Erneut wurde ich bei Facebook gesperrt. Dieses Mal gleich für 30 Tage. Grund ist der Screenshot einer Mail, in der mich ein junger Mann namens Abdullah sexuell beleidigt und den ich veröffentlichte, um mich zu wehren. Was Facebook genau an diesem Post gestört hat, erfahre ich nicht. Ob es das Wort „kanak“ war, welches der junge Mann verwendete oder die Tatsache, dass ich den Auszug einer privaten Nachricht veröffentlicht habe, wird wohl ein Geheimnis bleiben. Davon abgesehen würde es die ganze Schikane auch nicht besser machen.
Ersterer Fall zwingt das Opfer in die Passivität, in der Wehrlosigkeit. Nicht umsonst wird Opfern von Mobbing oder sexueller Belästigung und Gewalt immer wieder geraten, an die Öffentlichkeit zu gehen, nicht zu schweigen. Für mich kommt dieser Akt der Veröffentlichung dessen, was mir in so übler Form mitgeteilt wird, einer Reinigung gleich. Ich stoße den Dreck damit von mir weg. Indem der Täter der Lächerlichkeit durch die Öffentlichkeit Preis gegeben wird, gewinne ich als Opfer emotionale Distanz. Indem der Beleidigung und dem Täter die Ernsthaftigkeit genommen wird, gewinne ich meine Würde zurück. Indem ich durch das Posten handele, löse ich mich aus meiner passiven Haltung und gewinne die Macht über den weiteren Verlauf. Dann bin ich nicht mehr länger Opfer. Für dieses Verhalten von Facebook bestraft zu werden, sendet folglich ein fundamental falsches Signal an Opfer von sexueller Beleidigung und Bedrohung im Internet aus. Ein ohnehin durch den Vorfall verunsichertes Mädchen wird sich angesichts solcher Fälle von Täter-Opfer-Umkehr künftig mehrmals überlegen, ob sie mit den Beleidigungen und Drohungen ihr gegenüber an die öffentlich gehen wird. Auch an solchen Entwicklungen trägt die Lösch- und Sperrpraxis von Facebook ihren Anteil.
Löschpraxis: Willkür und Intransparenz
Vor allem aber wird Facebook die Willkür durch Intransparenz der eigenen Lösch- und Sperrpraxis auf Dauer zum Verhängnis werden. Bis heute ist Facebook eine Aufschlüsselung, nach welchen Kriterien Löschungen und Sperrungen vorgenommen werden, schuldig geblieben. Ein einheitliches Vorgehen, aus dem sich zumindest Mutmaßungen über die Praxis ableiten ließen, ist nicht ersichtlich. Während eine Spendenseite, auf der seit Jahren Spenden für bedürftige Kinder zu Weihnachten gesammelt werden, von Facebook gelöscht wird, können IS-Sympathisanten oder Neonazis oft ihrem Hass ganz unverhohlen mit Profilbildern, Videos und Postings Ausdruck verleihen. Für den aus Herford stammenden Initiator der Spendenaktion, Branko Kreinz, der sich über zwei Jahre hinweg ein großes Netzwerk an Unterstützern aufgebaut hatte, eine Katastrophe. Der IS-Sympathisant oder auch der glühende Antisemit, der dieser Tage angesichts der Geschehnisse in Israel mal wieder seinen Hass über die sozialen Medien ergießt, kann sich derweil weiterhin völlig hemmungslos ins Fäustchen lachen.
Jüngst traf es den Anwalt Joachim Steinhöfel. Jenen Anwalt, der sich mit seiner „Wall of Shame“ gegen die Willkür von Facebook zur Wehr setzt. Nachdem der US-Konzern vor Kurzem bereits ein Foto von Martin Schulz von Steinhöfels Profil entfernte, welches Schulz ungewollt mit Hitlergruß-ähnlicher Pose zeigte, sperrte ihn der Konzern nun gleich für 24 Stunden. Grund: Ein T-Shirt mit Hitler-Konterfei und dem Schriftzug „My Ché & Mao t-shirts are in the wash“. Überschrift des Posts: „I love Adolf Hitler on a T-Shirt. But ONLY with the subline: My Ché and Mao shirts are in the wash. Today we need a new one with Ché substituted by Fidel.“ „Ich muss wohl nicht erläutern, dass dieses T-Shirt eine deutliche Kritik an Personen ist, die ignorant und geschichtlich ahnungslos mit T-Shirts von Massenmördern wie Ché oder Mao herumlaufen.“, kommentiert Steinhöfel daraufhin seine Sperre auf seiner Webseite in einem Schreiben an die Anwälte der Gegenseite. Steinhöfel fordert hier neben der Rücknahme beider Löschungen durch Facebook eine schriftliche Entschuldigung und eine Mitteilung darüber, wie man künftig sicherstellen möchte, dass solche Vorfälle sich nicht wiederholen. Die Sperrung wertet Steinhöfel als „Eskalation“ und „feindseligen Akt“.
Vom Demokratieverstärker zum Handlanger politischer Richtungen?
Ein weit verbreiteter Irrtum ist, Facebook genieße als Privatunternehmen uneingeschränktes Hausrecht. Aus juristischer Sicht trifft diese Argumentation angesichts der nicht bestreitbaren Monopolstellung des US-Konzerns im Bereich der sozialen Medien nämlich nur bedingt zu. Und dennoch könnte diese Monopolstellung bröckeln, schafft es Facebook nicht, die nötige Transparenz in seine Lösch- und Sperrpraxis zu bringen. Darüber hinaus sollte sich Facebook intensiv mit der Frage beschäftigen, ob man sich tatsächlich zum Handlanger bestimmter politischer Richtungen machen will, oder ob die eigene Stärke nicht gerade in der Unabhängigkeit von eben jener Politik liegt.
Fakt ist, dass Facebook einst ein Demokratieverstärker war. Dass sich erst mit der breiten Nutzung von Facebook der Bereich der sozialen Medien als wahre Alternativ-Öffentlichkeit und Plattform des politischen Austausches etablieren konnte. Dieser Ausdruck von Freiheit droht angesichts des aktuellen politischen Drucks zu zerbrechen und durch autoritäre Willkür ersetzt zu werden, die sich nicht zuletzt darin äußert, dass der gesperrte User angesichts immer längerer Auszeiten und der Degradierung zum bloßen Zuschauer, regelrecht paternalistische Erziehungsmaßnahmen erfährt.
Dass europäische Regierungen, allen voran die deutsche, mit diesem Maß an Rede- und Meinungsfreiheit ihre Probleme haben, mag angesichts der seit Ewigkeiten im europäischen und deutschen Raum bestehenden Regulierungs- und Erziehungswut gegenüber dem Bürger nicht verwundern. Dies darf jedoch nicht dafür sorgen, dass der Bürger so etwas mit sich machen lässt. Die Rede- und Meinungsfreiheit bleibt die wesentliche Säule der Demokratie. Hier unterscheidet sich Demokratie von Autokratie. Sie ist integraler und unveräußerlicher Bestandteil der funktionierenden Demokratie. Die Freiheit, zu denken, was man will und zu sagen, was man denkt, muss uneingeschränkt bestehen bleiben, will man die Demokratie erhalten und das Vertrauen der Bürger nicht vollends verspielen. Vor diesem Hintergrund spielt es fast keine Rolle, ob ihre Einschränkung absichtlich oder unabsichtlich geschieht. Sie ist einzustellen. Der Medienkonzern will dadurch Geld sparen, indem er sich auf Algorithmen verläßt und den Kontext der Postings ausblendet. Das mag kostengünstig sein, aber es kommt Facebook teuer zu stehen. Nicht Maschinen können über Kontext und Angemessenheit entscheiden, sondern nur ausgebildete Redakteure. Längst ist Facebook zu groß und zu mächtig, als dass das hiernach reine Privatsache ist. Facebook ist ein Mediengigant und muss als solcher behandelt werden, um die Freiheit zu gewährleisten. Die Freiheit darf nicht der political correctness geopfert werden. Dies öffnet nicht nur der Willkür in Bezug auf Lösch- und Sperrpraxis Tür und Tor, sondern letztlich auch der politischen Willkür.