Fast niemand war darüber verwundert, dass Friedrich Merz zum dritten Mal seinen Hut in den Ring werfen würde, um schließlich doch noch CDU-Vorsitzender zu werden. Dass mit Helge Braun ein Sachwalter der Merkel-Interessen und treuer Interpret ihrer Regierungsleistungen darauf mit seiner Kandidatur reagierte, war ebenso wenig erstaunlich, musste doch Merkel das Risiko ausschließen, dass ihr einstiger Rivale aus der Position des CDU-Vorsitzenden ihre Politik kritisieren würde. Dass einige versuchen, die Kandidatur von Merz mit dem Argument „alter, weißer Mann und noch dazu konservativ“ abzutun, veranschaulicht den Zustand geistiger Freiheit in der Bundesrepublik Deutschland.
Erstaunlich ist indes, wie Merz beim dritten Anlauf – obschon materiell völlig unabhängig und damit ein freier Mann – versucht, seine Kandidatur zu begründen und seinen Standort zu definieren. Dass er sich eine junge Frau als Aushängeschild zur Seite genommen hat, liegt wohl im personalpolitischen Trend der Zeit. Ebenso ist verständlich, dass er einen ehemaligen Sozialsenator rekrutiert hat, um das Image des Wirtschaftsfachmanns, der bei dem Vermögensverwalter BlackRock Millionen verdient hat, weich zu zeichnen.
Indes geht die Anbiederung von Merz an den Zeitgeist weit über diese Äußerlichkeiten hinaus. Anstatt mit dem Schlachtruf anzutreten und zu verhindern, dass der zukünftige Kanzler Olaf Scholz – vom Temperament her ein Merkel-Zwilling – zum Testamentsvollstrecker Merkel’scher Politik wird, um Deutschland in Europa noch mehr Schulden und Haftung aufzubürden und das Land in der Weltpolitik weiter zu verzwergen, scheint Merz vom vermeintlichen Testamentsvollstrecker seiner ewigen Rivalin einiges abgeguckt zu haben.
Diese Defizitpopulation wollte Scholz, der seine Hamburger Arroganz bestens zu verstecken weiß, mit einem gefühlsseligen Spruch erreichen. Die Rechnung ist am 26. September aufgegangen, und die von ihm angesprochene Bevölkerungsschicht scheint ihm Wirecard-Skandal und CumEx-Privilegien genauso wie die Haftung Deutschlands für den großzügigen 800-Milliarden-Euro-EU-Kredit vergeben zu haben. Sie fühlen sich trotz der Tiefkühlfach-Empathie von Scholz durch seinen Slogan „Mehr Respekt für Dich“ angesprochen.
Statt diese Sozialdemagogie als solche bloßzustellen, hat nun Merz in seiner ersten Kandidatenrede klargestellt, wie er das Profil der CDU stärken wolle. Er führte – allen Ernstes – aus, die CDU habe in den letzten Jahren das Thema Gerechtigkeit vernachlässigt und müsse den „Menschen im Lande“ deutlich machen, dass sie eine Partei mit Sensus für soziale Gerechtigkeit sei. Will er Scholz links überholen? Wir werden sehen, mit welchem „Programm“ der ehemalige Aufsichtsratsweltmeister versuchen wird, die Gunst der CDU-Mitglieder zu gewinnen. Jedenfalls steht eins fest: Merz III ist weder ein Liberaler noch ein Konservativer.
Markus K. Kerber ist Professor für öffentliche Finanzwirtschaft und Wirtschaftspolitik an der TU Berlin und Gründer von www.europolis-online.org