Tichys Einblick
Gedenken an Pogromnacht

Die Heuchelei ist eine Meisterin aus Deutschland

Zum 9. November 2023 stiegen Angela Merkel, Katrin Göring-Eckardt und andere wieder groß ins Mahngeschäft ein. Nie wieder wollen sie sich an ihre eigene Rolle bei der Antisemitismus-Förderung erinnern. Und auch nicht an das, was gerade auf deutschen Straßen passierte.

IMAGO - Collage: TE

Gäbe es eine Weltmeisterschaft in Heuchelei – das gute, wohlmeinende Deutschland hätte alle Chancen, wenigstens hier die ganz vorderen Plätze zu besetzen. Wie alle Wettbewerbe gibt es auch hier einen bestimmten Zeitraum, in dem die Spitzenkräfte antreten. Zur ‚Nie Wieder‘-Olympiade laufen sie traditionell am 8. und 9. November auf.

Der Gedenktag an die Pogrome von 1938 verlief 2023 etwas weniger routiniert als sonst. Bekanntlich wurden auf der Sonnenallee in Berlin kurz vorher die Massaker der Hamas in Israel mit Jubel und Süßigkeiten gefeiert, Massaker wohlgemerkt, die in einem kleinen Teil Israels mehr Todesopfer forderten als die sogenannte Reichskristallnacht damals in ganz Deutschland. In Essen marschierten Hamas-Sympathisanten und forderten die Errichtung eines Kalifats, in Berlin erklommen muslimische Migranten (beziehungsweise deren Nachfahren) mit Palästina-Fahnen und der Geste von Eroberern den Neptunbrunnen. Ebenfalls in der Hauptstadt markierten Täter Häuser, in denen Juden leben, mit dem Davidstern.

Selbst Wegschauer und Dummsteller der politischen Klasse können mittlerweile nicht mehr ignorieren, dass der Antisemitismus in Deutschland durch die hunderttausenden Migranten aus arabischen Ländern, die seit 2015 ins Land strömten, einen gewaltigen Vitalitätsschub bekam. Genug, um sich auf öffentlichen Plätzen zu zeigen, und Wohnungen von Juden zu markieren.

Um die Erinnerung wach zu halten
Eine erneuerte Gedenkkultur
Wenn Migranten in dieser Zahl aus Ländern kommen, in denen Judenhass zur Normalität gehört, hätte es schon eines Wunders bedurft, wenn dadurch nicht der Antisemitismus in der Bundesrepublik gestärkt worden wäre.

Von der hauptverantwortlichen Politikerin damals, Angela Merkel, konnte die Öffentlichkeit also wenigstens dieses Mal etwas anderes erwarten als den Abwurf der immergleichen rhetorischen Trauergebinde. Immerhin erklärte sie in ihrer Zeit als Kanzlerin, die Sicherheit Israels sei „deutsche Staatsräson“ – wohl wissend, dass niemand in Jerusalem so verrückt sein würde, tatsächlich einmal Hilfe von der Bundeswehr anzufordern. Mittlerweile kann der deutsche Staat bekanntlich noch nicht einmal die Sicherheit der Juden in Deutschland garantieren.

Merkels steuerfinanziertes Büro verbreitete eine Erklärung, in der sogar noch weniger als ein verdruckstes ‚naja, war 2015 vielleicht doch nicht alles ganz richtig‘ vorkam. Stattdessen überantwortet sie in ihrer bewährten Art der Gesamtbevölkerung die Aufgabe, mit den Folgen ihrer Politik fertigzuwerden. „Der Kampf gegen jede Form von Judenfeindlichkeit – von rechts, von links, islamistisch motiviert – ist unsere staatliche und bürgerschaftliche Pflicht“, so Merkel. Und: „Juden müssen sich in Deutschland sicher fühlen können.“ Dass sie das nicht können, weiß Merkel natürlich.

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Judenhass auf deutschen Straßen - schlimmste Erinnerungen werden wach
Schon zu ihrer Amtszeit kam es zu Übergriffen gegen Menschen mit Kippa auf offener Straße – in Berlin beispielsweise durch einen syrischen Migranten. Merkels Satz lässt sich eher wie ein Befehl an die Juden in Deutschland lesen, sich gefälligst sicher zu fühlen. Und bloß nicht danach zu fragen, wer die Verantwortung dafür trägt, dass Judenhass auf Berlins Straßen wieder offen gezeigt werden kann – der Davidstern aber nicht. An ihre Erklärung pappte sie die Schlussformel, die sie für einen der ersten Heuchelwettbewerbs-Ränge qualifiziert: „Das sind wir den Opfern schuldig, ihren Nachfahren und uns allen, wenn uns das Wohl unseres Landes am Herzen liegt.“ Keine Selbstreflexion, nirgends. Stattdessen fühlte sich die Ex-Kanzlerin bemüßigt, vor einem „Generalverdacht gegen Muslime“ zu warnen, den niemand hegt. Ewig grüßt der Strohmann. Beziehungsweise die Strohfrau. Denn Merkel legt bekanntlich großen Wert auf Geschlechterparität. Eigentlich fehlte nur noch: „Jetzt sind die arabischen Antisemiten halt da.“

Im Jahr 2018 kam in ihrer Gedenkrede als Kanzlerin zum 80. Jahrestag der Pogromnacht eine Passage vor, die heute eine ganz andere Bedeutung erhält, wenn man sie als Gegenwartsbeschreibung versteht, aus der nur der Zeitbezug entfernt werden muss.

„Weil wir so sehen können, wohin es führt, wenn – wie im Nationalsozialismus – ein zuvor strafbares Verhalten erst geduldet und schließlich zum erwünschten Verhalten erklärt wird“, heißt es dort. „Vorher beziehungsweise immer schon gehegte Vorurteile konnten nun ungestraft in offene Gewalt umschlagen. Begleitet wurde dies von dem Wegschauen, dem Schweigen, der Gleichgültigkeit, vor allem aber auch dem Mitlaufen einer großen Mehrheit der deutschen Bevölkerung.“

Die deutsche Bevölkerung läuft heute beim Judenhass in den Straßen in ihrer großen Mehrheit zum Glück nicht mit. Die Medienschaffenden schon: Zu einer kritischen Betrachtung der Merkelschen Grundverlogenheit fand sich von ARD bis zur „Süddeutschen“ keine Stimme.

Dicht auf den Fersen folgt Merkel eine andere Verlogenheitsathletin von hohen Graden: Katrin Göring-Eckardt. Sie besuchte zum 9. November einen jüdischen Kindergarten, um dort schwerbetropft festzustellen, dass die Einrichtung Wachschutz braucht. Um dann aufzuzählen, dass das „jüdische Leben“ in Deutschland generell Beeinträchtigungen ausgesetzt sei. Alles in einem Tonfall, als hätte sie das eben erst jetzt bemerkt, am 9. November 2023.

Auch bei ihr gibt es die eine medaillentaugliche Formel: „Wir entscheiden, welches Gesicht unsere Demokratie heute hat. Wir müssen das ‚Nie Wieder!‘ jetzt mit Leben füllen. Jeden Tag. Hier. Nie wieder ist jetzt.“

Vor wem eigentlich jüdische Kindergärten, Schulen und Synagogen hauptsächlich geschützt werden müssen, erwähnte sie in ihrer Aufzählung mit keinem Wort. Und selbstredend auch nicht ihre berühmte Rede, in der sie sich 2015 entzückt davon zeigte, wie das Land durch muslimische Massenzuwanderung „jünger, bunter, ja, auch religiöser“ würde, wobei sie das logisch notwendige „und antisemitischer“ wegließ. „Unser Land wird sich drastisch ändern“, so ihr O-Ton damals: „Und ich sage euch eins: ich freue mich darauf.“

Jetzt, da die drastischen Veränderungen sich im Straßenbild zeigen, kommt der Bundestagsvizepräsidentin kein Wort zu ihrer eigenen Rolle über die Lippen. Sie behandelt den antisemitischen Tsunami in Deutschland wie eine Naturkatastrophe. Wobei: Daran gäbe es natürlich einen Schuldigen, nämlich den Klimawandel und die Verhinderer des Tempolimits.

Die Ablehnung jeder Verantwortung für das eigene Handeln zeichnet psychisch unreife Personen aus, denen man vernünftigerweise nichts Wichtiges überlassen sollte. Ein Land schon gar nicht.

Von Claudia Roth, Bundesbetroffenheitsbauftragte für sonst fast alle Fälle und Schirmherrin von Judenhass auf der Documenta, hörte die Öffentlichkeit an diesem 9. November vergleichsweise wenig. Sie suchte die Beth Zion-Synagoge in Berlin heim.

Warum auch immer, und verkündete auf ihrer Webseite: „Die konsequente Bekämpfung von Hass, Hetze und Menschenfeindlichkeit ist unsere Pflicht und Voraussetzung für ein friedliches Miteinander. Heute mehr denn je.“ Zu den antisemitischen Ausschreitungen der vergangenen Tage und Wochen: kein Wort.

Zu der von ihr mitverantworteten Documenta kein Mucks. Versteht sich von selbst.

In der Findungskommission für das nächste Documenta-Kuratorium sitzt übrigens wieder jemand, der sich zur BDS-Bewegung bekennt, also zu der Organisation, die Israel durch Boykott in die Knie zwingen will. Immer wieder ist für die Kultusstaatsministerin eben jetzt.

Die Heuchelei ist eine Meisterin aus Deutschland.

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