben sich sieben deutsche Stiftungen, darunter so bekannte Namen wie die Stiftung Mercator, die Volkswagen Stiftung, die Bertelsmann Stiftung und die Robert Bosch Stiftung, zu einem „Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Migration und Integration“ (SVR) zusammengeschlossen. Ziel des Zusammenschlusses ist laut der Website des Sachverständigenrats „die wissenschaftlich fundierte und handlungsorientierte Politikberatung im Themenfeld Integration und Migration sowie die kritische Politikbegleitung“, die politisch neutral erfolge.
Die Mitglieder des SVR werden für drei Jahre von einem Kuratorium gewählt, das unter dem Vorsitz des Staatssekretärs a.D. Rüdiger Frohn mit je einem Vertreter aller beteiligten Stiftungen besetzt ist. Vorsitzender des SVR ist derzeit Thomas K. Bauer, Professor für empirische Wirtschaftsforschung an der Ruhr-Universität Bochum und Vizepräsident des RWI – Leibnitz Institut für Wirtschaftsforschung. Seine acht Kolleginnen und Kollegen sind ebenfalls allesamt Hochschullehrer an verschiedenen Universitäten in Deutschland und der Schweiz. Operativ gemanagt wird der SVR von einer in Berlin ansässigen Geschäftsstelle mit insgesamt zwanzig Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.
Der Schwerpunkt der Tätigkeit des SVR liegt bei der Erstellung von Analysen, Studien, Gutachten und Vorschlägen/Empfehlungen zum Themenfeld Integration und Migration, darunter ein regelmäßiges „Jahresgutachten“ und ein im Zweijahresrhythmus erstelltes „Integrationsbarometer“, die allesamt auf der Website des SVR veröffentlicht werden. Während das Jahresgutachten „eine wissenschaftlich fundierte Analyse, wie sich die Integration im Sinne chancengleicher Teilhabe in zentralen gesellschaftlichen Bereichen (z. B. Arbeitsmarkt, Bildung) entwickelt und wo weiterhin Handlungsbedarf besteht,“ liefern soll, misst das „Integrationsbarometer“ das Integrationsklima in der Einwanderungsgesellschaft und „erhebt Einschätzungen und Erwartungen der Bevölkerung mit Blick auf Integration und Migration sowie auf Integrations- und Migrationspolitik.“ Erarbeitet und erstellt werden die Veröffentlichungen des SVR zum einen von der Geschäftsstelle wie aber auch von seinen universitären Mitgliedern oder auch anderen, vom SVR beauftragten Forschern. Er verfügt hierfür über einen eigenen, im Millionenbereich ausgestatteten Forschungsetat, der von der Mercator Stiftung finanziert ist.
Politbüro der Massenzuwanderung
Die türkischstämmige Soziologin und Migrationsforscherin Necla Kelek hat den SVR in einem Beitrag für die FAZ vom 09. Mai 2011 als „Politbüro der deutschen Migrationspolitik“ und als „Kontrollorgan der politischen Korrektheit in Sachen Integration“ bezeichnet. Er sei keineswegs politisch neutral, sondern verfolge eine bestimmte politische Agenda, die Probleme und Fragestellungen, die dazu nicht passend sind, einfach ausblende. Der SVR forsche daher an den wirklich wichtigen Themen und Problemen von Integration und Migration vorbei. Starker Tobak, der, sofern er zutreffend sein sollte, nicht nur die Mitglieder des SVR und in ihm zusammengeschlossenen Stiftungen stark in Misskredit bringen, sondern auch die grundsätzliche Frage nach der Qualität seiner „wissenschaftlichen Politikberatung“ aufwerfen würde. Es ist von daher angezeigt, die aktuellen Arbeiten des SVR noch einmal etwas genauer unter die Lupe zu nehmen.
2017 sind unter anderem vier Berichte mit politischen Empfehlungen zur Neugestaltung der Integrations- und Migrationspolitik erstellt und veröffentlich worden. Zum einen wurde ein „4+3-Punkte-Plan“ erarbeitet, mit dem der SVR „Migration gestalten, Teilhabe fördern und Zusammenhalt sichern“ möchte. Dann wurden in zwei weiteren Veröffentlichungen die Chancen und Risiken eines „Spurwechsels aus der Asyl- in die Erwerbsmigration“ bewertet und Vorschläge für ein „Einwanderungsgesetzbuch für Deutschland“ unterbreitet. Und schließlich werden anhand einer Studie über Asylbewerber ohne sicheren Aufenthaltsstatus Empfehlungen zur Verbesserung ihrer Integrationschancen entwickelt und dargestellt. Der SVR dokumentiert damit seinen entschiedenen Willen, in die derzeit laufenden politischen Auseinandersetzungen um die Ausrichtung der deutschen Migrationspolitik mit eigenen Analysen, Konzepten und Vorschlägen einzugreifen, um so nicht nur die öffentliche Meinung, sondern auch die Politik einer zukünftigen Bundesregierung zu beeinflussen.
Durch diese Maßnahmen erübrige sich unter anderem der Vorschlag eines „Spurwechsels“ aus der Fluchtmigration in die Erwerbsmigration, da immer weniger Zuwanderer darauf angewiesen seien, den Asylweg zu beschreiten, um einen Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt zu erhalten. Ein solcher „Spurwechsel“ sei sogar abzulehnen, da er einen Anreiz schaffe, sich mittels eines Asylantrags nicht nur einen Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt, sondern darüber hinaus auch einen Zugang zu Sozialleistungen zu sichern, die im Falle der Erwerbsmigration nicht gewährt werden. Gezielt zu liberalisieren und zu fördern sei die Erwerbsmigration, gerade aus den Armutsgebieten dieser Welt, unabhängig davon, ob dort Krieg herrscht oder nicht. Personen aus solchen Ländern sollen laut SVR legale Wege der Erwerbsmigration eröffnet werden, die sie anstelle des Asylwegs nutzen können. Wo dieser, zum Beispiel aufgrund der besseren finanziellen Unterstützung, gleichwohl weiter genutzt wird, soll den Asylbewerbern auch schon vom ersten Tag ihrer Ankunft an ein möglichst freier Zugang zum Arbeitsmarkt gewährt werden. Der Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt soll demnach für Immigranten aus den Armuts- und Kriegsgebieten dieser Welt von vornherein nicht einspurig, sondern zweispurig verlaufen, so dass grundsätzlich jedermann eine Arbeits- und Bleibeperspektive eröffnet wird: Massenzuwanderung. Dies sei die völkerrechtliche Verpflichtung Deutschlands, das nur so die Menschenrechte wahren könne.
Das schließe insbesondere auch die Öffnung der Gesellschaft für den Islam ein, der institutionell den christlichen Religionen gleichzustellen sei. Gemäß SVR ergebe sich daraus für die Integration kein Risiko, da „die Bedeutung von Religion für den Integrationsprozess oft überschätzt“ werde. Es gebe zum Beispiel keine belastbaren wissenschaftlichen Belege dafür, „daß individuelle Religiosität bzw. Religion grundsätzlich die Teilhabe an Bildung oder am Arbeitsmarkt erschwert.“ Gleichzeitig wird allerdings im „Integrationsbarometer 2016“ des SVR berichtet, dass sich von der ersten Generation nach Deutschland eingewanderter Muslime nur knapp 31 Prozent und von der zweiten Generation nur knapp 47 Prozent der deutschen Gesellschaft zugehörig fühlen. Bei den zugewanderten Christen liegen diese Werte bei 60 Prozent (erste Generation) und knapp 76 Prozent (zweite Generation).
„Derzeit entscheidet der Aufenthaltsstaus beziehungsweise die sogenannte Bleibeperspektive über die Integration. Das schließt viele Geflüchtete aus und es geht wertvolle Zeit verloren. Wir wollen Integrationsangebote von Anfang an allen Schutzsuchenden öffnen. Dazu braucht es einen Anspruch auf Teilnahme an gut ausgestatteten Integrationskursen, angemessen bezahlte Kursleiter*innen, eine möglichst dezentrale Unterbringung und den Zugang zu gesellschaftlicher Teilhabe, Bildung und Ausbildung sowie arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen.“
In einer eigens angefertigten, 108 Seiten umfassenden „qualitativen” (also ohne repräsentativen Ansruch) Studie mit dem Titel „Wie gelingt Integration ?“ wurden deswegen 62 Asylbewerber aus Syrien, Afghanistan, Somalia, Pakistan, dem Kosovo und Mazedonien, die (noch) über keinen sicheren Aufenthaltsstatus verfügten, zu ihren „Lebenslagen und Teilhabeperspektiven in Deutschland“ befragt. Der SVR will damit die Perspektive der Flüchtlinge ins Zentrum rücken, „da es nach wie vor zu wenig gesichertes Wissen über Flüchtlinge in Deutschland gibt, das sich aus deren Sichtweise speist.“ Die mit der Studie gewonnenen Erkenntnisse sind recht vielfältig. Sie bestätigen in vieler Hinsicht das, was man schon weiß, fördern zum Teil aber auch Neues, kaum jedoch Überraschendes zu Tage. Kritische Themen, wie etwa die Frage nach der Vereinbarkeit hiesiger kultureller Werte mit den eigenen kulturellen Werten oder der Bereitschaft, die kulturellen Werte Deutschlands, etwa bezüglich sexueller Freizügigkeit, zu übernehmen, werden ebenso ausgeblendet wie politisch brisante Fragen, etwa zum Verhältnis zu Israel oder zum Holocaust oder auch zum Dschihad.
Die nicht nur vom SVR gebetsmühlenartig genutzte Zauberformel für Integration lautet Förderung der „gesellschaftlichen Teilhabe“. Dahinter verbirgt sich die Vorstellung, durch das Absenken möglichst aller Zugangshürden in den deutschen Arbeitsmarkt und eine sozialarbeiterische Rundum-Betreuung jedes einzelnen Asylbewerbers ließen sich hunderttausende oder gar millionen Immigranten aus den Armuts- und Kriegsgebieten dieser Welt in die deutsche Arbeits- und Lebenswelt integrieren, ohne dass dies zu erheblichen gesellschaftlichen Spannungen und Konflikten mit der einheimischen Bevölkerung führt. Sie zeugt nicht nur von einem erheblichen Maß an Naivität, sondern auch von einer ausgeprägten Ignoranz gegenüber der einheimischen Bevölkerung. Sie soll gemäß dem SVR unter Verweis auf eine „offene Gesellschaft“ ihre Interessen gegenüber den Interessen und Bedürfnissen der Immigranten zurückstellen. Dies hat mit aufgeklärter, kritischer Politikberatung wenig bis gar nichts, mit einseitiger, wissenschaftlich verbrämter Interessenvertretung zur Förderung von Massenzuwanderung hingegen sehr viel zu tun. Warum die im SVR zusammengeschlossenen Stiftungen ein solches Vorgehen fördern, bedürfte einer eigenen Analyse. Dass die zukünftige Bundesregierung den Vorschlägen und Empfehlungen des SVR nicht folgen sollte, liegt auf der Hand, ist unter Merkel, Altmaier, Kauder und Co. aber alles andere sichergestellt.
Roland Springer arbeitete als Führungskraft in der Autoindustrie. Er gründete im Jahr 2000 das von ihm geleitete Institut für Innovation und Management. Sein Buch Spurwechsel – Wie Flüchtlingspolitik wirklich gelingt erhalten Sie in unserem Shop www.tichyseinblick.shop