Tichys Einblick
Dritter Anlauf zum CDU-Vorsitz

Respekt für Friedrich Merz? Weder ein Liberaler noch ein Konservativer

Friedrich Merz stellt bei seiner Kandidatenrede zum Parteivorsitz klar, wie er das Profil der CDU stärken will. Die CDU müsse den „Menschen im Lande“ deutlich machen, dass sie eine Partei mit Sensus für soziale Gerechtigkeit sei. Will er Olaf Scholz links überholen?

IMAGO / Chris Emil Janßen

Fast niemand war darüber verwundert, dass Friedrich Merz zum dritten Mal seinen Hut in den Ring werfen würde, um schließlich doch noch CDU-Vorsitzender zu werden. Dass mit Helge Braun ein Sachwalter der Merkel-Interessen und treuer Interpret ihrer Regierungsleistungen darauf mit seiner Kandidatur reagierte, war ebenso wenig erstaunlich, musste doch Merkel das Risiko ausschließen, dass ihr einstiger Rivale aus der Position des CDU-Vorsitzenden ihre Politik kritisieren würde. Dass einige versuchen, die Kandidatur von Merz mit dem Argument „alter, weißer Mann und noch dazu konservativ“ abzutun, veranschaulicht den Zustand geistiger Freiheit in der Bundesrepublik Deutschland.

Großer Junge auf dem Turm
Friedrich Merz: Der Junge, der nicht ins Wasser springt
Herr Merz, nachdem er viele Millionen verdient hat und ein materiell unabhängiger Mann ist, will es noch einmal wissen. Er kann – wie viele mit ihm in der CDU – es nicht ertragen, dass der Markenkern der Partei vollständig im bittersüßen Zucker der Merkel-Jahre mit Mindestlohn und Lebensleistungsrente sowie unzähligen Euro-Rettungsmaßnahmen zulasten des deutschen Bundeshaushaltes aufgelöst wird.

Erstaunlich ist indes, wie Merz beim dritten Anlauf – obschon materiell völlig unabhängig und damit ein freier Mann – versucht, seine Kandidatur zu begründen und seinen Standort zu definieren. Dass er sich eine junge Frau als Aushängeschild zur Seite genommen hat, liegt wohl im personalpolitischen Trend der Zeit. Ebenso ist verständlich, dass er einen ehemaligen Sozialsenator rekrutiert hat, um das Image des Wirtschaftsfachmanns, der bei dem Vermögensverwalter BlackRock Millionen verdient hat, weich zu zeichnen.

Indes geht die Anbiederung von Merz an den Zeitgeist weit über diese Äußerlichkeiten hinaus. Anstatt mit dem Schlachtruf anzutreten und zu verhindern, dass der zukünftige Kanzler Olaf Scholz – vom Temperament her ein Merkel-Zwilling – zum Testamentsvollstrecker Merkel’scher Politik wird, um Deutschland in Europa noch mehr Schulden und Haftung aufzubürden und das Land in der Weltpolitik weiter zu verzwergen, scheint Merz vom vermeintlichen Testamentsvollstrecker seiner ewigen Rivalin einiges abgeguckt zu haben.

METZGERS ORDNUNGSRUF 23-2021
Der Fall Wirecard - Olaf Scholz: Angeblich ahnungslos, deshalb verantwortungslos?
Scholz – in vielerlei Beziehung noch wendiger und unangreifbarer als seine ehemalige Chefin – hatte auf seinen Wahlplakaten gefordert: „Mehr Respekt für Dich.“ Adressat dieser Mahnung waren indirekt die Reichen, Erfolgreichen, um nicht zu sagen Tüchtigen, und natürlich auch jene Großunternehmen, die angeblich nicht genug Steuer zahlen. Aber eigentlicher Werbe-Adressat war eben jene Gruppe von Mitbürgern, die aufgrund ihrer Lebensleistung und gegebenenfalls aufgrund der Kümmerlichkeit ihrer Existenz ein Problem mit ihrem Selbstwertgefühl haben.

Diese Defizitpopulation wollte Scholz, der seine Hamburger Arroganz bestens zu verstecken weiß, mit einem gefühlsseligen Spruch erreichen. Die Rechnung ist am 26. September aufgegangen, und die von ihm angesprochene Bevölkerungsschicht scheint ihm Wirecard-Skandal und CumEx-Privilegien genauso wie die Haftung Deutschlands für den großzügigen 800-Milliarden-Euro-EU-Kredit vergeben zu haben. Sie fühlen sich trotz der Tiefkühlfach-Empathie von Scholz durch seinen Slogan „Mehr Respekt für Dich“ angesprochen.

Er wird es nicht
Friedrich Merz hat sich schon selbst verschlissen
Der Slogan war von den SPD-Werbetextern wohlgesetzt, denn er ging einher mit der Neosozialismuswelle in den links-grünen GEZ-Medien. Wer die Themen verfolgt, die von öffentlich-rechtlichen Rundfunkjournalisten ausgewählt werden, um die Bevölkerung zu berieseln, der muss den Eindruck haben, dass es in dieser Welt insgesamt ungerecht zugehe und dass auch in Deutschland Menschen permanent respektlos behandelt und materiell ausgebeutet werden.

Statt diese Sozialdemagogie als solche bloßzustellen, hat nun Merz in seiner ersten Kandidatenrede klargestellt, wie er das Profil der CDU stärken wolle. Er führte – allen Ernstes – aus, die CDU habe in den letzten Jahren das Thema Gerechtigkeit vernachlässigt und müsse den „Menschen im Lande“ deutlich machen, dass sie eine Partei mit Sensus für soziale Gerechtigkeit sei. Will er Scholz links überholen? Wir werden sehen, mit welchem „Programm“ der ehemalige Aufsichtsratsweltmeister versuchen wird, die Gunst der CDU-Mitglieder zu gewinnen. Jedenfalls steht eins fest: Merz III ist weder ein Liberaler noch ein Konservativer.


Markus K. Kerber ist Professor für öffentliche Finanzwirtschaft und Wirtschaftspolitik an der TU Berlin und Gründer von www.europolis-online.org

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