Bodo Ramelow hat einen Plan für den Umgang mit der AfD: Sie werde „sich selbst entzaubern“, kündigt der Ministerpräsident Thüringens im Heute Journal an. Der Plan ist alt, hat auch schon funktioniert. Etwa bei der SED alias PDS alias Die Linke. Im Fall der AfD hat er aber ein bemerkenswert großes Loch: Wie bitte soll sich die AfD entzaubern? Die Strategie im Umgang mit der fünftgrößen Partei im Bundestag beruht darauf, sie auszuklammern und zu verschweigen.
So wie bei Anne Will. Dort war die grüne Vorsitzende Ricarda Lang 2023 schon drei Mal – die AfD durfte noch keinen einzigen Vertreter in Deutschlands wichtigsten Talk schicken. Auch nicht an diesem Sonntag, als es um sie ging. Statt AfD-Mitglieder sprechen Philipp Amthor und Katharina Dröge über die AfD. Die ewige Nachwuchshoffnung der CDU sowie eine von zwei Fraktionsvorsitzenden der Grünen. Genauso gut und kompetent hätten sie über den Ukraine-Krieg reden können oder über die Corona-Pandemie oder das 1:0 von Jürgen Sparwasser 1974 gegen die BRD. Vielleicht wäre dann die Zuschauerzahl in der Stunde nach dem Tatort nicht um zwei Drittel zurückgegangen.
Friedrich Merz wird in diesen Tagen oft zu dem Erfolg der AfD gefragt. Das hängt auch mit den eigenen Umfragewerten zusammen. Mitte Mai sahen YouGov und Allensbach die Union noch bei über 30 Prozent – Anfang Juni sind sich Emnid und Infratest einig, dass die Union deutlich unter dieser Marke bleibt. CDU und CSU profitieren nicht von einer Bundesregierung mit einer verheerenden Bilanz: Inflation, rückläufiges Bruttoinlandsprodukt, Unternehmen, die vor der Politik ins Ausland fliehen, Chaos in der Energiepolitik, Beweislastumkehr, Überwachung des Bürgers und Kontrollverlust in der Zuwanderung – um nur die Highlights zu nennen.
Das Gendern sei Schuld, sagt Friedrich Merz in der Bild. Die Ampel sei Schuld am Erstarken, sagt er im Heute Journal. Nun, ja: Von einer schwachen Regierung profitiert die Opposition. Soweit richtig, aber auch keine gewagte Aussage. Aber warum profitiert dann die größte Oppositionspartei nicht davon? Oder wie es ZDF-Journalistin Anne Gellinek ausdrückt: „die demokratische Opposition“. Dieser Frage entwindet sich Merz. Die Union sei ja erfolgreich – im Vergleich zum Frühjahr 2022. Außerdem leide sie noch unter den Merkel-Jahren.
Anne Gellinek befragt Merz als Journalistin. Eigentlich müsste sie neutral bleiben. Doch nicht nur mit der Unterscheidung in „demokratische Opposition“ und andere überschreitet die ZDF-Frau dieses Gebot. Schon in dem kurzen Interview mit Merz schiebt sie mehr Kommentare ein, als ein alleinstehender 79-Jähriger an einem Samstagabend auf Facebook. Gellinek gibt Merz die Gelegenheit, dass er sich von der AfD distanziert. Und der Anführer der CDU folgt der ZDF-Frau wie geheißen.
Drei Mal distanziert sich Merz von der AfD: „Wir benutzen kein AfD-Sprech.“ Seine Kritik an der real existierenden Einwanderung sei „nicht das Geschäft der AfD“ und mit ihm werde es „keinerlei Zusammenarbeit“ mit der AfD geben. Die ZDF-Frau ist zufrieden mit dem CDU-Mann. Für diesen Abend. Was der aber nicht versteht: In dem Moment, in dem er sich auf die Spielregeln Woker-Linker einlässt, hat er als Konservativer das Spiel gegen sie schon verloren. Und wie woke-links Medien wie das ZDF sind, haben sie spätestens im Wahlkampf Armin Laschets (CDU) gegen Olaf Scholz (SPD) gezeigt. Zwar gibt sich Merz hartnäckig gegen Gellinek, es müsse der CDU möglich sein, die Regierung zu kritisieren, ohne in die rechte Ecke gestellt zu werden. Doch was entschlossen wirken soll, kommt für viele flehend rüber.
Inhaltlich richte sich die Union nach Merkel anders aus, kündigt Merz im ZDF an. Vor allem in der Frage, mit der das Ende von Merkels Kanzlerschaft anfing: der Einwanderung. Da habe sein Parteifreund Michael Kretschmer nun einen Vorschlag gemacht, den unterstütze er entschlossen: Es solle eine Kommission geben. Sein Mund kündigt da einen Arbeitskreis an, aber seine Augen wollen einen glaubenmachen, er habe gerade dem Reich des Bösen den Krieg erklärt. Friedrich Merz ist keine Alternative zur aktuellen Politikergeneration. Friedrich Merz ist eine 3D-Karikatur auf die aktuelle Politikergeneration.
Denn noch stärker als die FDP leidet die CDU in Rheinland-Pfalz unter der Ampel. Sie fiel 2021 im Land von Helmut Kohl auf ihr historisch schwächstes Ergebnis zurück. Obwohl die Ampel alles andere als überzeugend performte. Auch in Rheinland-Pfalz übte sich die CDU im Spagat, die Regierung zwar schon kritisieren zu dürfen, weil man es ja schließlich auch muss, aber immer drauf zu achten, dass man „keinen AfD-Sprech“ übernimmt, „nicht das Geschäft der AfD“ betreibt und jede Zusammenarbeit sowieso ausschließt. Die CDU legt sich unter Friedrich Merzselbst in die Fesseln der Ampel und einer woke-grünen Medienlandschaft – und wundert sich, dass sie nicht vom Fleck kommt.
Im Bundestag und in den Landtagen verweigert eine übergroße Koalition aus Linke, SPD, Grüne, FDP und CDU der AfD die Posten der Vizepräsidenten – obwohl ihnen diese den jeweiligen Satzungen nach zustünden. Die Medien boykottieren die Partei. Vor diesem Hintergrund ist der Plan Ramelows, die AfD sich selbst entzaubern zu lassen, ein typisch linker Plan: Klingt gut, zeugt von ganz viel Haltung, hat aber einen winzigen Makel – er geht komplett an der Realität vorbei.
Die Brandmauer nach Links ist längst geschliffen. In Thüringen regiert die Linke, weil Abgeordnete der CDU im richtigen Moment aufs Klo gegangen sind. Selten war „Sich verpissen“ so buchstäblich richtig. Mit dem im Osten besonders starken Zuwachs der AfD muss sich die CDU bekennen: Verfestigt die Partei Konrad Adenauers ihre ohnehin schon bestehende Zusammenarbeit mit der ehemaligen SED, um die Brandmauer nach Rechts zu halten? Ihre Abgeordneten werden sich schwerlich in den nächsten Jahren auf dem Klo einsperren können – wobei: Zum Führungsstil von Friedrich Merz passen würde es.