Tichys Einblick
Die linksradikale Szene im Corona-Kessel

Geballte linke Lockdown-Wut: Am 1. Mai drohen Gewalt-Exzesse, wie schon lange nicht mehr

Die Linke in Berlin ist gereizt und mobilisiert wie schon lange nicht mehr. Am ersten Mai könnte sich die Wut mit einem Knall entladen - bisher scheint sich niemand für das Problem zu interessieren.

IMAGO / Klaus Martin Höfer

Der 1. Mai ist spätestens seit dem Jahr 1987 ein besonderer Tag für jeden Berliner. Am Tag der Arbeit – oder vielleicht treffender: Tag der arbeitslosen Krawall-Macher dank Papas Kohle – werden in Kreuzberg bis heute traditionell alle Läden verrammelt, die Straßen großflächig abgesperrt und die Autos möglichst weit weg in Sicherheit gebracht, um sie vor Pyromanen zu schützen. Die Gewaltbereitschaft und die Ausschreitungen sind in den letzten Jahren zwar spürbar zurückgegangen, doch genau das könnte sich jetzt wieder ändern – Bundeslockdown und Ausgangsbeschränkungen hin oder her oder gerade deswegen.

Schon letztes Jahr – zu einer Zeit in der ja tatsächlich noch relativ unsicher war, wie gefährlich das Corona-Virus ist – versuchte die Polizei weitestgehend vergeblich das geltende Demonstrations- und Versammlungsverbot durchzusetzen. Laut rbb waren trotz aller Verbote und vorheriger Drohungen rund um die Oranienstraße in Berlin-Kreuzberg mehrere Tausend unterwegs, die auf Abstands- und Hygieneregeln pfiffen – dagegen konnten auch die immerhin 5.000 Polizeibeamten im Einsatz wenig ausrichten. Es konnte durch konsequentes Eingreifen der Polizei und z.T. auch durch die Anwendung körperlicher Gewalt lediglich verhindert werden, dass sich aus den Menschenmassen ein großer Demonstrationszug formierte – der Schwarze-Block musste in diesem Jahr also auf seinen großen Auftritt verzichten. Damit verlief der 1. Mai zwar vergleichsweise ruhig, von einem friedlichen Maiauftakt kann man laut GdP aber trotzdem nicht sprechen. Die Polizei hat mehr als 120 Ermittlungsverfahren eingeleitet und etwas mehr als 350 Personen vorläufig festgenommen oder deren Personalien aufgenommen. In der Nacht wurden 18 Beamte durch Rangeleien und Flaschenwürfe verletzt.

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Ich fürchte, dass die Bilanz dieses Jahr noch wesentlich düsterer ausfallen könnte. Demos sind unter der Einhaltung von Hygiene-Auflagen wieder erlaubt und bereits jetzt (Stand 28.04.2021) sind bei der Polizei für den 1. Mai offiziell 39 verschiedene Versammlungen, Fahrraddemos und Kundgebungen angemeldet, von denen mindestens sieben Bezug auf die Corona-Maßnahmen nehmen und etwa 20 der linken bzw. linksextremen Szene zuzurechnen sind. Entgegen der Tradition der letzten vier Jahre ist auch die von mir schon als Kind so gefürchtete „Revolutionäre 1.Mai-Demo“ darunter – nicht, dass deren Anmeldung oder Nichtanmeldung in der Vergangenheit einen Unterschied gemacht hätte. Innensenator Andreas Geisel (SPD) sprach in einem Interview mit dem Tagesspiegel davon, dass die Teilnehmerzahl dieses Jahr bis in den fünfstelligen Bereich gehen könnte. Die Demo läuft also wieder, die großen Straßenfeste „Myfest“ und sein Ableger „MyGörli“ sind pandemiebedingt aber wie schon im letzten Jahr verboten – und genau das ist neben der allgemeinen Frustration und Wut, einer der Gründe, warum ich denke, dass die Gewalt wieder stärker eskalieren könnte.
Um 18 Uhr müssen wir Zuhause sein, dann brennen die Straßen 

Es ist nicht so, dass ich mich nach diesen Festen zurücksehne – ich hasse die Kreuzberger Straßenfeste sogar wie die Pest. Trotzdem bin ich davon überzeugt, dass sie hauptverantwortlich für die Deeskalation der letzten 18 Jahre sind. Als ich zur Grundschule ging war das „MyFest“ in der Hauptsache noch ein Kinderfest, bei dem sich jeder Spross, der den Erlebnis-Parcours auf dem Mariannenplatz meisterte, ein T-Shirt verdienen konnte. Das „Räuber und Gendarm“-Shirt war eine Art Prestige-Objekt unter Kreuzberger Kindern – man musste quasi eins haben, um dazu zu gehören. Mal abgesehen von dem Fakt, dass der Gendarm in diesem Fall der Bösewicht war und jeder der Räuber seien wollte, war das Fest natürlich in Gänze pädagogisch und ideologisch wertvoll. Am besten erinnere ich mich an die letzte große Station, bei der man sich seinen Stempel nur abholen konnte, wenn man einen großen schweren Sack Kaffeebohnen auf seinem Rücken einmal um den Platz getragen hat – um zu spüren, wie es den armen Kindern in Brasilien oder Guatemala geht, während unsere Eltern genüsslich ihren Morgenkaffe schlürfen. Anschließend mussten wir die Bohnen verkaufen und unser Verhandlungsgeschick beweisen – was nicht wirklich meine Stärke war. Ich hatte Angst vor dem großen fremden Erwachsenen, der in seiner Rolle des Kaffee-Exporteurs alias des fiesen Kapitalistenschweines richtig aufging. Ich nahm nicht mehr als 1 traurigen Cent für meinen mühsam geschleppten Sack mit nach Hause.

Die Gewalt wird offen angekündigt.

Und „nach Hause“ war das Stichwort – jeder wusste, dass man vor 18 Uhr weg sein musste, denn dann brannten die Straßen. Und das haben sie damals wirklich noch. Die revolutionäre 1.Mai-Demo endete auch in den Jahren nach der Jahrtausendwende immer noch in wilden Straßenschlachten zwischen den Demonstranten und der Polizei. Überall in Kreuzberg brannten Autos, deren Besitzer unvorsichtig oder blöd genug gewesen waren, sie nicht in Sicherheit zu bringen. Der Vater einer meiner besten Freundinnen schaffte es so sogar ins Fernsehen.

Antwort der Bundesregierung
Linksextreme für die Mehrheit politisch motivierter Brandstiftungen verantwortlich
Demonstranten hatten sein Auto auf der Oranienstraße, einem der „Kriegsschauplätze“ schlechthin, umgestoßen und mitten auf die Straße geschoben. Das Auto markierte die Trennlinie zwischen Autonomen und Polizisten, weshalb es zwar nicht angezündet, aber bis zur Unkenntlichkeit demoliert wurde. Ich werde nie die TV-Bilder vergessen, auf denen durch den dichten Nebel von Bengalos vermummte Demonstranten sichtbar wurden, die auf dem umgedrehten Autowrack standen und Steine auf die Polizei schmissen. Genauso wenig wie das kindliche Drama meiner Freundin, deren Lieblingskuscheltier auf der Rückbank lag und jeden Moment drohte Opfer eines flammenden Infernos zu werden. Meiner anderen Freundin flogen am selben Abend noch die Glasscherben des Wohnzimmerfensters entgegen, die sie und ihren Bruder während des KIKA-Abendprogramms gerade so verfehlten – man war bis in den 2. Stock und auch als Normalbürger nicht vor den Steinen der Autonomen sicher.

Man kann sich also vielleicht vorstellen, dass ich den ersten Mai als Kind vor lauter Angst aus tiefstem Herzen gehasst habe. Mein Vater wohnte früher zu allem Übel genau am Endpunkt der revolutionären 1. Mai-Demo, was für mich bedeutete, den halben Tag bei heruntergelassenen Rollläden und geschlossenen Fenstern in meinem Zimmer zu sitzen und mir die Ohren zuzuhalten, um nicht das ständige Geschrei, die Sirenen und den Knall der Feuerwerkskörper hören zu müssen.

Party gegen Pyromanen

Es gab jedes Jahr Krawalle, doch um so größer und populärer das „MyFest“ wurde, desto unspektakulärer wurden die Ausschreitungen. Das Fest entwickelte sich innerhalb weniger Jahre zu einem riesigen Open-Air-Festival mit Bühnen, lauter Musik, jeder Menge Alkohol und Essenständen an jeder Straßenecke – und zog dementsprechend viele feierwütige Menschen und eine große Zahl von Touristen an. 2017 nahmen über den Tag verteilt schätzungsweise 200.000 Menschen am Straßenfest teil, weshalb 2018 erstmals der berühmtberüchtigte Görlitzer Park offiziell mit in die Partyplanung einbezogen wurde. Auch wenn ich damals selbst noch zum feuchtfröhlichen Kreuzberger-Partyvolk gehörte, fand ich das „MyGoerli“-Spektakel unerträglich.

Ich musste mich durch Horden von besoffenen, mit Drogen vollgepumpten Partypeople und durch ein Meer aus Scherben und Müll kämpfen, um überhaupt in meine Straße zu kommen. Jede Ecke und jeder Hauseingang stanken so penetrant nach Urin, dass einem fast der Atem wegblieb. Mein persönlicher Höhepunkt begegnete mir in Form von 10 britischen Touristinnen in unserem Hauseingang. Als ich in den Flur kam, sah ich aus dem Augenwinkel eine kauernde Gestalt neben mir, deren erschrecktes Gesicht verriet, dass ich sie grade beim Pinkeln erwischt hatte. Im Hof saßen zu meiner Empörung in jeder Ecke weitere kichernde volltrunkene Weiber, die sich unter anderem direkt neben unserer Tür und vor, hinter und im Sandkasten – in dem die türkischen Kinder aus meinem Haus doch recht häufig spielten – erleichterten.

Bilder aus Berlinistan
"Vergeltung" für Räumung einer Szenekneipe: Linksextreme Gewaltwelle rollt über Berlin
Die Mai-Party brachte also nicht nur Abhilfe, sondern auch neue Probleme und Unannehmlichkeiten mit sich. Trotz alldem ist es mir viel lieber, wenn die Menschen etwas zu ausgelassen feiern, als wenn sie Autos und Geschäfte anzünden, randalieren, Straßenbarrikaden bauen und wie wildgewordene Berserker mit Steinen um sich schmeißen. Da lass ich mich lieber die ganze Nacht mit Techno-Bässen beschallen, ertrag den Gestank nach Kotze und Urin und bezahl mit meinen Steuergeldern meinetwegen auch freiwillig das drei-tägige Putzprogramm der BSR, als nochmal solche kriegsähnlichen Zustände wie in meiner Kindheit  – oder noch schlimmer, die aus den Erzählungen meiner Eltern – zu erleben. Die Strategie des Bezirks „Party statt Randale“ ist über die Jahre tatsächlich aufgegangen. Einerseits weil viele Leute dann doch lieber trinken und tanzen als zu demonstrieren, und andererseits schlicht, weil die schwarze Block-Demo nicht durch die Massen kam – 2019 wichen sie deswegen sogar von ihrer traditionellen Route ab und marschierten stattdessen durch (das etwas weniger volle) Friedrichshain.
Back to Black – die Linke-Szene macht mobil

Dank Corona ist dieses wie letztes Jahr nichts mit Party. Es gibt also keinen Ausgleich, dafür besonders viel Wut. Die Leute, und das betrifft die Linken genau wie alle anderen, sind zu großen Teilen sowieso schon bis aufs tiefste frustriert, weil seit einem Jahr quasi kein Leben mehr stattfindet. Dazu kommt, dass die linksextreme Szene alles andere als begeistert war, als das Bundesverfassungsgericht den Mietendeckel für nichtig erklärt hat. Nur Stunden später kam es bei der Demonstration am Kottbusser Tor zu gewalttätigen Ausschreitungen. Die Polizisten vor Ort wurden nicht nur von etwa 100 Leuten mit Flaschen und Steinen beworfen, sondern auch körperlich angegriffen und zum Teil mit Holzlatten attackiert, während 1.000 weitere Demonstranten um sie herumstanden und polizeifeindliche Sprechchöre anstimmten – frei nach dem Motto „ganz Berlin hasst die Polizei“. Auf dem Blog des Bündnis Revolutionärer 1. Mai Berlin rühmen sich Linksextreme mit dem „massiven Widerstand gegen die Bullen“ und „beherzter körperlicher Gegenwehr“. Bereits bei der Demo soll per Lautsprecher für den „Enteignen-Block“ der Mai-Demo mobilisiert worden sein. Die Aktivisten sind sich sicher, dass „viele wütende Mieter:innen zum 1. Mai kommen werden“.

Linke Gewalt ist gut
Antifa: Die unheimliche Liebe der Linken
 Und dann wird wenige Tage später auch noch die Lieblings-Kiezkneipe der Kreuzberger Linken, die „Meuterei“, geräumt – nach dem sie erst letztes Jahr schon die Räumung der „Liebig 34“ und des „Syndikats“ ertragen mussten. Ich habe mir selbst angeguckt, wie die rund 1.200 Linksextremen zwei Tage vor der Räumung der „Meute“ durch unseren Kiez gezogen sind, und muss sagen, dass ich wirklich lange nicht mehr so eine geballte Aggression erlebt habe. Die Linksextreme-Szene ist verdammt wütend und verdammt gewaltbereit. Allein die Räumung der vermüllten Ranzkneipe zog drei Tage voller Gewalteskapaden und brennender Autos nach sich. Wie soll es also erst an ihrem offiziellen Kampftag werden?

Das Bündnis „revolutionärer 1. Mai Berlin“ mobilisiert seine Anhänger bereits seit Wochen durch Plakat-Aktionen, mit Sprayereien und im Internet die „revolutionären Kämpfe unserer Vorfahren und Vorgänger*innen fortzuführen“. Unterstützung gibt’s dieses Jahr von einem Bündnis migrantischer Gruppen unter Führung des relativ jungen Antifa-Ablegers „Migrantifa“ – von Migranten für Migranten gegen den Kapitalismus. Die Reichen sollen für die Krise die Rechnung präsentiert bekommen. Wie gewalttätig das am Ende ausfallen wird, bleibt abzuwarten – ich habe allerdings gar kein gutes Gefühl, trotz und wegen der Corona-Maßnahmen.

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