Tichys Einblick
Drastischer Geburtenrückgang

Die demographische Krise und ihre Denkverbote

So rasant wie womöglich nie zuvor brach die Geburtenrate Deutschlands ein – trotz Zuwanderung. Bei der Ursachenforschung trifft man zwar auf viele Allgemeinplätze, dafür aber auch auf einige entscheidende Denkverbote.

IMAGO / Manja Elsässer

Das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung meldete einen „bemerkenswert starken und sehr plötzlichen“ Rückgang der Geburtenrate in Deutschland. Allein zwischen 2021 und 2023 sank diese von durchschnittlich 1,57 Kindern pro Frau auf 1,36. Mit einem Schlag ist das Thema wieder für einige Tage in den Schlagzeilen, bevor es – wie immer – schon bald wieder verschwindet und der Rückgang sich fernab der Augen der Öffentlichkeit unerbittlich fortsetzt.

Noch aber ist es medial präsent und all jene, die das Damoklesschwert des Bevölkerungskollaps ansonsten geflissentlich ignorieren, sind zur Stelle, um es nun mal schnell aus der Hüfte zu deuten. Offizielle Version: Corona und Krieg haben die Paare verunsichert. Mit anderen Worten: Putin ist schuld. Aber man sollte nicht so sein, tatsächlich dürfte die dauerhafte Angstspirale (Klima nicht zu vergessen!) ihren Beitrag zu der Problematik geleistet haben. Aber es ist wohl nur ein Teil der Geschichte.

Denn egal, wie man es dreht und wendet, ob 1,57 oder 1,36 Kinder, beide Werte liegen noch weit unter der Reproduktionsrate von 2,1. Die Antwort des Westens auf diese Probleme ist bekannt: mehr Migration. Der woke Neokolonialismus geriert sich zwar antiimperialistisch, beraubt aber aktiv seit Jahren jedes Krisengebiet der Welt um seine Jugend. Der wichtigste Rohstoff des 21. Jahrhunderts sind Frauen im gebärfähigen Alter, gefolgt von jungen Männern, die einen Großteil jener körperlichen Arbeiten verrichten, die für den grundlegenden Erhalt der Gesellschaft notwendig sind.

Somit ist es auch wenig überraschend, dass die ohnehin niedrige Kurve Deutschlands 2015 einen drastischen Aufschwung hinlegte und innerhalb kürzester Zeit von 1,4 auf fast 1,6 kletterte. Die Kurve sank wieder, bis der medial breitgetretene Corona-Babyboom 2020/2021 nochmal eine leichte Steigerung auslöste. Seitdem aber ist die Kurve im freien Fall. Stimmen, die meinen, es kämen hier auch Nebenwirkungen der sogenannten Corona-Impfung zur Geltung, können zwar weder direkt bestätigt noch von der Hand gewiesen werden, finden in der öffentlichen Berichterstattung aber dennoch bemerkenswert wenig Nachhall.

Wenn auch Migranten sich nicht vermehren wollen

Zwar heißt man nun, nachdem jahrelang vorwiegend junge Männer aus dem globalen Süden eingewandert sind, auch ukrainische Frauen gerne in Deutschland willkommen, doch der positive Effekt auf die Geburtenrate bleibt aus. Wenig überraschend, denn auch die Ukraine hat eine desaströse Geburtenrate, schon seit der Zeit vor dem Ausbruch des Kriegs mit Russland. Darauf zu hoffen, dass der Fortpflanzungswunsch ukrainischer Frauen, wenn sie denn plötzlich die Wahl zwischen Malte-Thorben und Mohamed haben, auf einmal erwacht, war wohl mehr als optimistisch.

Bereits im Herbst beschrieb ein Zweiteiler bei TE, anlässlich des 50. Jahrestags des berühmten „Universum 25“-Experiments, die große Gefahr eines möglicherweise irreversiblen Bevölkerungskollaps. Denn auch die neuesten Zahlen betonen zwar, dass Zuwanderer höhere Geburtenraten aufweisen als die einheimische Bevölkerung, allerdings liegt dieser Wert auch nur in der ersten Generation merklich höher. Mit Fortdauer des Aufenthalts in Deutschland sinkt die Geburtenrate migrantischer Nachfahren auf ein vergleichbares Niveau, wie bei jenen, die halt schon „länger hier leben“.

Der TE-Zweiteiler entwickelte daraus die These, dass es sich eben nicht um eine Prädisposition anderer Weltgegenden, oder um einen religiösen Hintergrund handelte, sondern diese Entwicklung vor allem mit der Wohlstandsbildung zu tun hat. Denn nicht nur der „dekadente Westen“ vermehrt sich nicht mehr, auch die proto-osmanische Türkei unter Erdogan schrammt mehr wie deutlich an der Reproduktionsquote von 2,1 vorbei. Das einzige Land auf dem europäischen Subkontinent, das diese Reproduktionsquote erreichen kann, ist Georgien.

Zum Vergleich: Der Großteil des weltweiten Bevölkerungswachstums findet mittlerweile nur noch in rund einem Dutzend Subsahara-Äquatorialstaaten statt, die exorbitante Geburtenraten von jenseits der fünf Kinder pro Frau aufweisen. Gleichzeitig handelt es sich dabei aber um einige der politisch instabilsten und ärmsten Regionen der Welt. Nebenbei muss festgestellt werden, dass die dortigen Geburtenraten im Angesicht von permanenten Umstürzen und Bürgerkriegen, dem Argument widersprechen, Krieg, oder die Angst davor, würde zwangsläufig zu fallenden Geburtenzahlen führen.

Migration: Das hässliche Gesicht des Neokolonialismus

In den USA prognostizieren Forscher nun bereits für die nächsten Jahrzehnte ein Hauen und Stechen um Migranten. Eine wirkliche Lösung ist das aber nicht, denn alle Indizien weisen darauf hin, dass diese Lösung nur dann funktionieren kann, wenn einerseits der Westen sein Wohlstandsniveau halten kann und folglich entsprechende Pull-Faktoren ausstrahlt, während andererseits exakt die sich stärker reproduzierenden Weltgegenden in kontinuierlicher Armut und Instabilität verbleiben, da nur dann die Versorgung mit dem Rohstoff Mensch dauerhaft gewährleistet werden kann. Im Mantel der Menschlichkeit wird hier ein System propagiert, das den schlimmsten Auswüchsen des Kolonialismus und des Sklavenhandels um nichts nachsteht.

Allein schon aus diesen Gründen ist auch die deutsche Einstellung zur Migration als Lösung der demographischen Krise moralisch entschieden abzulehnen. Aber selbst darüber hinaus ist die Migration eben keine dauerhafte Lösung, sondern nur ein Tropfen auf den heißen Stein, ein fahler Anstrich einer bröckelnden Fassade, deren fortschreitender Verfall von dem neuen Anstrich nicht aufgehalten werden kann.

Nur welche Lösungen kann eine Gesellschaft entwickeln, wenn sie sich selbst Denkverbote auferlegt? Während die Opposition in Deutschland nun der Ampel – zurecht – verfehlte Familienpolitik vorwirft, benennt sich die dafür zuständige Ministerin Lisa Paus lieber in „Gesellschaftsministerin“ um, sodass man sie mit den ungelösten Fragen der Familienpolitik nicht länger belaste.

Zur Verteidigung der Ampel prescht da Leni Breymaier, die familienpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, vor und präsentiert ein reiches Sammelsurium an Worthülsen: „Unser Ziel ist es, dass Frauen sich nicht zwischen Kindern, Selbstständigkeit oder Beruf und Karriere entscheiden müssen, sondern eine echte Wahlmöglichkeit haben.“

Heißt erst einmal gar nichts, außer dass hier weiter das Narrativ von den Frauen, die zu wenig Unterstützung von ihren Männern erhalten, fortgespinnt wird. Impulse bedeuten für Breymaier zum Beispiel die zweiwöchige bezahlte Freistellung für den Partner nach der Geburt. Selbst wenn dieses Projekt nicht „ins Stocken“ geraten wäre, muss man sich dennoch die Frage stellen, ob irgendjemand tatsächlich glaubt, mit solchen Initiativen ließe sich das Problem der Geburtenraten wirklich lösen.

Denkverbote für ein global ungelöstes Problem

Viel wichtiger scheint Breymaier zu sein, die Migrationspolitik zu loben. „Rechtspopulistische Rufe nach mehr deutschen Kindern und einem Rollback in der Frauen- und Familienpolitik sind unerträglich. Diesen stellen wir uns vehement entgegen“, so Breymaier. Wenn man schon für nichts vehement einsteht, dann zumindest gegen etwas. Ist zwar normalerweise die Aufgabe der Opposition, aber in der Ampel tut man ja bekanntlich gern so, als wäre man noch immer in der Opposition und alle anderen schuld an der Misere.

Aber es wäre tatsächlich weit gefehlt zu glauben, die Ampel trage hier allein die Schuld. Der jetzige Tiefstand ist der niedrigste Wert seit 2009, damals aber regierte die kinderlose „Mutti“ Angela Merkel, wahlweise mit SPD und FDP im Verbund. Und selbst, wer im Kabinett Merkel II noch nicht den Gipfel des Konservatismus erkennt, wird feststellen müssen, dass sogenannte konservative Hochburgen wie Ungarn, Polen oder auch Russland ebenfalls keine messbaren Erfolge zur Bekämpfung des Geburtenschwunds aufweisen können.

Was aber fast allen Wohlstandsgesellschaften (selbst jenen, die wir aus der Ferne nur belächeln) eigen ist, ist ein Punkt, der sich Breymaier zweifelsohne aufdrängt, den sie aber lediglich als „unerträglich“ abwimmeln kann. Denn keine entwickelte Gesellschaft hat bislang eine Lösung für die Probleme, die aus der vollumfänglichen Integration von Frauen in den Arbeitsmarkt entstehen, finden können. Dabei geht es nicht um persönliche Präferenzen oder Befindlichkeiten, sondern um Realismus.

Der „Baby-Boom“ im ersten Lockdown kam vor allem dadurch zustande, dass Paare wieder mehr Zeit miteinander zu Hause verbrachten und wussten, dass die Sorge um Haushalt und Nachwuchs zumindest für die kommende Zeit gesichert wäre. Aber mit dem Ende von Corona kam auch das Ende dieses häuslichen Idylls und all die Produktivitätsrückstände mussten wieder eingefahren werden.

Die ideologische Lebenslüge von der Erfüllung als Lohnsklave

Es ist, wie einst Michel Houellebecq bereits für die Zeit nach Corona prognostizierte: „Es wird alles einfach ein bisschen schlechter“. Genau das trat ein und die Geburtenrate spiegelt es wider. Geht es nach Politikern (egal ob Ampel oder CDU, das ist geschenkt), so gilt es, der seit 20 Jahren auf und ab zitierten Doppelbelastung von Familie und Karriere für Frauen vor allem dadurch zu begegnen, dass Männer mehr helfen müssen. Nebenbei einer der wenigen Themenbereiche, an denen mal nicht von „Partnern und Partnerinnen“, sondern deutlich von „Müttern“ und „Männern“ die Rede ist.

Dabei werden Klischees von Männern, die außer ihrem Vollzeitjob wenig Beitrag zum Haushalt leisten, perpetuiert, während Frauen primär als im Stich gelassene Powerleistungsträger dargestellt werden, die es zwar ohnehin ganz fantastisch schaffen, alles unter einen Hut zu bringen, die das dann aber trotzdem manchmal ein wenig anstrengend finden und daher … schweren Herzens … doch die Fortpflanzung in den Wind schreiben. „Wenn er mir nicht helfen will, dann bleibt mir ja nichts anderes übrig.“

So aber wird in den wenigsten Haushalten geredet und gelebt. Tatsache ist, dass fast jeder noch so durchschnittliche Job mittlerweile Einsatz und Überstundenbereitschaft erwartet, die früher noch den Karrieristen vorbehalten war. Die berüchtigte „9 bis 5“ Mentalität gilt mittlerweile als Schimpfwort und Ausschlusskriterium bei Bewerbungen, wobei man sie ja viel trefflicher als „Ich-hätte-gern-ein-Leben-außerhalb-der-Arbeit“-Mentalität bezeichnen könnte. Der Unwille, sein Leben für ein 50-jähriges Hamsterrad in Bullshitjobs zu opfern, ist nebenbei einer der sympathischeren Züge der Gen Z.

Daraus folgt, dass die meisten Paare berufstätig sind und dabei gut und gerne 10 Stunden ihres Tages am Arbeitsplatz verbringen. Wenn diese dann am Abend nach Hause kommen, bleiben ihnen meist noch 3 bis 4 Stunden vor dem Schlafengehen, in denen ein Haushalt geschmissen werden soll, politische Bildung erfolgen soll (wen wundert es dann, wenn man sich nur 15 Minuten von Tagesschau & Co. berieseln lässt?), Hobbys, Sport und Beziehungsleben gepflegt werden wollen. Wer dann noch Kinder hat, wird schnell merken, dass viele dieser Dinge notgedrungen auf der Strecke bleiben.

Denn auch, wenn in Haushalten die Aufgaben verteilt werden, die Tendenz geht mittlerweile eindeutig in eine relativ gleichmäßige Verteilung haushaltlicher Aufgaben. Das hat zwar auch unangenehme Nebeneffekte (zum Beispiel ergaben Studien, dass Frauen Männer, die klassisch weibliche Haushaltsaufgaben wie Staubsaugen übernehmen, als weniger attraktiv erfuhren), ist aber nunmal moderne Realität. Und nur, wer in diesen Zeiten kleine Kinder hat, wird wissen, wie hoch die dadurch resultierende Belastung ist, vor allem wenn man versucht deren Erziehung nicht vollständig an den Staat auszulagern bzw. – wie in mittlerweile vielen Fällen – der berufliche Werdegang die jungen Familien in die Ferne trieb und somit keinerlei Verwandten bei der Kinderbetreuung regelmäßig unter die Arme greifen können.

Es mag für die sinkenden Geburtenraten keine einfache Lösung geben, aber eines ist gewiss: Migration und zweiwöchiger Papa-Urlaub sind nicht einmal Feigenblätter. Der Kern des Problems, das eine der größten Herausforderungen der Gegenwart, wenn nicht die größte Herausforderung überhaupt, darstellt, liegt in einer grundlegenden Einstellung zum Wert von Familie und Haushalt. Und diese Werte haben direkt zu tun mit Fragen von Individualität und der Unabhängigkeit von „big business“ und „big government“, wie G.K. Chesterton einst die größten Feinde der Familie bezeichnete, denn die Einheit der Familie ist dem totalitären Anspruch beider ein Dorn im Auge.

Eine Welt, die trotz Automatisierung, Robotisierung, Massenproduktion und künstlicher Intelligenz keine anderen Lebensziele finden kann, als alles und jeden in vermeintliche „Karrieren“ zu stecken, wird über kurz oder lang zum Aussterben verdammt sein. Und wer nicht bereit ist, darüber ohne Denkverbote nachzudenken, wird eher früher als später dran glauben müssen.

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