Tichys Einblick
Parlament und Regierung handeln nicht

Gebt unserer Bundeswehr wieder ihren Stolz zurück

Es müssen nicht nur die nötigsten Ausrüstungsmängel behoben werden, es muss substantiell etwas verbessert werden. Kein Flickwerk mehr, sondern ein Pakt der militärischen Erneuerung.

© David Hecker/Getty Images

Unsere Bundeswehr kommt nicht zur Ruhe. Nach der Debatte über ein angebliches Haltungsproblem, dem Einsammeln von vermeintlichen NS-Devotionalien, wartet auf sie nun ein neuer Traditionserlass und langsam realisiert die veröffentlichte Meinung, dass auch bei der militärischen Befähigung unserer Bundeswehr etwas nicht stimmen kann.

Terror ohne Terroristen
Franco A. freigelassen - aber Ursula von der Leyen trägt keine Verantwortung
Es ist schon erstaunlich, wie ein durchgeknallter Franco A. und ein paar Vorkommnisse, die man dem extremen rechten Rand zuordnet, in der Lage sind, die ministeriellen Schwerpunkte grundsätzlich zu verschieben. Oder sind die Maßnahmen der Ministerin deshalb erforderlich, weil unsere Bundeswehr im inneren so schwach geworden ist, dass Selbstheilungskräfte der Truppe nicht mehr hinreichend vorhanden sind. Oder handelt es sich um die übliche Symbolpolitik, die Aktivität vortäuscht, von den Hauptproblemen unserer Bundeswehr aber nur ablenken soll, getreu dem Motto „Nebel, rückwärts, marsch, marsch“.

Dabei muss ganz klar ganz klar sein, dass es für rechtsextreme Sympathien in unserer Bundeswehr keinerlei Raum geben darf. Was für einen Sportverein, wie der Eintracht Frankfurt gilt, gilt erst recht für staatliche Einrichtungen vor allem mit Verfassungsrang. Deshalb ist es wichtig, dass man sich darum kümmert. Aber doch nicht die Ministerin. Das sind typische Aufgaben der Truppenführer.

Nun ändert sich die Berichterstattung. Waren bisher ministerielle Aktivitäten Gegenstand der veröffentlichten Meinung, die sich auf den inneren Zustand unserer Bundeswehr bezogen, rückt langsam die mangelnde technische Ausstattung und damit die unzulängliche militärische Befähigung unserer Bundeswehr in den Mittelpunkt der öffentlichen Wahrnehmung.

Der Bericht des Wehrbeauftragten bescheinigt der Bundeswehr erhebliche Ausrüstungsmängel und so hat der Bundeswehrverband in provozierender Konsequenz nun sogar die Frage gestellt, warum wir die Armee denn nicht gleich auflösen, wenn Sie schon Ihre Aufgaben nicht erfüllen kann.

Helds Ausblick 12-2017
Der Generalverdacht gegen alles Militärische
Wer die militärische Befähigung unserer Bundeswehr bewerten will, muss das immer vor dem Hintergrund ihres verfassungsrechtlichen Auftrages tun. Nach Artikel 87a Absatz 1 des Grundgesetzes, stellt der Bund Streitkräfte für seine Verteidigung auf. Maßstab für Ausrüstung und Bewaffnung unserer Streitkräfte muss daher die von der Verfassung vorgegebene allgemeine und grundsätzliche Aufgabe sein und nicht partikulare Einsätze in ausgewählten Krisenregionen. Die Ausrüstung dort wird vom Auftrag im Einzelfall und der Fürsorgepflicht des Dienstherrn bestimmt, nicht aber von der Verfassung.

Den originären Auftrag, nämlich der Landesverteidigung zu dienen, kann unsere Bundeswehr derzeit unter keinem Gesichtspunkt erfüllen. Wenn der Generalinspekteur dennoch beteuert, dass die Truppe ausreichend ausgerüstet sei, um Ihre Bündnis- und Einsatzverpflichtungen zu erfüllen, ist das einerseits schlichtweg unzutreffend, andererseits rein wörtlich zutreffend. Alleine am Beispiel von lediglich 95 einsatzfähigen Panzern bei einer Gesamtstärke von 244 vorhandenen Panzern des Typs Leopard wird deutlich, dass eine solche Behauptung schon rein numerisch unzutreffend sein muss, hinzukommt, dass 244 Panzer für sich eine völlig inakzeptable Stärke für ein 80 Millionen Volk darstellen. Andererseits kann die Bundeswehr ihre Einsatzverpflichtungen mit Mühe erfüllen, wenn Ausrüstungsgegenstände aus der gesamten Armee für ein Einsatzkontingent zusammengekratzt wird.

Gewogen und zu leicht befunden
Ursula von der Leyen: die Schwadroniererin
Dabei gehören innere Verfassung und militärische Befähigung einer Armee zusammen, denn sie sind zwei Seiten einer Medaille. Wie kann eine gute Stimmungslage, ein Korpsgeist eine Selbstimmunisierung gegen rechts erwartet oder gebildet werden, wenn die Armee ihren Aufgaben überhaupt nicht mehr oder in einem nur sehr reduzierten Umfang gerecht werden kann. Beides gehört zusammen, weil ersteres nur erreicht werden kann, wenn man stolz auf das ist, was man tut. Wer aber ohne Stolz eine hoheitliche Tätigkeit versehen soll, ist gefährdet, weil er sich den Stolz außerhalb der Organisation, für die er tätig ist, zu suchen Gefahr läuft. Denn hoheitlich tätig zu werden, ist ohne Stolz auf das, was man da tun soll, schlechterdings nicht machbar. Deshalb wirken das innere Gefüge und die militärische Befähigung aufeinander wie kommunizierende Röhren.

Während der jüngsten Diskussionen um den inneren Zustand unserer Bundeswehr kann man regelmäßig einen Hinweis auf die sogenannte Innere Führung vernehmen. Alle, die je gedient haben, haben von ihr gehört, es handelt sich um einen festen Begriff, der so sehr mit unserer Bundeswehr verwoben ist, dass die Innere Führung weder begrifflich noch inhaltlich heute infrage gestellt wird. Auch im aktuellen Koalitionsvertrag wird die Innere Führung als zentrales Leitbild fortgeschrieben.

Tatsächlich ist der Begriff der Inneren Führung eng mit den Anfängen der Bundeswehr verbunden. Während die Himmeroder Denkschrift noch vom „inneren Gefüge“ spricht, ein in der Wehrmacht üblicher Begriff, unter dem man seinerzeit die Stimmungslage der Truppe verstand, wollte man nach der verheerenden Niederlage unter dem Begriff „Innere Führung“ etwas grundsätzlich Neues schaffen. Im Mittelpunkt stand damals die Absicht, mit der Inneren Führung sicher zu stellen, dass der künftige Wehrpflichtige auch während des Wehrdienstes als Staatsbürger wahrgenommen wird und das Militär insgesamt der neuen demokratischen Ordnung verpflichtet ist.

Positionsbestimmung
Ein Offizier der Bundeswehr beschreibt den eigenen Standort
Solche Debatten waren möglich, weil das, was Innere Führung sein soll, unter einem wahren Wortbrei von Erklärungen und Meinungen, im Zweifel alles Selbstverständlichkeiten, verschwand, tatsächlich aber nie definiert wurde. Erst mit der ZDv 10/1 im Jahr 1993 ist ein erster Versuch unternommen worden, zu beschreiben, was Innere Führung sein soll. Danach bindet die Konzeption der Inneren Führung die Streitkräfte bei der Auftragserfüllung an die Werte des Grundgesetzes und gleicht die Spannungen aus und hilft diese zu ertragen, die sich aus den individuellen Rechten des freien Bürgers einerseits und den militärischen Pflichten andererseits ergeben.

Das ist schon erstaunlich, wenn man bedenkt, dass die Bundeswehr die einzige deutsche Exekutive ist, die eine Konzeption braucht, in der die Einhaltung der Werte des Grundgesetzes bei der Auftragserfüllung postuliert wird. Tatsächlich aber ist dies der quasi Markenkern einer jeden Exekutiven in einem freiheitlich und demokratisch organisierten Staat, weshalb eine gesonderte Regelung ebenso überflüssig ist wie es keinen Grund gibt, diese Selbstverständlichkeiten als Konzeption zu bezeichnen.

Auch die aktuelle Vorschrift ist wieder eine gut formulierte Sammlung von Allgemeinplätzen, nichts aber, was nicht durch die Verfassung oder Gesetze längst geregelt ist.

Sollte diese Argumentation nicht überzeugen, so sei die Frage gestattet, welche Bedeutung eine Innere Führung hat, die eine Ministerin veranlasst, sich um den inneren Zustand unserer Armee zu kümmern. Welchen Wert hat eine Innere Führung, die seit 20 Jahren eine katastrophale Verteidigungspolitik verbunden mit einem systematischen Niedergang militärischer Befähigung kritiklos begleitet und es eine ganze Führungsgeneration verlernt hat, die völligen Verlotterung der militärischen Befähigung anzusprechen und das Innere Gefüge in Ordnung zu halten.

Kein deutsches U-Boot ist seeklar, keine deutsche Heeres-Brigade einsatzfähig, die Transportkapazitäten müssen geliehen werden, zeitweise ist keines der 14 Transportflugzeuge vom Typ A 400 M einsatzfähig. Und nun fehlt es an Zelten und Winterbekleidung.

Verantwortlich ist wieder niemand. Keine Regierung, keine Ministerin, kein Parlament und keine militärische Führung.

„Frieden schaffen ohne Waffen“
Merkel und von der Leyen zerstören die Bundeswehr
Und vielleicht wird jetzt mancher General in seiner Betroffenheit einwenden, dass er dem Primat der Politik unterliegt und eben diese Politik für die mangelhafte Ausrüstung verantwortlich ist. Das stimmt, wenn die militärische Führung die politische Führung auf die Mängel aufmerksam gemacht hat und die politische Leitung das ignoriert. Dann müssen politische Konsequenzen gezogen werden und das trifft die Ministerin, was soll den sonst die Befehls- und Kommandogewalt bedeuten. Wenn aber die Militärs nichts gesagt haben, muss die Ministerin jetzt mindestens auf der Inspekteursebene personelle Konsequenzen ziehen.

Und wo ist der Einfluss unserer Abgeordneten? Tatsächlich bestimmt das Parlament den Einsatz unserer Bundeswehr dem Grunde nach. Doch was sagt der Bundestag zu den bekannten Mängeln seiner Parlamentsarmee? Warum schicken die Abgeordneten unsere Soldaten in den Einsatz, ohne sich über deren Ausrüstung Gedanken zu machen? Welche Rolle spielt dabei der Verteidigungsausschuss, der sich doch mit der in Rede stehenden diffizilen Materie auskennen sollte? Oder ist er zu einem Schweigekartell der militärischen Unzulänglichkeit mutiert?

Aber auch die führenden Militärs müssen sich rechtfertigen. Denn wie muss man die Tatsache bewerten, dass es Militärs waren, die Soldaten in Afghanistan mit Bussen transportieren ließen, die wir in Deutschland im öffentlichen Personennahverkehr einsetzen. Es sind eben auch Militärs, die schweigend den Befähigungsniedergang begleiten.

Tradition kommt nicht von Oben
Woher kommt die Bundeswehr und wo steht sie?
Wo sind die militärischen Führer, die den Mund aufmachen und das „treu dienen“ nicht mit Gehorsam verwechseln? Nicht umsonst ist der militärische Eid von Wehrmacht und Bundeswehr gerade in diesem Punkt so substantiell verschieden. Gehorsam in einem Eid kennt nur die Diktatur, während Treue unter Gleichen, also im Verhältnis von Staatsbürgern, auch solchen in Uniform, zu ihrem Staat gilt. Deshalb ist im Gegensatz zum Gehorsam die Treue etwas Wechselseitiges und impliziert das altgermanische Verständnis von Widerspruch gegen die Obrigkeit, wenn diese fehlt.

Aus all diesen Gründen müssen zwei substantielle Maßnahmen ergriffen werden, um unsere Bundeswehr wieder zu dem zu machen, was sie einmal war. Wir brauchen eine Reform der Inneren Führung und eine materielle Ausstattung, die dem Verfassungsauftrag entspricht. Beides gehört zusammen, weil es zwei Seiten einer Medaille sind.

Deshalb ist es an der Zeit, sich von der aus Allgemeinplätzen bestehenden Inneren Führung abzuwenden und sich mit dem inneren Gefüge zu beschäftigen, nämlich der Stimmungslage in der Truppe. Die Stimmungslage in unserer Bundeswehr muss wieder den von Clausewitz beschriebenen Innungsgeist, einen Esprit du Corps, hervorbringen.

Dazu müssen die Voraussetzungen geschaffen werden, dass unsere Bundeswehr personell und materiell wieder das kann, wozu sie aufgestellt wurde, nämlich zur Bündnis- und Landesverteidigung.

Es müssen nicht nur die nötigsten Ausrüstungsmängel behoben werden, es muss substantiell etwas verbessert werden. Kein Flickwerk mehr, sondern ein Pakt der militärischen Erneuerung, der in der Umsetzung des 2-%-Zieles gipfelt. Pars pro toto muss im Heer jedes Jahr eine Brigade die Einsatzbefähigung erhalten. Das sind in den nächsten vier Jahren vier Brigaden, also anderthalb Divisionen. Während des so genannten kalten Krieges verfügte die Bundeswehr über 12 Divisionen mit 36 Brigaden und enorme Kräfte des Territorialheeres.

Politisch tarnen und täuschen
Gute Nacht, Bundeswehr!
Statt dessen erfahren wir im Koalitionsvertrag wieder nur Allgemeinplätze, wenn die Ausbildungsstrukturen der Bundeswehr sowie ihre Führungskräfte- und Ausbildungskultur in einer „Trendwende Ausbildung“ evaluiert, überprüft und weiterentwickelt werden sollen. Das ist schön, aber was nützt Ausbildung, wenn man das, was man gelernt hat, nicht einmal üben kann. Statt dessen soll bis 2019 untersucht werden, in welcher Weise die Beschaffungsorganisation an ihren Standorten in ihrer Organisationsform angepasst werden sollte.

Alles nur Allgemeinplätze, aber keine Rede davon, wann unsere Boote wieder schwimmen, die ersten Brigaden einsatzfähig sind und die Hubschrauber fliegen. Kein Wunder, dass das Verteidigungsministerium nicht mehr zu den Schlüsselressorts zählt, vielleicht durfte es deshalb die CDU behalten.

Und die Innere Führung? Nun sie soll laut Koalitionsvertrag zentrales Leitbild und weiterhin Maßstab bleiben und die Bundeswehr soll ein moderner wettbewerbsfähiger Arbeitgeber sein, der hochmotiviertes Personal zu rekrutieren in der Lage ist. Wie soll das zusammenpassen, wenn ein Wortbrei der Beliebigkeit die ausrüstungstechnische Unzulänglichkeit begleitet?

Dabei würde die Verbindung von Innungsgeist, einem Esprit du Corps und eine wieder gewonnene militärische Befähigung automatisch der inneren Stabilisierung führen und unsere Bundeswehr wieder zur Elite machen. Zur Elite zu gehören, ist attraktiver als verordnete Programme und das Absenken von Standards. Nichts macht einen Arbeitgeber attraktiver, als der Stolz, dazu zu gehören, und nichts zieht die Besten mehr an, als der Wunsch, zur Elite zu zählen.

Und Elite muss und darf sich auch daran erinnern dürfen, dass wir einmal die beste Infanterie hatten und keiner das Gefecht der verbundenen Waffen so beherrschte, wie wir. Dass die Auftragstaktik ihre Wurzeln bei Moltke d.Ä. hat und deutsche Armeen deshalb ihren Gegnern immer strukturell überlegen waren. Auch das sind Inhalte für ein alternatives Inneres Gefüge und solche für das Traditionsverständnis. Dass umgekehrt Wehrmacht und Nationale Volksarmee keine Tradition begründen können, bleibt selbstverständlich. Ein Traditionserlass aber, der die Zeit vor der Bundeswehr am liebsten völlig ausblenden würde, ist fehl am Platz und zeugt von einem völligen Unverständnis der militärische Seele, eben dem inneren Gefüge einer Armee. Deshalb ist es gut, dass wenigstens da nachgeschärft worden ist.


Dr. Stefan Knoll ist Gründer und Vorstandsvorsitzender der Deutschen Familienversicherung. Er ist Oberst d.R. und war bis vor kurzem Vizepräsident im Verband der Reservisten der Bundeswehr.


Empfohlen von Tichys Einblick. Erhältlich im Tichys Einblick Shop >>>

Die mobile Version verlassen