Im Jahr 2018 fragte mich das Studienzentrum der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) für Genderfragen, ob ich an einem Band unter dem Titel „Gender im Disput“ mitwirken würde. Da mir das vorbildliche Konzept des Bandes gefiel, habe ich zugestimmt. In jeweils einem Kapitel sollten zwei Autoren aus unterschiedlicher Sicht und durchaus im Dissens eine Frage beantworten. Anschließend würden beide Autoren den Text des jeweils anderen lesen und darauf eine Replik verfassen.
Ruben Zimmermann und ich eröffneten den Band. Die etwas harmlos klingende Frage „Ermöglicht eine gendersensible Betrachtung biblischer Texte Einsichten, die für die kirchliche Praxis von Bedeutung sind?“ bekam dann eine Brisanz, weil sich aus meiner Sicht die Frage nur beantworten ließ, wenn man untersuchen würde, ob Gendern erstens sinnvoll ist und zweitens Einsichten ermöglicht. Ich hatte auf Grund der philosophischen und linguistischen Klärung der Grundlagen des Genderns beide Fragen verneint.
Weil Deutschland sich rasant in ein Gender-Schilda verwandelt, inzwischen der Angriff auf unsere Sprache und unsere Kultur sogar von höchster Ebene erfolgt, habe ich die Redaktion darum gebeten, aus aktuellem Anlass diesen älteren und noch dazu sehr langen Text zu bringen, wofür ich mich sehr herzlich bedanke. Im Übrigen könnte der Text auch für die unerschrockenen Helden des Genderns nützlich sein, weil sich mir der Verdacht regt, dass sie ihre eigenen Grundlagen nicht kennen.
„Faszinierend war, dass das in der Linguistik ging, also trieben wir alle ein wenig Linguistik.“ (Joelle Proust)
Voraussetzungen
Die Beantwortung der Frage, ob eine gendersensible Betrachtung von biblischen Texten zu praxistauglichen Einsichten führen kann, erfordert zunächst die Klärung eines ganzen Bündels von Voraussetzungen, weil man wissen muss, wovon man redet, bevor man darüber redet, denn es handelt sich in Wahrheit um komplexe Fragen der Historizität, der Textrezeption, der Linguistik, der Gesellschaftstheorie und der Philosophie. Hinter der Einführung possierlicher Gendersternchen oder der Tilgung inzwischen sanktionierter Begriffe oder der Hinzusetzung von Frauen im Bibeltext beispielsweise, wo bisher nur Männer standen, steht ein Konzept zur weitgehenden Umgestaltung der Gesellschaft. Wer christliche Texte gendersensibel betrachtet oder christliche Texte wie die Bücher der Bibel gendert, transportiert damit eine Ideologie, deren Konsequenz zu verdeutlichen ist.
Auch biblische Texte sind letztlich Texte und stehen mithin der Analyse, der Interpretation, dem Verstehen offen. Eine entscheidende Rolle spielt die Definition, was unter einem Text verstanden wird und welche Funktion er besitzt.
Einen Text zu betrachten, bedeutet auf der ersten Ebene, seine optische Gestalt wahrzunehmen und kann sich demzufolge nur auf die Perzeption seines Druck- oder Schriftbildes beziehen. Doch dieser Aspekt spielt in diesem Zusammenhang nur eine nebensächliche Rolle und kann daher vernachlässigt werden. Betrachten steht in dieser Fragestellung für Analysieren oder Verstehen. Dem Analysieren oder Verstehen werden spezifische Voraussetzungen vorgeschaltet, die man als gendersensibel zusammenfasst. Sinnvoll kann deshalb nur gefragt werden, ob eine gendersensible Analyse, Interpretation oder in hermeneutischer Perspektive ein gendersensibles Bemühen um das Verstehen des Textes denkbar und begründbar ist.
Da es nicht um die optische Gestalt biblischer Texte, nicht um Fragen der Graphematologie und der Typographie geht, sondern um die Erfordernisse der Rezeption, der Wirkung und der Semantik, meint der harmlos-freundliche Terminus gendersensible Betrachtung im Grunde die Anwendbarkeit gendersensibler Dekonstruktion auf biblische, aber genaugenommen auf Texte jedweder Art. Der Fakt, dass in der Bibel unterschiedliche Textsorten verschiedenen Alters vorliegen, soll einstweilen ignoriert werden, obwohl sich an dieser Stelle die eigentliche Herausforderung verbirgt.
Da Gendersensibilität als regierendes Attribut die Art und Weise der Analyse, Interpretation oder des Verstehens festlegt, denn es handelt sich um eine Hierarchisierung der Textrezeption, die Aspekte hervorhebt und andere vernachlässigt, muss zunächst geklärt werden, was unter Gendersensibilität zu verstehen ist. Weder erklärt sich der Begriff selbst, noch steht von vornherein fest, dass Gendersensibilität überhaupt die Ebene der Begrifflichkeit erreicht. Letztendlich weist er daraufhin, dass Postulate der Genderideologie, im weiteren als Genderismus, als Rezeptionsvorgaben gesetzt werden.
Grundsätzlich verfälscht die Einführung von Rezeptionsvorgaben jedweder Art den Text, weil sie ihn reduziert, ihm den Reichtum nimmt, mehr noch, die möglichen Welten, die ein Text eröffnet, ignoriert und stattdessen nur noch das Hinterzimmer einer Ideologie zulässt. Außerdem löst sie den Text aus seiner Historizität, die seiner Struktur eingeschrieben sind. Ein unter Rezeptionsvorgaben gelesener oder analysierter Text ist bereits ein anderer Text. Die Todsünde im Umgang mit Texten lautet, in den Text wird etwas hineingelesen, der Text verliert seinen Eigenwert und wird zum Mittel des Zwecks transformiert.
Die Rezeptionsvorgabe, nach der im Essay gefragt wird, resultiert aus der Gendertheorie. Zu ihren Regularien zählen Kategorien wie „gerechte Sprache“, „gegenderte Sprache“, „einfache Sprache“, überdies die Vorstellung, dass Texte im Diskurs eine Sprache der Macht entfalten, Herrschaftsverhältnisse ausdrücken und ihre Funktion in der Unterdrückung besteht, die durch die Änderung der Texte, durch das Gendern gebrochen werden kann. Ohne das Dogma, dass Sprache Macht und Sprechen Machtausübung wäre, existierten keine Forderungen nach einer gendersensiblen Sprache, nach einer gerechten Sprache, weil das Gendern von Sprache generell als Kampfform begriffen wird, „um die eifersüchtig gehüteten Begriffe aus dem herrschenden Diskurs“ sich anzueignen, um sie „für eine neue politische Bewegung umzuarbeiten und zu resignifizieren“, wie Judith Butler schreibt.
Der Sturm auf die Sprache gilt in der Gendertheorie als eine der zentralen Offensiven auf die Gesellschaft zum Zwecke ihrer radikalen Umgestaltung, die gern Emanzipation genannt wird. Die vielleicht wichtigste Theoretikerin des Genderismus, Judith Butler, wird in ihrem Text „Hass spricht“ deutlich: „Ich möchte sogar behaupten, dass gerade darin, dass der herrschende, autorisierte Diskurs enteignet werden kann, eine Möglichkeit seiner subversiven Resignifikation liegt. Dass die Wendung „herrschender, autorisierter Diskurs“ bei Lichte besehen eine unter philosophisch klingenden Formulierungen verborgene plumpe Klassenkampfmetapher ist, wird noch zu zeigen sein. Unter Resignifikation wird Umdeutung oder genauer Um-Bezeichnung verstanden, so wenn beispielsweise ein Schimpfwort von den Beschimpften zum Ehrenwort erhoben und dadurch als Waffe gegen den Beschimpfer benutzt wird, ein Vorgang übrigens, der immer wieder in der Geschichte geschieht und keine originäre Erfindung Judith Butlers ist, sondern einen gängigen Mechanismus darstellt.
Ganz allgemein gesprochen handelt es sich darum, die Begriffe umzuformulieren, den Diskurs zu unterlaufen, ihn umzukehren, ihn gegen den Klassen- oder Geschlechterfeind zu richten. Was Judith Butler meint, wenn sie von Enteignung und Subversivität spricht, könnte man auch als linguistische Unterwanderung der Gesellschaft oder als feindliche Übernahme verstehen. Sie träumt von der „performativen Macht“, die darin liegt, „wenn man sich gerade die Begriffe aneignet, von denen man verletzt wurde“.
Die gendersensible Betrachtung biblischer Texte erschöpft sich nicht einmal im Ansatz darin, die Brüder durch Brüder und Schwestern im biblischen Text zu ersetzen, sondern es steht wesentlich mehr auf dem Spiel, denn aus Sicht der Theoretiker des Genderismus gehört der Text der Bibel zum „herrschenden, autorisierten Diskurs.“ Derjenige, für den es darum geht, „zur Geschlechter-Verwirrung anzustiften“, weil für ihn die beiden Geschlechter nur der Ausdruck einer „Zwangsheterosexualisierung“ und Repräsentationen der Sprache der Macht, Performationen männlicher Herrschaft sind, muss in der Bibel bei 1. Mose 1, 27 ansetzen: „Und Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn; und schuf sie als Mann und Frau“ und schließlich die Hand an die Wiege zu liegen, sprich die Erziehung der Kinder in die Hand zu bekommen, um ein sexuelles Normativ zu setzen, bevor Kinder ihre Sexualität selbst entdecken.
Beispiele hierfür sind Broschüren wie „Murat spielt Prinzessin, Alex hat zwei Mütter und Sophie heißt jetzt Ben. Sexuelle und Geschlechtliche Vielfalt als Themen frühkindlicher Inklusionspädagogik“, die von der schwul-lesbischen, transgender etc. Bildungsinitiative QUEERFORMAT im Auftrag des Berliner Senats an Kita-Erzieher zum Zwecke der Indoktrination, der Enteignung und Subversion verteilt wird. Die „Bildungsinitiative“ wirbt für sich, ein Trägerverbund der Bildungseinrichtungen ABqueer und KomBi“ zu sein und über „Erfahrungskompetenz in queerer Bildung seit dem Jahr 1980“ zu verfügen. Unter queer ist hierbei all das zu verstehen, was nicht heterosexuell ist. Schaut man sich die Organisationen an, die hinter QUEERFORMAT stehen, kann man davon ausgehen, dass man im Kampf vereint steht gegen die „Zwangsheterosexualisierung“.
Vielfalt wurde zum Kampf- und Tarnbegriff zur Propagierung homosexueller Lebensweisen, Heterosexualität hingegen stigmatisiert. Gerade homosexuelle Feministinnen hatten erkannt, dass der Kampf gegen die „Zwangsheterosexualisierung“ bei den Kindern beginnen müsse, als Akt der Enteignung der Begriffe und der subversiven Resignifikation. Bevor die Kinder selbst ihre eigene, die meisten von ihnen ihre heterosexuelle Geschlechtlichkeit entdecken, soll möglichst früh bereits für Homosexualität geworben werden.
Im Grunde bezeichnet der linguistisch klingende Begriff Resignifikation in vulgo den Versuch, Sprache durch Sprachregulierung, durch Sprachzerstörung, durch den Einsatz von Einschüchterungen, einer informellen Zensur und die Errichtung von Internetpranger, gern auch von der Heinrich-Böll-Stiftung unterstützt, um Kritiker der Gendertheorie zu diffamieren, mit dem strategischen Ziel, die Gesellschaft umzubauen. Zu diesem Zweck wird der Feind definiert, unter dem vorrangig von Judith Butler der heterosexuelle Mann verstanden wird.
Es geht nicht um eine gerechte Sprache oder Gendersensibilität, sondern um einen ideologischen Kampf um die Deutungshoheit, wie es sich beim Genderismus auch nicht um die Gleichberechtigung der Frau oder um die Umsetzung der Forderung nach gleicher Bezahlung oder gleichen Entwicklungschancen handelt, sondern um ein linksliberales Gesellschaftsmodell, das die US-amerikanische Soziologin Nancy Frazer einmal so beschrieb: „Die US-amerikanische Form des progressiven Neoliberalismus beruht auf dem Bündnis ›neuer sozialer Bewegungen‹ (Feminismus, Antirassismus, LGBTQ) mit Vertretern hoch technisierter, ›symbolischer‹ und dienstleistungsbasierter Wirtschafts- sektoren (Wall Street, Silicon Valley, Medien- und Kulturindustrie etc.). In dieser Allianz verbinden sich echte progressive Kräfte mit einer ›wissensbasierten Wirtschaft‹ und insbesondere dem Finanzwesen … Die Politik Clintons, von seinen Nachfolgern einschließlich Barack Obama fortgeführt, bewirkte eine Verschlechterung der Lebensverhältnisse aller Arbeitnehmer, besonders aber der Beschäftigten in der industriellen Produktion … Sie setzen Emanzipation mit dem gesellschaftlichen Aufstieg der ›Begabten‹ unter den Frauen, Minderheiten und Homosexuellen gleich und wollen die The-winner-takes-all-Hierarchie nicht mehr abschaffen“, wie bei der US-amerikanischen Marxistin Nancy Fraser nachlesen kann.
Es ist wichtig, die gesellschaftlichen Hintergründe hinter den Forderungen einer geschlechtersensiblen Sprache zu sehen, weil sie Mittel in einem Kampf sind, den Karl Marx einmal als Klassenkampf definiert hat – und vermittelt über Louis Althusser sind einflussreiche Adepten des modernen Feminismus wie Judith Butler überraschend stark vom Marxismus inspiriert.
Der Sturz in die Ideologie
Die Analyse, woher die Vorstellung einer gendersensiblen Sprache kommt und wie sie theoretisch abgesichert wird, wird an dem Denken der wohl wichtigsten Theoretikerinnen des Genderismus vorgenommen. Judith Butlers idée fixe besteht in der simplen Universalisierung von Macht und Herrschaft, bzw. in der Reduktion der vielfältigen Welt auf die banale Binarität von Herrschaft und Unterdrückung. Die Welt besteht für sie ausschließlich auf Machtverhältnissen, die sich in der Sprache, im Diskurs realisieren. Diese Vorstellung geht auf Michel Foucault zurück. Um jedoch den Diskurs zum eigentlichen Akteur, zum handelnden Subjekt zu machen, bleibt ihr nichts weiter übrig, als das Subjekt zu entfernen, an den Rand und womöglich darüber hinaus in den „vordiskursiven Raum“ zu schieben. Diese Operation gelingt Judith Butler, in dem sie den Begriff der Differance von Jacques Derrida übernimmt. Der Genderismus ist eine Frucht des Poststrukturalismus oder genauer eines gegenderten Poststrukturalismus.
Explizit und implizit verweisen Butlers Texte entweder durch ein direktes Bekenntnis oder durch Übernahme von Begriffen, Denkfiguren und Theoremen auf Louis Althusser, Michel Foucault, Jacques Derrida und Pierre Bourdieu, zudem auf Freud und Lacan, der Freud poststrukturalistisch gelesen hat. Über Althussers Rezeption wird Butlers Poststrukturalismus durch die Ideologie des Marxismus, genauer durch eine sehr spezielle Rezeption des Marxschen Denkens dynamisiert. Im Grunde unternimmt sie nichts anderes, als den Poststrukturalismus feministisch durchzubuchstabieren, wobei der Feminismus noch einmal auf die Emanzipation der Homosexuellen eingeschränkt wird, denn soweit ich sehe, ist die heterosexuelle Frau die große Abwesende in Butlers Theorie. Dort, wo sie von Frauen spricht, von der Emanzipation, steht ihr die „Lesbierin“ oder die queere Person vor Augen. Die Frau wird bei ihr zum Opfer der „Zwangsheterosexualisierung“, weil Butler sich Heterosexualität nur als Zwang vorstellen kann. Genderismus scheint also weniger mit der Emanzipation der Frauen, als mit der Emanzipation der homosexuellen Frau und queerer Personen zu tun zu haben.
Um zu verstehen, auf welche Art und Weise man den Kampf gegen die Wirklichkeit führt, indem Wirklichkeit theoretisch außer Kraft gesetzt, wegtheoretisiert wird, ist es erforderlich zu skizzieren, was eigentlich beim Sturz des Strukturalismus in den Poststrukturalismus geschah.
Der Linguist Ferdinand de Saussure legte am Ende des 19. Jahrhunderts die Grundlage für eine moderne Sprachwissenschaft, in dem er zwischen Langue und Parole unterschied. Diese kategoriale Unterscheidung büßte bis auf den heutigen Tag nichts an grundlegender Bedeutung ein. Unter langage verstand de Saussure die biologische Möglichkeit zu sprechen, die Sprache als solche, unter langue das Sprachsystem, die Gesamtheit der Regeln einer Sprache und unter parole den konkreten Sprachgebrauch, das konkrete Sprechen. Veränderungen in der Sprache verlaufen in sehr unterschiedlichen Geschwindigkeiten, während die parole, zu dem das Lexikon (Wortschatz) einer Sprache gehört, schnellen Veränderungen offen steht, äußerst flexibel ist, neue Worte aufnimmt, alte Worte „aussterben“ lässt oder transformiert, ist das Sprachsystem, die Grammatik einer Sprache ein sehr stabiles System, in dem Änderungen nur in sehr großen Zeitabständen vorkommen. Der Versuch, das grammatikalische Geschlecht zu verändern, zu gendern, in den weitgehend unveränderlichen Teil der Sprache einzugreifen, kann nur mit größter Brutalität erfolgen und stellt einen Angriff auf die Sprache selbst dar. Was als Akt der Befreiung ausgegeben wird, findet in praxi als bürokratischer Totalitarismus, als Zwang und Unterdrückung statt.
Universitäten gehen dazu über, Studenten, die in ihren Texten nicht gendern, mit Punktabzug zu bestrafen, und Genderkompetenz wird immer öfter als Kriterium für die Berufung auf eine Professur festgelegt. In literarische Texte, die Zeugnis ihrer Zeit sind und zugleich über ihre Zeit hinausweisen, wird eingegriffen, um Worte zu verändern, die heute als „diskriminierend“ oder „verletzend“ empfunden werden. Damit wird das Werk des Autors zerstört, weil die Historizität des Textes aufgelöst wird. Er verliert seine Verortung, einen Teil seiner Kontexte. Er wird verstümmelt und vergewaltigt.
Das Verfahren ist nur vergleichbar mit der Zensur oder mit der Methode der Buchinquisitoren des Index Librorum Prohibitorum, die Stellen in Büchern, die den guten Katholiken verwirren oder vom rechten Pfad abbringen konnten, weil sie häretisch waren oder zumindest übel klangen, einfach schwärzten. Selbst, wenn man das Gendern von Sprache für sinnvoll hielte, haben diese bürokratischen Akte nichts mit Freiheit zu tun, im Gegenteil, gendersensible Behandlung von Sprache wird diktatorisch mit Zwang durchgesetzt.
Die ideengeschichtliche Pointe lautet, dass gerade der Strukturalismus, der angetreten war, Sprache und Literatur vor der ideologischen Vereinnahmung zu schützen, die ideologische Vereinnahmung von Sprache und Literatur im Poststrukturalismus fordert. Man hatte die Tür zur Freiheit von außen geöffnet, um in die Unfreiheit zu gehen.
Ich erinnere mich, welch Offenbarung der Strukturalismus für mich als Germanistikstudent in der späten DDR bedeutete, wie er mich begeisterte. Die Möglichkeit, objektive Analyseverfahren auf literarische Texte anzuwenden, bedeutete, mit wissenschaftlichen Argumenten literarische Texte davor zu schützen, dass sie in den Dienst der Propaganda gestellt werden würden. Mehr noch, es eröffnete einen Weg, Texte missliebiger Autoren dennoch zu publizieren, indem durch die strukturalistische Textanalyse das ideologisch basierte Verdikt entkräftet werden konnte.
Das betraf nicht nur Texte von Gegenwartsautoren, sondern auch Werke der Literaturgeschichte. Zu zeigen, dass Dichtung nicht nur Inhalt und Botschaft ist, sondern die „Sprachform von Dichtung“ Bedeutung trägt und mithin in der Analyse und Interpretation nicht vernachlässigt werden darf, stellte ein wichtiges Moment im Kampf für die Literatur und gegen eine zensierende Bürokratie dar. Deshalb warf ich mich mit Feuereifer in die Beschäftigung mit dem Strukturalismus, der gerade in den Arbeiten der russischen Formalisten und der Prager Schule beachtliche Ergebnisse zeitigte.
Schriftsteller und Linguisten wie Viktor Schklowskij, Jurij Tynjanow und Roman Jakobsohn, aber auch Jan Mukarovsky leisteten Beachtliches, vor allem, weil sie den Strukturalismus nicht als Theorie, als Philosophie oder als Ideologie entwickelten, sondern als Methode, Texte zu analysieren und die Vorgänge der Rezeption zu verstehen. Claude Levy-Strauss wandte den Strukturalismus in der Ethnologie an und öffnete, weil er Ethnologie als System von Texten verstand, der Ideologie ein ganz klein wenig die Tür, ließ sie jedoch angelehnt und durchschritt sie nie. Doch nicht mehr die russischen Formalisten und Roman Jakobsohn markierten den state oft the art, sondern die Poststrukturalisten: Foucault, Barthes, Bourdieu, Kristeva, Derrida, Althusser, Deleuze, de Man und Greimas. Doch als ein Kommilitone auf einer Konferenz seine Interpretation einer Novelle von Franz Fühmann vorstellte, wurde mir schlagartig bewusst, dass der Poststrukturalismus den Strukturalismus verraten hatte, indem er die Struktur der Ideologie auslieferte, indem er von der Methode zur Gesellschaftstheorie, zur Philosophie überging und die Begriffe der Methode nur Spielbälle immer neuer, immer wirklichkeitsfernerer, immer unverständlicherer Gebilde wurde, die in der Hauptsache die Originalität ihrer Hervorbringer beweisen und ihre Machtstellung in der Gesellschaft der Intellektuellen absichern sollten.
Die Poststrukturalismen wurden zu Okkupationsarmeen ausgerichtet zur Landnahme auf dem intellektuellen Terrain. Mein Kommilitone referierte grundlegende Postulate und Kategorien aus der Strukturalen Semantik von Algirdas Julien Greimas, ohne dass er sich dabei selbst, noch ihm ein anderer auf der atemlosen Suche nach der Tiefenstruktur des Texte zu folgen vermochte und förderte in der Interpretation nur Banalitäten zu Tage, die einem halbwegs geübten Leser schon beim prima-vista-Lesen des Textes aufgegangen wären. Rekurrierte Algirdas Julien Greimas zumindest noch auf die Semiotik, setzte mit Michel Foucault die Ideologisierung des Strukturalismus ein, die wunderbare Möglichkeit, Wirklichkeit mit sanftem Druck aus dem Denken zu drängen.
Michel Foucault, der aus einer Arztfamilie stammte, entkam zwar dem Zwang des Vaters, der ihn mit allen Mitteln zum Studium der Medizin zu zwingen suchte, nicht aber dem medizinischem Blick, mit dem er die Gesellschaft betrachtete. Dabei fesselten die Ränder und dunklen Seiten der Gesellschaft sein Interesse, die Sexualität und der Wahnsinn. Seine Methode, Gesellschaft zu begreifen, geriet zur sozialen Pathologie, die sich am reinsten in der „Geburt der Klinik“, seiner am wenigsten beachteten Schrift, zeigt.
Für Foucault besteht die Welt aus Strukturen, mehr noch, die Strukturen konstituieren die Welt. Strukturen sind für ihn aber immer auch Ausdruck von Machtverhältnissen. Im Zentrum der Überlegung steht die Aussage, die ein seltsames Ereignis ist und die weder Sinn, noch Sprache ausschöpfen und von der immer etwas zurückbleibt. Das, was nicht ausgeschöpft wird, das, was zurückbleibt, sieht Foucault als Material der Geschichte. Auch wenn die Aussage als einzigartig angesehen werden muss, bleibt sie doch wiederholbar und übertragbar in andere Aussagen. Sie steht in einer Matrix von Aussagen, in Beziehung zu anderen Aussagen. Aussagen werden in der Sprache getätigt. Wichtig für das Verständnis von Judith Butler und des Zugriffs auf die Sprache, ist die von Foucault postulierte Erweiterung des Sprachbegriffs, denn zur Sprache wird ihm jede Äußerung, nicht nur als Gesprochenes und Geschriebenes, sondern die ganze wirkliche Welt, Techniken, Institutionen, Gesten, Handlungen, alles, was durch seine Existenz selbst zur Aussage wird.
Wenn man so will, rücken die Spuren der Wirklichkeit an die Stelle der Wirklichkeit. Diese Aussagen bilden den Diskurs einer diskursiven Formation. Aufgabe des Forschers wäre es, die Aussagen einer Formation zu Tage zu fördern, um den Diskurs als System der Aussagen analysieren zu können. Insofern bedeutet die Erforschung des Diskurses nicht die Analyse dessen, was gesagt wird, sondern der zugrundeliegenden Struktur der Aussagen, der „vorbegrifflichen Instanz“. Foucault geht es darum, die diskursive Formation aufzufinden, „das allgemeine Aussagesystem, dem eine Gruppe sprachlicher Performanzen gehorcht“. Doch die Ausgrabung des Beziehungsfeldes der Aussagen, die Archäologie der diskursiven Formation hat ohne Beziehung auf etwas Objektives, auf eine hinter dem Diskurs liegende Objektivität zu erfolgen. Denn die Aussagen gelten ihm nicht als Zeichen für etwas, das zu interpretieren oder zu verstehen ist, sondern als Monumente, als Ecksteine zu einer diskursiven Formation, die nur beschrieben werden kann.
Die fehlende Rückkoppelung zur Realität macht Foucaults Diskursanalyse zu einem Glasperlenspiel. Foucault ist ein zugeknöpfter Nominalist, den die Realität nicht interessiert, sondern der die Referenz des Realen ignoriert und sich wie Alice im Wunderland durch die inneren Bewegungen der Diskurse schlägt. Das Wort wird verdinglicht und tritt an die Stelle des Dinges. „Der Text ist ein historischer Gegenstand wie der Baum.“
Die Geschichte wird ihm zu einem Nebeneinander historischer Diskurse, die keine Diachronizität besitzen, sondern nur eine einzige Gleichzeitigkeit, die entfernt einer Leibnitzschen Monade ähnelt. Foucault betreibt die strukturalistische Aufwertung des Diskurses gegenüber den Referenten monomanisch und überschreitet hierbei die Grenze, die die Methode von der Ideologie trennt. Er spürt ausschließlich der synchronen Dimension des Diskurses nach, sucht nach signifikanten Zusammenhängen zwischen Diskursen, deren einzige äußere Beziehung in ihrer Gleichzeitigkeit besteht. „Dem Denken stellt sich nun eine Aufgabe: den Ursprung der Dinge in Frage zu stellen, aber ihn in Frage zu stellen, um ihn zu begründen, in dem die Weise wiedergefunden wird, auf die sich die Möglichkeit der Zeit gründet, jener Ursprung ohne Ursprung oder Anfang, von wo aus alles seine Entstehung haben kann. Eine solche Aufgabe impliziert, dass alles, was zur Zeit gehört, alles, was sich in ihr gebildet hat, alles, was in ihren beweglichen Elementen ruht in Frage gestellt wird, so dass der Riss ohne Chronologie und Geschichte erscheint, aus dem die Zeit hervortritt.“
Foucaults Blick auf die Gesellschaft ist der des Mediziners auf den Kranken, der zudem mit der Systematik der Krankheiten hadert und für den die Krankheit eine Sprache ist, über die er den Patienten vergisst. Was er sucht, ist das Muster von allem, das Ewig-Gleiche, das Ewig-Wiederkehrende, was ihm zum Ursprung wird: „Der Ursprung ist also das, was wiederkommt, die Wiederholung.“
Im Grunde interessiert sich Foucault nicht für den Menschen: „Die Archäologie versucht nicht die Gedanken, die Vorstellungen, die Bilder, die Themen, die Heimsuchungen zu definieren, die sich in den Diskursen verbergen oder manifesteren: sondern jene Diskurse selbst, jene Diskurse als bestimmten Regeln gehorchende Praktiken. Sein Ziel besteht darin, „Diskurse in ihrer Spezifität zu definieren; zu zeigen, worin das Spiel der Regeln, die sie in Bewegung setzen, irreduzibel auf jedes andere ist“, um die „Typen und Regeln von diskursiven Praktiken“ zu finden. „Die Instanz des schöpferischen Subjektes als raison d´etre eines Werkes und Prinzip seiner Einheit“ ist ihm fremd.
In der „Ordnung der Dinge“ stellt Foucault das Konzept des Menschen in Frage, der für ihn lediglich eine Erfindung ist, zudem ein junge, die noch keine 200 Jahre zählt, und die mit fortschreitendem Wissen auch wieder verschwinden wird. Prädiskursive Rahmenbedingung, die Foucault von Anfang an stark interessiert, ist die Macht, die sich in Machtverhältnissen und in den Strategien der Herrschaftsbildung realisiert. „Die Frage lautet nicht, wie Macht sich manifestiert, sondern wie sie ausgeübt wird …“
Wichtig für Judith Butler und für das Konzept der Subversivität und der Resignifikation wird Foucaults Gedanke, dass Macht nicht eindeutig zu verorten ist, sondern alle Bereiche entweder durchdringt oder die Rahmenbedingungen und Regularien schafft. „Allgegenwart der Macht: nicht weil sie das Privileg hat, unter ihrer unerschütterlichen Einheit alles zu versammeln, sondern weil sie sich in jedem Augenblick und an jedem Punkt – oder vielmehr in jeder Beziehung zwischen Punkt und Punkt – erzeugt.“ Macht wird nicht als Sein, sondern als Handlung verstanden, die in einem Feld unterschiedlicher Möglichkeiten agiert, das sich auf stabile Strukturen stützt. „Wo es Macht gibt, gibt es Widerstand. Und doch oder vielmehr deswegen liegt der Widerstand niemals außerhalb der Macht.“ Für Butler stellt sich daher die Frage, wie Widerstand gegen die heterosexuelle, männliche Macht und schließlich Emanzipation möglich, die selbst ein Akt der Macht ist, Macht aber nun als „Hindernis, Gegenlager, Widerstandspunkt und Ausgangspunkt für eine entgegengesetzte Strategie.“
Doch auch Foucaults einstiger Schüler und späterer Gegenspieler, Jacques Derrida, wird für Butler und den Genderismus produktiv. Kurz gesagt ist es vor allem die Vorstellung des Dekonstruktivismus und seines wichtigsten Werkzeuges, der Differance. Die Differance führt in die strukturalistischen Vorstellungen von der Struktur oder dem diskursiven Feld die Zeitlichkeit ein, in dem immer wieder neue Näherungen immer wieder neue Befunde ergeben, nichts abgeschlossen ist und alles ein Supplement enthält, etwas, was bei jeder neuen Betrachtung hinzukommt, nicht aber in dem Sinn, dass der Leser oder Interpretator etwas hinzubringt, sondern in dem Sinn, dass der Text selbst unabgeschlossen ist, weil das Gesagte auch eine Spur dessen enthält, was es nicht sagt. Und da der Poststrukturalismus die methodische Binarität ontologisch verhärtet, entsteht ein unabgeschlossenes System von Verweisungen des wahrzunehmenden Ungesagten. Dieses wahrzunehmende Ungesagte – und hier schließt Butler an – ist das Unterdrückte, das es zu befreien gilt und das unter anderem immer wieder durch die Sprache geknechtet wird. Sprache sieht sie vor allem als Mittel der Unterdrückung, der fortwährenden Repräsentation der Herrschaft. Da aber der Widerstand auch innerhalb der Macht sich realisieren muss, wie sie von Foucault lernt, hat auch die Befreiung mithilfe der Sprache und in der Sprache zu erfolgen.
Außerdem will Differance auch auf die Differenz, das Nichtidentische verweisen. Die Dekonstruktion spricht – auch das ist Differance – von den Bedingungen der Möglichkeiten des Realen, nicht aber über das Reale selbst. Dekonstruktion funktioniert zunächst erst einmal als Spiel der Möglichkeiten und das um so mehr, um so stärker es sich für die Referenten nicht zuständig fühlt. Wenn Judith Butler in der Resignifikation, in der Enteignung der Begriffe, dem Umfunktionieren von Sprache ein Kampfmittel erblickt, den aktuellen Sprachgebrauch, den sie für repressiv hält, zu unterwandern, zu minieren, dann kann sie an Derridas Vorstellung von der Differance anschließen, der zwar traditionell von der strukturalistischen Unterscheidung von Signifikant und Signifikat ausgeht, aber dem Signifikanten eine beherrschende Bedeutung zuerkennt, die bis weit in das Signifikat hineinweist. Mehr noch, das Signifikat, das Bezeichnete wird zu einer Funktion des Bezeichnenden.
Einseitig gerät so alles in den Fluss des Spiels, der Auflösung der Setzungen, was ein leichtes ist, wenn vorher die Referenz, die Dimension des Realen gekappt worden ist, weil die Realität für Butler nur ein anderes Wort für Herrschaftsverhältnisse ist. Von diesem Punkt aus kann auch die Geschichte dekonstruiert, d.h. aufgelöst werden, zum spekulativen Spiel der Möglichkeiten gemacht werden. Die Geschichte zerfällt in viele Geschichten, denn es existiert nicht „eine einzige, eine allgemeine Geschichte, sondern … stattdessen Geschichten, die nach ihrem Typ, ihrem Rhythmus, und der Art und Weise, wie sie eingeschrieben werden, verschieden sind, verschobene, differenzierte Geschichten usw.“ Dadurch wird eine verallgemeinerte Interpretationshaltung unmöglich, Erkenntnis und Wissen ausgeschlossen. Damit wird die ontologische Existenz des Textes in Frage gestellt, Erfahrung wird durch Imagination vertauscht.
Der Dekonstruktivismus ermöglicht durch den nicht endenwollenden Jahrmarkt der Lesbarkeiten die methodische Aufwertung des Relativismus. Er führt zu einem Zustand, in dem der Wald vor Bäumen nicht mehr gesehen wird. Geschichte als Wissenschaft wird aufgelöst, indem sie zu einem Spiel virtueller Geschichten, virtueller Diskurse wird, deren Aussagen zudem willkürlich ausgewählt werden. Foucaults Untersuchung „bestimmter Elemente – das Wissen über Lebewesen, über die Gesetze der Sprache und über ökonomische Zusammenhänge – für einen Zeitraum, der sich vom 17. bis ins 19. Jahrhundert erstreckt“ und die er mit dem philosophischen Diskurs dieser Zeit in Verbindung bringen wollte, hält keinerlei geschichtswissenschaftlicher Kritik stand. Über Derridas Vorstellung von der Schrift lässt sich Ähnliches sagen, sie funktioniert nur, indem Schrift zu einem Über-Terminus wird, dessen Grund Hyperkritik ist. Hyperkritik arbeitet Hypermoral vor.
Bedingung für die Lesbarkeit der Schrift ist für Jacques Derrida nicht mehr die Anwesenheit des Lesers, sondern die Iterierbarkeit, die Wiederholbarkeit des jeweils Anderen. „Ein schriftliches Zeichen tritt hervor in Abwesenheit des Empfängers.“ Der Empfänger wird aufgelöst wie auch der Autor. Roland Barthes angeregt von Derrida sollte vom Tod des Autors sprechen, der ganz in den Text aufgeht. Wesentliches Merkmal der Schrift ist, dass sie etwas einschreibt. Diese Einschreibung ist immer wieder zu dekonstruieren. Dekonstruiert wird ein Konstrukt, das bereits von der Wirklichkeit gelöst ist. Das Subjekt existiert nicht mehr, es ist Marionette des Textes oder der Schrift oder des Diskurses.
Geschichte wird vom Menschen gelöst zum Spiel der Aussagen. So wie der Marxismus keine Menschen kennt, sondern nur Klassen, die gegeneinander einen unaufhörlichen Klassenkampf führen, „der jedesmal mit einer revolutionären Umgestaltung der ganzen Gesellschaft endete oder mit dem gemeinsamen Untergang der kämpfenden Klassen“, wie Marx und Engels im „Kommunistischen Manifest“ schrieben, so kennt auch Derrida kein Subjekt, kein Individuum, nichts, was vom Menschen ausgeht, und auch Foucault nicht, für den Subjekte nur Konstruktionen von Diskursen sind. Die Auflösung des Individuums, die Entsubjektivierung des Subjekts, die Vermassung des Menschen, die Aufhebung des Menschen, die letztlich ihren Grund in der Hegelschen Subjekt-Objekt-Ontologie findet, ist ein Grundzug des Marxismus, aber auch des Poststrukturalismus.
Es stellt keinen Zufall dar, dass gerade die französischen Intellektuellen, die sich in der 68ziger Bewegung und in linken, marxistischen Organisationen wie der KPF engagierten, Männer wie Foucault, Derrida und Althusser den Strukturalismus der Ideologie öffneten, in dem sie aus der Methode eine Weltanschauung machten, die sie dann zur Wissenschaft erhoben, freilich in eine wissenschaftliche Weltanschauung, wie die Kommunisten es formulierten.
Die gesamte Entwicklung des Genderismus und die Hervorbringung und Durchsetzung des Genderns der Sprache als ein Mittel zur „revolutionären Umgestaltung der ganzen Gesellschaft“ wäre unverständlich, wenn man nicht die marxistische Rezeption des Poststrukturalismus durch Louis Althusser in Rechnung stellt, wobei Althusser anderseits den Marxismus auch poststrukturalistisch las. Judith Butler nimmt in ihren Theorien explizit und recht häufig Bezug auf Althusser, besonders auf die Schrift „Ideologie und ideologische Staatsapparate“.
Althusser untersucht die Frage, wie die herrschende Ordnung sich stabilisiert. Dabei unterteilt er zwischen Ideologische Staatsapparate, wozu er Schule, Universität, Kirche, Sprache etc. zählt, und Repressive Staatsapparate, Polizei, Justiz, Armee etc.. Das Individuum wird durch Anrufung zum Subjekt. „Die Kategorie des Subjekts ist konstitutiv für jede Ideologie. Aber gleichzeitig fügen wir sogleich hinzu, dass die Kategorie des Subjektes nur insofern konstitutiv für jede Ideologie ist, als jede Ideologie die (sie definierende) Funktion hat, konkrete Individuen zu Subjekten zu konstituieren.“
Genau an diesem Punkt setzt Judith Butler an. Ausgehend von Austins Sprechakttheorie, die besagt, dass Sprache sich in Sprechakten vollzieht und diese Sprechakte Handlungen darstellen, wird das Subjekt erst durch den Sprechakt, durch die Anrufung erschaffen. Dahinter steht das poststrukturalistische Postulat, dass gerade das Subjekt erst durch Diskurse konstruiert wird, die nun zu dekonstruieren seien. „Nach Austin geht das sprechende Subjekt dem Sprechen voraus, während nach Althusser umgekehrt der Sprechakt dem Subjekt vorausgeht, das er zur sprachlichen Existenz bringen will.“ Die Anrufung wird zur zentralen Kategorie für Butler, mit der sie begründet, weshalb wir durch Sprache zu dem gemacht werden, was wir sind, weshalb das Geschlecht ein gesellschaftliches Konstrukt ist, erzeugt durch die Diskurse der Zwangsheterosexualisierung oder durch die phallogozentrische Herrschaft.
Butler zitiert Althussers Beispiel: „In der berühmten Anrufungsszene, die Althusser anführt, ruft ein Polizist einem Passanten ‚Hallo, Sie da!‘ zu. Der Passant, der sich wiedererkennt und sich umwendet, um auf den Ruf zu antworten – d.h. fast jeder –, existiert im strengen Sinne nicht vor diesem Ruf. Was bedeutet nun diese sehr anschauliche Szene? Indem der Passant sich umwendet, erhält er eine bestimmte Identität, die sozusagen um den Preis der Schuld erkauft ist. Der Akt der Anerkennung wird zu einem Akt der Konstitution; die Anrede ruft das Subjekt ins Leben … Doch während Austin ein sprechendes Subjekt voraussetzt, postuliert Althusser in der oben dargestellten Szene, dass das Subjekt durch eine Stimme hervorgebracht wird.“
Nach Althusser wirkt die Ideologie über den Mechanismus der Anrufung. Die Verwendung des stark religiös konnotierten Begriffs zeigt, wie stark Althussers Denken vom Katholizismus geprägt ist, hat er doch den Glauben an Gott in seiner katholischen Ausprägung durch den Glauben an Marx und den Marxismus ersetzt. Diese Anrufung ist im Grunde ein Akt der Unterwerfung. „Das Individuum wird als (freies) Subjekt angerufen, damit es sich freiwillig den Anordnungen des SUBJEKTS unterwirft, damit es also (freiwillig) seine Unterwerfung akzeptiert und folglich ‚ganz von selber‘ die Gesten und Taten seiner Unterwerfung ‚vollzieht‘. Es gibt Subjekte nur durch und für ihre Unterwerfung. Eben deswegen funktionieren sie ‚ganz von selber‘.“ Für Butler existieren deshalb Sex (Geschlecht) und Gender (Geschlechteridentität) nur durch Anrufung. Menschen werden zwangsheterosexualisiert, weil sie als Heterosexuelle angerufen werden. Diese Anrufung begreift Butler als Unterwerfung. „Diese fortwährende Unterwerfung (assujettissement) ist nichts anderes als der Vollzug der Anrufung, jene wiederholte Handlung des Diskurses, der die Subjekte in der Unterwerfung formt.“
So wie Butler Sex und Gender zu einer Kategorie synthetisiert, setzt sie in obskurer Weise grammatikalisches und biologisches Geschlecht gleich und verleumdet das generische Maskulinum als Mittel der Unterdrückung und der Zwangsheterosexualisierung. Weil aber Sprache ein Diskurs der Macht ist, der Herrschaft, muss aus ihrer Sicht Sprache „enteignet“, sprich verändert werden. Eine besondere Rolle spielt die sogenannte Hassrede. In ihrem Buch „Hass spricht“ verwendet Butler den Begriff hate speech, ohne ihn selbst hinreichend zu definieren. Ausgehend von Althusser schlussfolgert sie: „Hate speech offenbart eine vorgängige Verletzbarkeit durch die Sprache, die uns anhaftet, insofern wir gleichsam als ‚angerufene Wesen‘ von der Anrede des anderen abhängen, um zu sein.“
In dieser Banalität offenbart sich Butlers extrem subjektiver Idealismus, denn wir sind, weil wir sind. Wir existieren auch nicht deshalb, weil wir angerufen werden, sondern weil wir sind, treten wir in Kommunikation. Althusser und Butler im Gefolge übersehen de Saussures Unterscheidung zwischen langue und parole. Die Sprache ist ein in langen historischen Zeitspannen wachsendes System, das eine große Invarianz aufweist. Nicht die Sprache verletzt, vor- oder zwischen- oder nachgängig, sondern im Gebrauch der Sprache, in der Rede, im Sprechen kann der Sprecher den Angesprochenen verletzen, wie er ihn aufzubauen, zu loben und zu motivieren vermag. Verbannen wir den Hass aus der Sprache, verbannen wir auch die Liebe aus ihr.
Judith Butler belegt es ungewollt selbst. Sie lebt in einer finsteren, düsteren Welt voller Unterdrückung, voller Hass, voller Zwang. Helligkeit, Liebe, Freundlichkeit existieren in dieser Welt nicht. Gleich zu Beginn ihrer Hassrede definiert sie: „Im Grunde schreibt man der Sprache eine Handlungsmacht zu, nämlich die Macht zu verletzen … Man behauptet also, dass die Sprache handelt, und zwar gegen uns handelt.“ Aber wer oder was ist die Sprache? Meint Butler die Sprache als System oder als konkrete Äußerung? Selbst Allah handelt nicht per se, sondern erst indem er spricht. Der Essay offenbart, wie wenig Butler von Linguistik versteht, wie abhängig sie von Althusser, Foucault und Derrida ist. Sprache handelt nicht, doch im Sprechen handelt der Sprechende, konkret und absichtsvoll. Er benutzt dafür die Sprache.
Um noch einmal auf Althussers Beispiel zurückzukommen, dass für Butler grundlegend ist: Unabhängig davon, ob der Passant von dem Polizisten „angerufen wird“, existiert er, würde er unabhängig von der Anwesenheit des Polizisten, sogar unabhängig von der Existenz des Polizisten, wenn der nicht ausgerechnet der Vater oder Großvater des Passanten wäre, existieren und an diesem Tag zu dieser Zeit dort entlanggehen. Was soll sich durch den simplen Fakt, dass der Passant auf den Polizisten reagiert, am Wesen des Passanten ändern? Seine Identität wird davon nicht berührt. In der Vorstellung, dass die Identität um den Preis der Schuld erkauft ist, hat sich das christliche Konzept der Erbsünde eingeschlichen, von dem der entflohene Katholik Althusser nicht lassen kann und das von Butler so gern übernommen wird, weil es vermeintlich zeigt, wie mies Sprache, die nur unterdrückt, mit den armen Zwangsheterosexualisierten umgeht, weil sie die Tatsache einer ständigen Schuld hervorruft – oder wie man in poststrukturalistischen Kreisen gern sagt: konstituiert.
Ein Einführungsseminar in Linguistik hätte genügt, um den Unterschied zwischen Sprache und Sprachgebrauch zu klären, ein Blick aus dem Studierzimmer heraus auf die Straße hätte verdeutlicht, dass Menschen existieren, dass sie Subjekte sind, die selbständig handeln und nicht erst als Opfer eines Diskurses konstituiert werden.
Judith Butler arbeitet sich in ihrer Theorie der Befreiung an den illokutionären und perlokutionären Sprechakten ab, unterschlägt aber, dass J.L. Austin drei und John Searle vier Arten von Sprechakten definierten, weil nur die illokutionären und perlokutionären Sprechakte für Butler hilfreich sind. Doch J.L. Austin definiert vor der Illokution und der Perlokution die Lokution. Während die Illokution die Funktion einer Äußerung meint, ob sie einen Befehl oder eine Entschuldigung ist und damit Vorgaben macht bzw. mittelbare Folgen auslösen kann, beschreibt die Perlokution die unmittelbaren Folgen der Äußerung, die einen Befehl oder die Einhaltung eines Schwurs oder Versprechens beinhalten können.
Die erste Ebene bildet jedoch die Lokution, die die Äußerung als Folge von Worten, die einem bestimmten Lexikon entnommen sind und entsprechend einer Grammatik gebildet werden, versteht. Nur auf dieser Ebene ist es möglich, den Wahrheitsgehalt einer Äußerung zu überprüfen. Da hier also logisch Wahrheit überprüft werden kann und die Verbindung zur Realität mittels Referenz gegeben ist, sperrt sich diese Ebene der halluzinierenden Spekulation. Für die Lokution gilt: hic rhodus, hic salta. John Searle unterscheidet sogar vier Arten von Sprechakten, den Äußerungsakt, den propositionalen und die beiden, mit denen sich auch Butler herumschlägt. Der Äußerungsakt beinhaltet das Hervorbringen der Äußerung nach den Regeln der Grammatik und der Phonologie einer Sprache. Im propositionellen Akt, der für die Bestimmung des Wahrheitswertes der Äußerung offensteht, wendet sich der Sprecher einem Objekt zu, dem er sogleich Attribute oder Eigenschaften zuordnet. Lokution oder Proposition passen allerdings nicht in Butlers Modell, in dem die Realität nur eine Konstruktion der Macht ist, die kein anderes Ziel als die Unterdrückung kennt.
Für Butler steht fest: „Der potentiell verletzende Effekt der Sprache lässt sich niemals vollständig regulieren …“, was sie aber mittels Zensur und Sprachpolizei als die wahren Mittel der Freiheit durchsetzen möchte. „Je deutlicher man bemerkt, wie unvermeidlich unsere Abhängigkeit von den Formen der Anrede ist, um überhaupt eine Handlungsmacht auszuüben, um so dringlicher wird eine kritische Perspektive auf die Sprachformen, die die Regulierung und die Konstitution des Subjekts bestimmen.“ Der Ort der kritischen Perspektive ist allerdings Orwells Wahrheitsministerium. „Tatsächlich ist es eines der stärksten Argumente für eine staatliche Regelung von hate speech, dass bestimmte Äußerungen … den Effekt haben, ihren Adressaten neuerlich zu unterwerfen.“ Butler bildet sich ein, wenn sie die Sprache zensiert, sie umbaut, ihr Gewalt antut, sie durchideologisiert und einen Sprachgerichtshof schafft, dass sie dadurch einen Beitrag zur Freiheit leistet.
Das Gegenteil ist der Fall – und der Essay „Hass spricht“ belegt es in eindeutiger Art: Es geht ihr um nichts Geringeres als um eine grundlegende Veränderung der Gesellschaft. Heterosexualität kann sie nur als Zwang sehen, denn Heterosexualität entsteht laut Butler im Verwerfen der Homosexualität. Zwar ist es eine biologische, also naturwissenschaftliche Tatsache, dass die Erhaltung der Arten durch Fortpflanzung, durch Heterosexualität entsteht und die meisten Menschen von Natur aus heterosexuell sind, doch kann man auch diesen Fakt aus der Welt schaffen, indem man sinn- und wahrheitswidrig behauptet, dass das Geschlecht nur eine soziale Fiktion ist. Nur leider bleibt in dieser „Theorie“ offen, wie die Konstituierung des Geschlechts als Ausdruck der Macht und der Zwangsheterosexualisierung bei Schafen und Elefanten und allen anderen Tieren erfolgte.
Der Gulag der Sprache geht nur dem Gulag der Gesellschaft voran. Butlers inquisitorische Strenge gilt „anstößigen Begriffen“, „unreinen Begriffen“, die Inquisitoren des Mittelalters hielt hierfür die Ausdrücke „Häresien“ bzw. „übelklingende Begriffe“ bereit. Judith Butler spricht selbst und in eindeutiger Weise von der Vorstellung „der souveränen Freiheit des Individuums“, zu der man nicht zurückkehren könne. Das aber ist der Dreh- und Angelpunkt, an dem sich die totalitäre und, wenn man so will, antidemokratische Grundhaltung des Genderismus zeigt, der erbittert alle bekämpft und diffamiert, die andere Vorstellungen vertreten.
Doch die Grundbedingung des demokratischen Staates ist der freie Souverän, der zum Zwecke der Regierung in einer repräsentativen Demokratie Vertreter wählt, die in seinem Namen und in seinem Auftrag die konkrete Regierungsarbeit leisten. Die souveräne Freiheit des Individuums ist die Grundlage der bürgerlichen Demokratie und zudem eine Garantie des Grundgesetzes und keine Vorstellung, zu der man nicht zurückkommen kann. Was hier hinter der Ecke hervorblinzelt, ist das totalitäre Denken des Marxismus.
Wie diese Zwänge, diese neue Unfreiheit, gewissermaßen eine Art Neostalinismus, aussehen können, hat das Studentenparlament der Humboldt-Universität zu Berlin vorgeführt, als es sich für eine harte Quotierung ausgesprochen hat: „Eine sich weiblich identifizierende Person“ soll auf der Rednerliste vor die erste „sich männlich identifizierende Person“ gezogen werden, sofern davor nicht bereits eine „sich weiblich identifizierende Person“ steht. Stehen nur noch drei „sich männlich identifizierende Personen“ auf der Redeliste, wird die Debatte beendet …“.
Die Dekonstruktion der Dekonstruktion als Dekonstruktion von Butlers Genderismus kann mit Blick auf den Umfang hier nicht geleistet werden, nicht die mangelnde Kenntnis der Geschichte, noch die Gefangenschaft in simplen Binaritäten, die keine Triplizitäten kennt, vorgeführt werden, noch die Rezeption des Marxschen Klassenkampfes als Geschlechterkampf, in dem der heterosexuelle Mann als Klassen- oder besser Geschlechterfeind gilt.
Die „Zwangsheterosexualität“ soll laut Butler aufgelöst werden, indem die Geschlechteridentität aufgehoben wird durch die Etablierung einer Vielzahl von Geschlechtern.
Zum strategischen Mittel in diesem Kampf gehört die Umgestaltung der Sprache durch die Einführung einer gendersensiblen Sprache und die Veränderung und Zerstörung von Texten durch die Veränderung der Texte, wie man es auch an der Bibel in dem Projekt „Bibel in gerechter Sprache“ versuchte und letztlich scheiterte. Schon Foucault hatte postuliert: „Der Diskurs befördert und produziert Macht; er verstärkt sie, aber er unterminiert sie auch, er setzt sie aufs Spiel, macht sie zerbrechlich und aufhaltsam.“
Den Diskurs umzufunktionieren, gegen die Macht zu richten, eine Gegenmacht zu etablieren, inspiriert diese Vorstellung, die Judith Butler und die Vertreter einer „gerechten“ oder „gendersensiblen“ Sprache verfolgen. Um was es hierbei tatsächlich geht, wird kaum verhohlen: „Die kulturelle Konfiguration von Geschlecht und Geschlechtsidentität könnten sich vermehren, oder besser formuliert: ihre gegenwärtige Vervielfältigung könnte sich in den Diskursen, die das intelligible Kulturleben stiften, artikulieren, indem man die Geschlechter-Binarität in Verwirrung bringt und ihre grundlegende Unnatürlichkeit enthüllt. Welche andere lokalen Strategien, die das ‚Unnatürliche‘ ins Spiel bringen, könnten zur Ent-Naturalisierung der Geschlechtsidentität als solcher führen?“
Das ist deutlich: es geht nicht um die queere Vielfalt, sondern die queere Vielfalt ist nur das Mittel, um die Geschlechter-Binarität der Heterosexualität aufzulösen, quasi zu verdünnen. Heterosexualität wird als unnatürlich bezeichnet. Die Liebe zwischen Mann und Frau, die Gründung einer Familie, die Zeugung von Kindern gelten Butler als unnatürlich, das, was in der gesamten Natur vorkommt, denunziert sie als unnatürlich, weil sie die Diffamierung der Homosexualität als unnatürlich umdreht und nun auf die Heterosexualität anwendet. Mutterschaft gilt ihr als Mittel der Unterdrückung.
Die queere Vielfalt ist für Butler letztlich eine Kampfmaske für die Homosexualität. „Ein Begriff wie Freiheit bezeichnet irgendwann einmal etwas, was er nie zuvor bezeichnet hat…“ Nämlich die Unfreiheit. „Das Wort, das verwundet, wird in der neuen Anwendung, die sein früheres Wirkungsgebiet zerstört, zum Instrument des Widerstandes.“ Hier wird deutlich, welche Aufgabe das Gendern von Sprache und die gendersensible Betrachtung von Texten, auch von biblischen Texten hat. In der Eroberung der Sprache wird das Mittel zur Veränderung der Gesellschaft gesehen.
„Solche Wiederaneignungen zeigen, wie anfällig diese unreinen Begriffe dafür sind, unerwartet wieder unschuldig zu werden.“ Dass unreine Begriffe unschuldig werden, wenn sie für den Genderismus in Anspruch genommen werden, ist sprachlich im Sinne einer semantischen Copula absurd und grammatikalisch falsch, weil weder unreine, noch unschuldige Begriffe vorkommen. Wer Begriffe schuldig sprechen will, macht sich lächerlich, indem er den Nominalismus noch nominalisiert. Einmal auf der metaphorischen, metaphysischen Eisbahn angelangt, gerät Butler weiter ins Rutschen: „Diese Begriffe sind kein Eigentum, sie nehmen jeweils ein Leben an und richten sich auf ein Ziel ein, für die sie niemals gedacht waren…Die Aufgabe liegt wohl darin, diejenigen gesellschaftlichen Gruppen in die Begriffe der Moderne mit einzubeziehen, die diese traditionell ausgeschlossen haben, und dabei zu wissen, dass solches Einbeziehen nicht einfach ist – sein Prozess müsste die Politik erschüttern und beschädigen, die ihn leistet … eine Vorstellung von Differenz und Zukünftigkeit in die Moderne einzubringen, die eine unbekannte Zukunft entwirft, eine, die jenen angst macht, die deren konventionelle Grenzen verteidigen wollen.“
Das Buch, in dem diese Sätze stehen, heißt zurecht Hass spricht. Am genauesten findet sich in diesem Text der Urantrieb von Butlers Denkens, ihrer Theoriebildung: Es ist der Hass. Der Hass auf den Feind. Der Feind ist der Unterdrücker, ist der Mann.
Conclusio
Wir haben gesehen, wie das Konzept einer gendersensiblen Sprache aus der Ideologisierung des Strukturalismus in Gestalt des Poststrukturalismus und des Dekonstruktivismus hervorgegangen ist und durch den totalitären Anspruch des Marxismus dynamisiert wurde. Theoretisch lässt sich der Genderismus und dessen Sprachkonzept nur unter der Verabschiedung der Wirklichkeit als Spiel der Diskurse, als der Tanz der Geschichten und Geschichtchen, als fiktionales Format begründen. Die Behauptung, dass auch das Geschlecht (sex) ein soziales Konstrukt ist und es noch dazu konstituiert wurde als Mittel der Zwangsheterosexualisierung, lässt sich naturwissenschaftlich nicht verifizieren, dafür aber eindeutig falsifizieren. Es stellt sozusagen das geozentrische Weltbild des Genderismus dar. Weil aber die gendersensible Betrachtung von Texten über keine konsistente wissenschaftliche Begründung und Grundlage verfügt, ist die gendersensible Betrachtung als sachfremd und theoretisch ungesichert abzulehnen.
Linguistisch unstatthaft ist die Behauptung, dass grammatikalisches und biologisches Geschlecht identisch wären. Nicht nur, dass die These der Sprachgeschichte widerspricht, müssten gleiche Worte in unterschiedlichen Sprachen das gleiche Geschlecht aufweisen, wenn grammatikalisches und biologisches Geschlecht zusammen fielen. So ist bspw. nach dieser Vorstellung die Tatsache, dass der Mond im Deutschen männlich, im Französischen weiblich und die Sonne im Französischen männlich, im Deutschen aber weiblich ist, nicht zu erklären, denn sowohl Sonne und Mond könnten dann nur ein und zwar identisches Geschlecht besitzen.
Wenn Sprache als System, als langue zudem Repräsentation von patriarchalischer, von männlicher Herrschaft ist, müssten die Symbole der Herrschaft auch männlich sein, also der Schwert, der Krone, der Szepter.
Die Vorstellung gerade mit Blick auf das generische Maskulinum, dass Frauen als Männer assoziiert werden, ist insofern falsch, weil die Assoziationen nicht über die Sprache, sondern über die persönlichen Erfahrungen abgerufen werden. Ob Bäcker, Erzieher, Lehrer usw. mit Frauen oder Männer assoziiert werden, hängt davon ab, ob der Assoziierende in den betreffenden Berufsgruppen stärker auf Frauen oder auf Männer gestoßen ist. Kitaerzieher würde ich beispielswese mit Frauen assoziieren, während sich bei Lehrern keine geschlechtsspezifische Assoziation bei mir einstellt.
Der Soziologe Ruud Koopmans zeigte, dass seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges in Europa und in den USA die Minderheitenrechte auf Kosten der Rechte der Mehrheit ausgeweitet worden sind und immer weiter ausgeweitet werden. Die Mehrheit der Bevölkerung empfindet das zunehmend als Verdrängung, als positive Diskriminierung, als Heimatverlust. Die Mehrheit sind diejenigen, über die Judith Butler so kaltschnäuzig schreibt, denen diese Entwicklung „angst macht“ und die ihre „konventionelle Grenzen verteidigen“, bzw. gesichert sehen wollen, es sind diejenigen, die in den Kirchen die Majorität bilden, die den größten Teil an Kirchensteuer entrichten, die sich in der Gemeinde engagieren, die Familien gründen, Kinder großziehen, den Staat und die Kirche am Laufen halten, deren Werte explizit christliche Werte sind.
In der Gemeindearbeit würde die „gendersensible Betrachtung von Texten“ kontraproduktiv bis schädlich sein und eher den Trend zum Kirchenaustritt, zum Unbeheimatet-fühlen in der eigenen Kirche verstärken. Jedes Zeitalter besitzt seinen eigenen großen Obskurantismus, der Obskurantismus der 21. Jahrhunderts ist der Genderismus, die Gender-Ideologie. Sie trägt nichts zur Emanzipation bei, sondern führt selbst zur Unterdrückung. Ihre totalitären Momente und ihre Ideen des unversöhnlichen Kampfes erbte sie vom Marxismus.
Gerade die Kirche der Freiheit darf sich nicht zum Gehilfen einer Ideologie machen, die nicht die Freiheit im Blick hat. Eine Kirche, die sich von Luthers sola scriptura herleitet, hat erst recht nicht an der scriptura herumzubasteln, bis sie zeitgeistigen Erwägungen entspricht. Sie muss die Texte der Bibel ernstnehmen, was auch bedeutet, die Aussagezeit, die Zeit, in der die Text entstanden sind, ihre kommunikative Situation respektieren, denn sie gehört genuin und strukturell zu den Texten. Die eigentliche Herausforderung besteht doch nicht darin, die Texte zu mir und zu meiner ideologischen Befindlichkeit herunter zu ziehen, sondern mich zu bemühen, die Höhe der Texte zu erreichen.
Mit dem Gendern der Gottesdiensttexte würde man sich vom Glauben verabschieden und dafür der Ideologie die Kirchentür öffnen, statt Christentum würde in der Kirche ein Wohlfühlprotestantismus herrschen, der jetzt schon Christen aus der Kirche treibt.
Und letztendlich stellt doch das Gendern von Texten, der Versuch, Texte ideologisch auf Linie zu bringen, eine große Einfalt, eine Angst vor dem Glauben, wenn es sich um christliche Texte handelt, und im allgemeinen eine Angst vor der wahren Vielfalt, vor dem Leben dar.
Niemand soll und darf wegen seiner sexuellen Orientierung oder seines Geschlechts diskriminiert werden, doch es wird dabei bleiben, dass die Liebe und die Ehe zwischen Mann und Frau das Fundament der Gesellschaft und der Kirche bildet. Niemand soll diskriminiert werden, doch die Liebe und die Ehe zwischen Mann und Frau ist als Leitbild der Gesellschaft und der Kirche zu respektieren, denn: „Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn; und schuf sie als Mann und Frau.“