Tichys Einblick
80.000 Geburten weniger als erwartet

Psychologisch beeinflusst: Frauen ohne Kinderwunsch

Frauen in Deutschland bekommen weniger Kinder. Während Politik und Wissenschaft den Grund vor allem in der Corona-Pandemie und dem Ukraine-Krieg sehen, steckt eigentlich mehr hinter dem fehlenden Kinderwunsch vieler junger Frauen.

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IMAGO

Immer weniger junge Frauen verspüren den Wunsch, Kinder zur Welt zu bringen. So wirkt es jedenfalls, wenn Frauen zwischen 20 und 27 Jahren bei einem Glas Wein und leckerem Essen über ihre jeweilige Zukunftsplanung sprechen. „Wollt ihr eigentlich Kinder?“, lautet des Öfteren die einleitende Frage für solche Gespräche. Die Antwort lautet immer häufiger: „Nein.“ Die heranwachsenden Frauen begründen das unterschiedlich: Manche sorgen sich um die gesellschaftliche und politische Lage in Deutschland und wollen in diese Welt keine Kinder setzen – häufig aus Angst vor einem „wiederkehrenden Faschismus“. Andere sagen, dass sie ihre Unabhängigkeit nicht aufgeben möchten, sondern eine Karriere anstreben. Da würde ein Kind nur stören. Denn ein Kind gehe mit viel Verantwortung und hohen Kosten einher.

Was zunächst eine subjektive Beobachtung ist, schlägt sich in den Geburtenzahlen in Deutschland nieder: Insgesamt lag die Geburtenziffer im Jahr 2023 nur noch bei 1,35 Kindern je Frau, nachdem sie im Jahr 2021 noch bei 1,58 Kindern pro Frau lag. Das ist der tiefste Wert seit 15 Jahren, wie das ifo-Institut berichtet.

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Das ifo-Institut beschreibt den Trend der Geburtenraten von 2011 bis 2020 als annähernd quadratisch: 2011 wurden in Deutschland 650.000 Kinder geboren; in den folgenden Jahren kamen immer mehr Kinder zur Welt, bis die Kurve zwischen 2016 und 2020 abflacht und sich an 795.500 Kinder pro Jahr annähert. In den Jahren danach fallen die Geburtenzahlen jedoch aus der Reihe: Im Corona-Jahr 2021 wurden etwa 29.000 mehr Kinder geboren als der Trend erwarten ließ. Womöglich liegt das daran, dass einige Paare ihre Familienplanung vorzogen, weil sie während der Lockdowns mehr Zeit hatten. Für was auch immer. In den letzten zwei Jahren blieb die Geburtenrate hingegen deutlich hinter dem Trend zurück. In Summe sind in dieser Zeit in Deutschland 80.000 Kinder weniger zur Welt gekommen, als zu erwarten gewesen wäre.

Das ifo-Institut forscht zu diesem Rückgang der Geburtenzahlen und führt diesen auf die langanhaltende Corona-Pandemie und auf den Ukraine-Krieg zurück. In Folge dieser Ereignisse sei die ökonomische und politische Unsicherheit in Deutschland angestiegen. In der Zeitschrift „ifo Dresden berichtet“ äußert sich Professor Joachim Ragnitz, der stellvertretende Geschäftsführer der Dresdener Niederlassung des Instituts, zu den Gründen der sinkenden Geburtenziffern: Er vermutet, dass manche Paare ihren Kinderwunsch zunächst aufgeschoben haben, weil die Realeinkommen in Deutschland wegen der hohen Energiepreise und des allgemeinen Anstiegs der Inflationsrate geschrumpft sind.

Die Corona-Pandemie ist vorbei, aber die Sorgen der jungen Menschen sind weiterhin groß. Das zeigt eine Befragung durch das Meinungsforschungsinstitut Forsa im Auftrag der Schufa. Die Schufa lässt seit 2018 regelmäßig junge Menschen zu ihrer finanziellen Situation, ihrem Finanzverhalten und ihren Zukunftserwartungen befragen. Und die letzte Umfrage zeigt, dass die junge Generation pessimistischer in die Zukunft schaut als in den vorherigen Schufa-Erhebungen der letzten sechs Jahre.

Demnach glaubt nur weniger als die Hälfte der 16- bis 25-Jährigen, dass sie einen gleich hohen oder höheren Lebensstandard erzielen könne als ihre Elterngeneration. Das ist laut Schufa das niedrigste Niveau seit der ersten Erhebung im Jahr 2018. Entsprechend befürchtet mehr als jeder Zweite, weniger für die eigene finanzielle Zukunft oder die der Familie vorsorgen zu können.

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Diese Zahlen und Deutungen erklären zwar, weshalb sich einige junge Frauen vor den Kosten, die mit Kindern verbunden sind, scheuen. Aber sie erklären nicht alles: Wie Gespräche unter jungen Frauen zeigen, spielt vor allem ihr Wunsch nach „Freiheit“ eine Rolle. Sie wollen ihre persönliche Erfüllung finden und Karriere machen – was offenbar nur ohne Kinder möglich erscheint – und bloß nicht darauf angewiesen sein, von einem Mann abhängig zu werden. Diese Argumentation steht zwar jeder Frau zu und mag nachvollziehbar sein. Trotzdem soll gesagt sein, dass Mutter zu sein glücklicherweise nicht bedeutet, dass man lebenslang als abhängige Hausfrau ohne eigene Meinung hinter dem Herd stehen muss. Ganz und gar nicht: Frau kann Beruf und Familie vereinen. Viele Unternehmen bieten dafür flexible Möglichkeiten an.

Aber was hat der Feminismus nicht alles geschafft: Um sich ja nicht von einem Mann abhängig zu machen, verlieren viele Frauen offenbar einen ihrer evolutionär-biologisch angelegten Triebe. Nämlich den Trieb der Fortpflanzung, der bei allen Säugetieren, also auch bei Männern und Frauen, angelegt ist. Eigentlich lenken hormonelle und neurologische Prozesse das Verhalten in Richtung Partnersuche und Fortpflanzung. Aber beim Menschen werden diese Instinkte von komplexen Prozessen begleitet, die darüber bestimmen, ob und wie dieser Trieb ausgelebt wird. Diese Prozesse werden im Rahmen der individuellen Entwicklung eines Menschen durch soziale und kulturelle Erfahrungen beeinflusst. Das läuft meist unbewusst ab, beispielsweise durch Modelllernen: Kinder beobachten das Verhalten ihrer Eltern oder von anderen Vorbildern. Diese sozialen „Modelle“ prägen dann die eigenen Vorstellungen, beispielsweise jene von Familie und Partnerschaft.

Außerdem kommt es zu einer „Konditionierung“, wenn ein bestimmtes Verhalten belohnt oder bestraft wird. Ein Beispiel: Wenn ein Mädchen sagt, dass sie später gerne drei oder vier Kinder möchte, wird sie womöglich schief angeguckt. Wenn sie sagt, dass sie zu Hause bleiben möchte, um für ihre Kinder zu sorgen, statt sie stundenlang in einer Kita unterzubringen, reagiert ihr Gegenüber mitunter geschockt oder belehrt sie, dass sie besser eine selbstständige, berufstüchtige Frau werden sollte. Geschieht diese Belehrung nicht liebevoll und ruhig, sondern streng und demütigend, könnte das in dem kleinen Mädchen wie eine Bestrafung wirken. Sie lernt dann unbewusst, dass solche Aussage negative Konsequenzen haben, wird die Idee von einem traditionellen Familienbild daher ebenfalls als negativ abspeichern und diese Idee sowie entsprechende Aussagen vermeiden. Stattdessen richten Kinder ihr Verhalten danach aus, was positiv verstärkt, also belohnt wird.

Und heutzutage bestärkt und belohnt die Gesellschaft vor allem jenes Verhalten von Mädchen, das auf eine Karriere abzielt: Wenn Mädchen planen, eine Top-Position in einer angesehenen Firma zu erreichen, erhalten sie in vielen Kreisen – zum Beispiel in der Schule – Zuspruch und Anerkennung. Das ist meist eine schöne Erfahrung und wird entsprechend als positiv abgespeichert. Um noch mehr Anerkennung zu erhalten, könnten Mädchen ihr Verhalten folglich danach ausrichten, als Frau die Karriereleiter zu erklimmen.

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Die aktuelle Entwicklung der Geburtenzahlen in Deutschland zeigt, wie mächtig die Einflüsse dieser „Umwelt“ sein können. Wer genauer hinschaut, erkennt weitere psychologische Mechanismen, die heutzutage auf das Unterbewusstsein von Frauen wirken und womöglich dazu beitragen, dass Frauen ihren natürlichen Reproduktionstrieb nicht mehr ausleben möchten.

Das Modelllernen und die Konditionierung wird durch Medien, Bücher und Filme verstärkt: So haben die Autoren Stephan Kalinski und Iain Botterill die Geschichte von Schneewittchen neu aufbereitet. In dem ursprünglichen Märchen der Gebrüder Grimm war Schneewittchen noch so weiß wie Schnee. Deswegen heißt sie ja Schneewittchen. Sie hatte blutrote Lippen und schwarze Haare wie Ebenholz – und wird von einem tapferen Prinzen gerettet.

Auf dem Cover der neuen Fassung „Schneewittchen und die sieben Zwerge“ stellt der Verlag „Fairy Tales Retold“ sie mit dunkler Haut und braunen Haaren dar. Also nichts mehr mit Schneeweißchen. „Diesmal ist Schneewittchen die Mutigste weit und breit; ihre sieben Freunde kommen aus allen sieben Ecken dieser Welt und sie nimmt ihr Glück selbst in die Hand“, heißt es in der Beschreibung des Buches. „Fairy Tales Retold“ schreibt viele „traditionell patriarchalischen Geschichten mit altmodischen Geschlechterverteilungen“ in „moderne, beflügelnde Erzählungen“ um. Auch „Aschenputtel“ wird „zauberhaft neu erzählt“: In dieser neuen Version steckt kein Traumprinz den berühmten gläsernen Schuh an Aschenputtels Fuß. Nein, das macht eine Prinzessin.

Das sind also die Märchen, die viele junge Mädchen heutzutage prägen und der Biologie einen Strich durch die Rechnung machen: Zwei Frauen können keine Kinder zeugen. Zwei Männer auch nicht. Egal wie tief der woke Wandel bereits ins Unbewusste der menschlichen Psyche vorgedrungen ist.

Aber die woke Agenda gibt trotzdem alles dafür, dass homosexuelle Paare entgegen den biologischen Gesetzen Kinder bekommen können: In Köln hat am 19. Oktober beispielsweise die Kinderwunschmesse „Wish for a baby“ stattgefunden. Auf der zugehörigen Website wurde das umfangreiche Angebot vorgestellt. Da heißt es beispielsweise: „Sprich mit Ärzten und Experten über neueste Methoden in der assistierten Reproduktion (IUI, IVF, ICSI), Leihmutterschaft im Ausland, die anonyme/nicht anonyme Eizellspende, Adoption, Samenspende und die rechtlichen Rahmenbedingungen für diese.“ Brisant: Zwei Angebote – Leihmutterschaft und Eizellspende – sind in Deutschland gesetzlich verboten.

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Wie lange diese Verfahren noch verboten bleiben, ist unklar: Immerhin hat die „Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin“ im April einen Bericht an die Bundesregierung überreicht. Darin empfiehlt die Kommission, dass die Eizellspende „unter engen Voraussetzungen“ ermöglicht werden könne. Die „altruistische Leihmutterschaft“ solle hingegen verboten bleiben oder „lediglich unter sehr engen Voraussetzungen zum Beispiel nahes verwandtschaftliches oder freundschaftliches Verhältnis zwischen Wunscheltern und Leihmutter, ermöglicht werden“. Sprich: Die Ampel könnte sogar die altruistische Leihmutterschaft ermöglichen.

Der Verein „Frauenheldinnen e. V.“ und die Interessenvertretung von und für schwule Männer „Just Gay“ kritisieren diese mögliche Legalisierung einer „altruistischen Leihmutterschaft“ scharf: „Altruismus“ sei der Türöffner in die kommerzielle Leihmutterschaft, dies sei in anderen Ländern bereits zu beobachten. Das Motiv der Leihmütter, Kinder für fremde Menschen auszutragen, sei immer finanzielle Not. Florian Greller ist der Initiator und Leiter von „Just Gay“ und für ihn sei es ganz einfach: „Männer können keine Kinder bekommen. Und es gibt kein Recht auf ein Kind. Deshalb lehne ich als schwuler Mann die Ausbeutung von Frauen und den Handel mit Kindern ab.“

Irgendwie ist alles ein Durcheinander: Viele Frauen wollen keine Kinder mehr gebären, weil sie sich gegen das Patriarchat und das stereotype Bild der Frau hinterm Herd wehren wollen. Stattdessen genießen sie – zu recht – dass Frauen in Deutschland heutzutage die gleichen Möglichkeiten und Rechte haben wie Männer. Aber gleichzeitig wollen sich homosexuelle Paare künstliche Reproduktionsverfahren zunutze machen, um ihren Kinderwunsch zu stillen. Die Leidtragenden dieser Verfahren sind wiederum Frauen und Kinder: Mit ihnen wird gehandelt und sie werden ausgebeutet. Was denn nun: Frauenrechte oder nicht?

Und in diesem Chaos gibt es auch noch die, die sich als „Antinatalisten“ bezeichnen und argumentieren, dass das Leben niemandem zuzumuten sei. So schreibt beispielsweise die Publizistin Verena Brunschweiger in ihrem Buch „Kinderfreie aller Länder, vereinigt Euch! (Studien zum Feminismus)“, dass Menschen, die Kinder in die Welt setzen, „für einen Großteil unserer Probleme wesentlich mit verantwortlich“ seien. Diese „perpetuieren mit ihrem narzisstischen Drang, anderen diese Welt aufzuzwingen, die kapitalistische, staatlich strukturierte Industriegesellschaft und das heutige Deutschland“, schreibt sie. Aha. Diese Meinung unterschreiben auch einige Klimaaktivisten und -extremisten: Sie finden es wegen des Klimawandels unverantwortlich, Kinder zu kriegen, wie die Welt berichtet.

Aber die Verwirrungen dieses Durcheinanders scheinen zu wirken: Die Frauen gebären weniger Kinder. Und bisher ist nicht zu erkennen, dass die Geburtenzahlen wieder ansteigen werden.

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