Tichys Einblick
Ermordung von Khashoggi

Geld oder Moral

Am liebsten beides. So kann man die Reaktion grosser Firmen und westlicher Regierungen auf die Ermordung des Oppositionellen Jamal Khashoggi im saudischen Konsulat in Istanbul zusammenfassen. Es wird auch in Deutschland geheuchelt, was das Zeug hält.

Saudi Arabia is hosting a key investment summit overshadowed by the killing of critic Jamal Khashoggi that has prompted a wave of policymakers and corporate giants to withdraw.

FAYEZ NURELDINE/AFP/Getty Images

Das ist nun wirklich dumm gelaufen. Heute ist der erste Tag der grossen Investorenkonferenz in Saudi-Arabien. Geplant als Stelldichein der wichtigsten Unternehmensführer der Welt, natürlich auch von führenden Politikern und Vertretern von bedeutenden Institutionen wie dem Internationalen Währungsfonds, trägt die Konferenz den Übernamen «Davos in der Wüste». Dagegen wehrt sich inzwischen das Weltwirtschaftsforum Davos, aus Angst vor Reputationsschäden.

Aus dem gleichen Grund haben inzwischen beinahe alle fest eingeplanten Leader ihre Teilnahme abgesagt, auch Mitglieder des Beirats wie die Unternehmerin Arianna Huffington und der CEO von Siemens. Die Absagen hagelten so knüppeldick, dass zurzeit sogar die Webseite des Anlasses offline ist. Offensichtlich kommen die Veranstalter mit Programmanpassungen nicht hinterher.

Eine so massive Reaktion hatte der Scheich Mohamed bin Salman offenbar nicht erwartet. Unter dem neckischen Kürzel MBS aufgehübscht zum Modernisierer, hat er gezeigt, dass er natürlich so grausam, durchtrieben und machtbewusst ist wie all seine Vorgänger. Das schützt allerdings offensichtlich vor Dummheit nicht. Denn wie konnte er nur annehmen, er käme damit davon, dass ein 15-köpfiges Killerkommando einen Oppositionellen in einem saudischen Konsulat foltert, umbringt und in Einzelteile zersägt entsorgt? Nur, um anschliessend eine Lüge durch die nächste zu ersetzen, bis nun der ganze Fall angeblich strikt untersucht wird – durch eine Untersuchungsbehörde, die von MBS angeführt wird.
Also strich die Creme de la Creme der internationalen Wirtschaftselite ihre Flüge nach Riad. Die CEOs von JP Morgan Chase, Ford, Uber, Blackstone, der Credit Suisse, Siemens und so weiter und so fort. Genauso, wie es vorher eine imagefördernde Eigenschaft war, auf der Liste der Eingeladen oder gar der Redner zu stehen, ist es nun reputationsschädigend, noch nicht öffentlich abgesagt zu haben. Aber das Feld hat sich deutlich gelichtet, an Politikern von Rang und Namen hat bislang nur der pakistanische Ministerpräsident nicht abgesagt. Und natürlich stellen diverse Regierungen, darunter auch die deutsche, zukünftige Waffenlieferungen infrage.

Also hat die Moral gesiegt, keine Geschäfte mit blutrünstigen Diktaturen? Bevor er sein Fähnchen in den Wind hing, hatte der Siemens-CEO Joe Kaeser noch tapfer gesagt: «Wenn ich nirgendwo mehr hin dürfte, wo Menschen verschwinden, könnte ich gleich zu Hause bleiben.» Damit hat er natürlich völlig recht, es herrscht mal wieder ungeheuerliche Heuchelei. Saudi-Arabien ist eine im mittelalterlichen religiösen Wahnsinn verharrende Diktatur. Mit jährlich Hunderten von Enthaupteten auf öffentlichen Plätzen. MBS führt seit Jahren einen Stellvertreterkrieg im Jemen, der von der Weltöffentlichkeit beinahe unbeachtet zur grössten humanitären Katastrophe der Neuzeit geführt hat. Mit oder ohne Führerschein werden Frauen als Menschen zweiter Klasse behandelt, MDB sperrte auch schon mal Dutzende von reichen Saudis in einem Hotel ein, bis sie unter Zahlung eines Lösegelds von 120 Milliarden Dollar wieder freikamen.

Hat das alles den Abscheu der internationalen Öffentlichkeit erregt, hat das die Wirtschaftsführer letztes Jahr davon abgehalten, am Investorentreffen in Riad teilzunehmen? Sass da nicht die Chefin des Internationalen Währungsfonds Christine Lagarde neben eben diesem MDB? Und bedeuten die Absagen, dass nun keine Geschäfte mehr mit Saudi-Arabien gemacht werden? Natürlich werden sie gemacht. Anstatt der CEOs reisen nun einfach Arbeitsbienen der zweiten oder dritten Führungsebene nach Riad. Und überbringen schöne Grüsse vom Chef, der um Verständnis bittet, der internationale Druck, dumm gelaufen, aber nächstes Jahr dann wieder ganz sicher.

Der US-Präsident Trump, das muss man ihm lassen, spricht eine Wahrheit gelassen aus. Dieser präzedenzlose Missbrauch einer diplomatischen Vertretung sei natürlich unerhört, aber Sanktionen deswegen dürften dann schon nicht die Arbeitsplätze in der US-Rüstungsindustrie gefährden. Oder die Milliardeninvestitionen von Saudi-Arabien im Silicon Valley oder in Infrastrukturfonds der USA. Übrigens auch nicht den AIA, den Automatischen Informationsaustausch. Im Namen des Kampfes gegen Steuerhinterziehung haben sich bekanntlich rund 100 Länder darauf verständigt, Kontodaten untereinander auszutauschen, wenn ein Staatsangehöriger in einem anderen Land eine Bankbeziehung unterhält. An diesem Austausch ist auch Saudi-Arabien beteiligt. Natürlich dürfen diese Daten nur zur Überprüfung des steuerlichen Zustands der Gelder verwendet werden. Da lacht der Scheich, der Herrscher, der Diktator.

Moral und Geschäft, das ist eine ungeniessbare Mischung. Alle Gründe, die angeführt werden, um den Iran mit Wirtschaftssanktionen zu belegen, gelten genauso für Saudi-Arabien. Die meisten Attentäter des grössten Terroranschlags der Neuzeit kamen aus Saudi-Arabien, die Unterstützung von Terroristen und fundamentalistischen Wahnsinnigen durch die Scheichs ist notorisch. Das Land ist eine absolutistische Monarchie, eine Diktatur, Menschenrechte werden mit Füssen getreten, ein Rechtsstaat ist höchstens in Ansätzen vorhanden. Im Jemen führt das Regime einen Stellvertreterkrieg mit dem Iran und begeht massenhaft Kriegsverbrechen dabei. Alles Gründe, das Land als Paria in der internationalen Wertegemeinschaft zu behandeln.

Dagegen steht einzig, dass Saudi-Arabien ein Verbündeter des Westens ist, als Williger die von den USA geführten Irak-Kriege unterstützte. Seine Ölförderung weiterhin brav in Petrodollar abrechnet. Denn nicht Giftgasangriffe auf seine eigene Bevölkerung oder die Herstellung angeblicher Massenvernichtungswaffen brachen den irakischen Diktator Saddam Hussein das Genick. Sondern seine Ankündigung, seine Ölexporte zukünftig in Euro abrechnen zu wollen. Also gilt auch hier: Wenn sich die ganze Aufregung um Khashoggi gelegt hat – und sie wird sich legen –, dann gilt wieder uneingeschränkt das Grundgesetz des Kapitalismus: Business as usual. Oder wie George Clooney sagen würde: «What else?», was denn sonst.

Die mobile Version verlassen