Tichys Einblick
FUSSBALL-Rückblick auf 2020

Was gab es in Fußballdeutschland nach dem FC Bayern München sonst noch?

Das Jahr 2020 war sicherlich das erfolgreichste Jahr der Clubgeschichte für den FC Bayern München. Doch in diesem Jahr hatte der deutsche Fußball noch mehr Schlagzeilen geliefert als die über die bajuwarischen Titeljäger. Der etwas andere Jahresrückblick.

Spieler von FC Union Berlin vor dem Spiel gegen Borussia Dortmund am 18. Dezember 2020.

imago images / Kirchner-Media

Februar 2020. In der Bundesliga gibt es nach dem 20. Spieltag ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit dem FC Bayern, Borussia Dortmund, RB Leipzig und überraschend auch Borussia Mönchengladbach. Die Liga brummt, ausverkaufte Stadien, begeisterte Fans. Doch dann startet die Pandemie durch und einen Monat später ist nichts mehr, so wie es war. Das Virus bestimmt auch in der Liga die Schlagzeilen. Geisterspiele stehen auf dem Programm, dann der Lockdown und mit ihm Horrormeldungen von einigen Clubs, die kurz vor dem Bankrott stehen. In solchen Zeiten werden Helden geboren und Verlierer produziert.

Die Gewinner des Jahres

Union Berlin – Unter dem Radar der Medien
Und niemals vergessen, Eisern Union! Der Verein aus dem südöstlichsten Stadtteil Berlins ist seit Sommer 2019 ein Teil der elitären Bundesliga und steht auch in dieser elitären Spielklasse für Bodenständigkeit und dem Willen, dem Rest der deutschen Fußball-Republik zu zeigen, dass der Fan mehr ist als ein Konsument. Er steht auch dafür, dass er mit seiner Art Fußball zu spielen, mehr erreichen kann, dass er mit seiner Form des menschlichen Zusammenseins mehr ist als Börse, Sponsoring in China oder Kaviar und Sky Lounges. Dass der 1. FC Union Berlin in dieser Saison auf dem sechsten Tabellenplatz überwintert, ist kein Zufall, sondern harte Arbeit und Realismus. Der besagt auf das Fußballerische heruntergebrochen: Eine Mannschaft, keine Show, Handarbeit und pures Streben nach Erfolg ohne Prunk und Glamour.

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Erling Haaland – Auf dem Sprung zum Weltstar
Wer Vater Alf-Inge kennt, weiß, warum Filius Erling so erfolgreich ist und auch nach seiner Verletzung seinen Arbeitgeber Borussia Dortmund in die Champions League schießt. Der 20-jährige Norweger markierte für die Gelb-Schwarzen 23 Treffer in 23 Pflichtspielen und präsentierte sich der Öffentlichkeit als bodenständiger Skandinavier, der so gar nichts zu tun hat mit den Bilderbüchern und Hochglanzmagazinen eines Lionel Messi oder Cristiano Ronaldo. 194 Zentimeter Mann, 194 Zentimeter Ehrlichkeit und endlich mal ein Mensch, der Fußball spielt und kein Außerirdischer. Das war auch Alf-Inge, als er 1993 auf die Insel ging, und als Defensivspezialist bei Nottingham, Leeds und Manchester City seine Gegenspieler vor unlösbare Aufgaben stellte.

Christian Seifert – Der Gentleman des Coronajahres
Wer an Corona und Bundesliga denkt, kommt 2020 nicht an dem 50-jährigen Geschäftsführer der Deutschen Fußball-Liga (DFL) vorbei. Der gebürtige Badener war es, der mit seiner herausragenden Kommunikationsstärke und seinem Verhandlungsgeschick bei den TV-Partner und Ligasponsoren die Bundesliga am Leben erhielt. Seifert verlieh dem Milliardengeschäft Bundesliga ein sympathisches Gesicht und manövrierte das deutsche Flaggschiff mit Bravour durch die Pandemie. Nach dem großen Coup hat der Funktionär seinen Abschied angekündigt, weil er einer von wenigen Menschen in diesem Business ist, der sich denkt: Ich muß nicht alles gutheißen in diesem Geschäft, aber es war meine Aufgabe und …. es gibt Wichtigeres im Leben.

Die Verlierer des Jahres

FC Schalke 04 – Auf den Spuren von Tasmania Berlin
Es war damals eigentlich dem Axel-Springer-Verlag und Hertha BSC zu verdanken, dass zur Saison 1965/66 Tasmania Berlin ohne ein konkurrenzfähiges Team für die Bundesliga melden durfte und dann nach 31 sieglosen Spielen in Folge mit 8:60 Punkten und 15:108 Toren wieder abstieg. Der Verlag wollte unbedingt einen Berliner Club in der Bundesliga und Hertha hatte 192.000 D-Mark Fehlbetrag in den Kassenbüchern und wurde nicht für die neue Spielzeit zugelassen. Heute ist es nicht der Springer-Verlag und auch nicht die alte Dame aus dem Westend, die den FC Schalke 04 an den negativen Lauf von Tasmania erinnern. Bisher sind es 29 Spiele ohne Sieg in Serie bei 10 Unentschieden und einer verheerenden Torbilanz von 15:73. Das Fiasko ist hausgemacht. Schalke plagen mehr als 200 Millionen Euro Schulden, Präsident Clemens Tönnies musste aufgrund zahlreicher Skandale, auch in seinem Wurstimperium, abtreten und ein völlig überforderter Manager Jochen Schneider stolpert von einem Fettnäpfchen ins Nächste. Am Ende der aktuellen Saison wird es wohl zum Abstieg kommen und zum finanziellen Kollaps auf Schalke. Für die Millionen Schalke-Fans in der Welt und die mehr als 155.000 Mitglieder mehr als eine Enttäuschung.

Katars "Nationalteam" spielt in Europa mit
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Joachim Löw und Jürgen Klinsmann – Wenn Statuen bröckeln
Beide Namen stehen für das Sommermärchen 2006 in Deutschland, beide Namen stehen für ein enttäuschendes 2020. Joachim Löw, bei der WM vor 14 Jahren als Co-Trainer tätig, hatte wegen der Pandemie im vergangenen Jahr nur wenig Zeit, seinen Kader zu sammeln und anständig auf die Länderspiele vorzubereiten. Je länger das Jahr dauerte, desto mehr fuhr der Südbadener den DFB-Karren an die Wand. Mit dem 0:6-Debakel gegen Spanien hoffte Fußball-Deutschland auf einen Rücktritt des 60-jährigen, doch hielten sowohl der Verband fadenscheinig und er selbst an diesem Amt fest. Den Kredit hat “Jogi” schon längst verspielt, weil er auch bei den Medien selbstherrlich auftritt und sein Chef Oliver Bierhoff die deutsche Nationalmannschaft schon längst als ein Marketinginstrument ansieht als des Deutschen liebstes Kind.

Des Deutschen liebstes Kind war auch mal Jürgen Klinsmann, als Cheftrainer hauptverantwortlich für den dritten Platz der DFB-Elf beim Sommermärchen 2006. Nach seiner Baywatch-Tätigkeit unter der Sonne Kaliforniens und als US-Nationaltrainer kam der schwäbische Sunnyboy zu Hertha BSC Berlin und verließ dort nach 76 Tagen via Facebook und Twitter so die Hintertüre, dass er wohl in Deutschland keinen Job in diesem Business mehr bekommt. Jürgen Klinsmann bestätigte in dieser kurzen Zeit genau das, was man schon seit Jahren von ihm weiß und trotzdem niemals aussprach: Arroganz, Selbstherrlichkeit und Größenwahn.

Lars Windhorst – Fast 400 Millionen Euro für Little Big City Club
Klinsmann wurde von einem gewissen Lars Windhorst nach Berlin gelotst und sollte dort zuerst als Aufsichtsratsmitglied das “Gesicht” der Tennor Holding sein, die bereit war, mehr als 400 Millionen Euro in den Verein zu stecken und der alten Dame aus dem Berliner Westend neues Leben einzuhauchen. Statt Klinsmann sitzt jetzt Jens Lehmann, ebenfalls berüchtigt für seine Extravaganz und Überheblichkeit, im Aufsichtsrat, doch geändert hat sich am Verein und Produkt Hertha BSC Berlin leider nichts. Der Club steht kurz vor den Abstiegsplätzen, hat einen aufgeblähten, teuren Kader mit egoistischen Talenten aus aller Herren Länder. Das einzige, was sich bisher geändert hat, ist das Konto der Berliner dank der vielen Millionen Euro eines Mannes, der jetzt schon weiß, dass der Einstieg als Investor in einem Fußballclub mit Visionen nur gelingen kann, wenn man erstens Ahnung von diesem Wirtschaftszweig hat und zweitens bereit ist, alte Strukturen aufzubrechen und einen Verein umzukrempeln. Die Chance hat Lars Windhorst schon längst vertan. Und das weiß er vermutlich auch.

Die TE-Top Ten des Jahres (Ereignisse, Teams, Personen)

• Hans-Dieter Flick – Trainer FC Bayern München
• Robert Lewandowski – Spieler FC Bayern München
• Christian Seifert – Geschäftsführer Deutsche Fußball-Liga
• FC Bayern München
• 1. FC Union Berlin
• Erling Haaland – Spieler Borussia Dortmund
• Urs Fischer – Trainer 1. FC Union Berlin
• VfB Stuttgart
• Julian Nagelsmann – Trainer RB Leipzig
• Alle sechs Teams überwintern im Europapokal

Man könnte diese Liste weiterführen. Man könnte schon auf das nächste Jahr verweisen, denn eines ist sicher: Der Fußball wird sich von diesem Jahr nicht mehr so schnell erholen wie nach dem Bundesligaskandal 1971. Bis die Stadien wieder gefüllt sind, bis die Fans wieder live dabei sein werden und bis sich die letzten Vereine wieder von diesem wirtschaftlich miserablen Jahr erholt haben, wird der FC Bayern München wieder Titel feiern und Lars Windhorst weitere Millionen in den Big City Club Hertha BSC investieren.

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