In einem Antrag der grünen Bundestags-Fraktion soll eine neue deutsche Außenpolitik begründet werden: eine, die weiblich und damit besser ist. Und eine, die keine eigenen Grenzen mehr kennt, sondern nur noch ein weltumfassendes Ganzes.
„Die Vision deutscher Außenpolitik sollte eine Welt sein, in der alle Menschen unabhängig von Geschlecht, sexueller Orientierung und Hautfarbe gleichberechtigt und friedlich leben können und die gleichen Chancen zur Selbstverwirklichung erhalten“, heißt es in dem von Katrin Göring-Eckardt und Anton Hofreiter am 19. Februar 2019 eingebrachten Antrag. „Aber noch immer ist die Gleichberechtigung für Menschen verschiedener sexueller Orientierung und Herkunft ein weltweit unerreichtes Ziel. Frauen und Mädchen sowie andere marginalisierte Gruppen werden in allen Regionen der Erde strukturell diskriminiert; ihnen werden gleiche Rechte verwehrt und es wird erschwert oder verhindert, dass sie politisch, gesellschaftlich und wirtschaftlich gleichberechtigt teilhaben können.“ […]
Die Grünen-Fraktion sieht die Rechte von Frauen bedroht, sagt aber in ihrem Antrag nicht genau, von wem, obwohl sie andererseits eine „klare und deutliche Antwort“ fordert:
„Eine internationale feministische Politik ist umso wichtiger in einer Zeit, in der die Rechte von Frauen und marginalisierten Gruppen durch Populistinnen und Populisten, Autokratinnen und Autokraten und Rechtsstaatverächterinnen und -verächtern in Europa und überall auf der Welt unter Beschuss geraten und sich die Lage der Frauen zu verschlechtern droht. Wenn völkisch, nationalistische und frauenfeindliche Staatschefs und -chefinnen mit ihrer Sprache und ihrer Politik spalten wollen und die Menschenrechte angreifen, dann braucht es eine klare und deutliche Antwort aller Staaten und Gesellschaften, um die gleichen Rechte aller Menschen zu verteidigen.“
Die Formulierung, die Rechte von Frauen und „marginalisierten Gruppen“ würden „überall auf der Erde bedroht“, wirft die Frage auf: tatsächlich in Mitteleuropa genau oder wenigstens annähernd so wie in Afghanistan oder Saudi-Arabien? Das legt der Antragstext nah: Er sieht die „Autokraten und Autokratinnen, die Rechtsstaatsverächter und Rechtsstaatsverächterinnen“ in „Europa und überall in der Welt“ am Werk, und nennt dabei Europa sogar ausdrücklich zuerst. Welche europäischen Rechtsstaatsverächter beiderlei Geschlechts nach Ansicht der Grünen gerade Frauenrechte schleifen, bleibt offen.
Abgesehen von dem logischen Bruch: Gegen die Staaten der Autokraten und Autokratinnen braucht es also die „Antwort aller Staaten“ – also auch der Autokraten/Autokratinnenstaaten? – abgesehen davon gibt es einigermaßen deutliche Statistiken und Rankings, aus denen hervorgeht, wo die Rechte von Frauen am stärksten verletzt werden. Das britische Beratungsunternehmen Thomson Reuters veröffentlichte 2018 eine Liste der gefährlichsten Länder für Frauen. Auf dem ersten Platz rangiert Indien, danach folgen Afghanistan, Syrien, Somalia und Saudi-Arabien. Der ersten Platz entfällt also auf ein Land, in dem Muslime die zweitgrößte Bevölkerungsgruppe stellen (wobei Hindus bei Gewalt gegen Frauen nicht wirklich nachstehen), die nächsten vier auf muslimische Länder. Im Ranking der Länder mit den meisten Morden an Frauen pro 100.000 Einwohner – die naturgemäß nur einen Teil der Gewalt gegen Frauen abbildet – liegen laut Daten der UN-Unterorganisation UNDOC Bangladesch und Afghanistan an erster Stelle.
Das Time-Magazin ernannte vor einiger Zeit Afghanistan zum weltweit gefährlichsten Staat für Frauen. Ein Zusammenhang zwischen Islam und Gewalt gegen Frauen lässt sich anhand der Daten kaum leugnen. Trotzdem kommt das Wort „Islam“ im Antrag der Grünen nirgends vor. Es passt offenbar nicht ins politische Stimmungskonzept, anders als die Anprangerung von Rechtsstaatsverächtern und -verächterinnen in Europa.
Es fehlt auch jeder Hinweis auf eine tatsächlich extrem bedrohte und vielerorts schon stark reduzierte marginalisierte Minderheit: die Christen im Mittleren Osten und in Nigeria. Vor allem der Verdrängungskrieg der islamistischen Miliz Boko Haram im Norden Nigerias richtet sich gegen Christen, und besonders gegen Mädchen und Frauen, die dort Opfer von Massenentführungen werden. Der Grünen-Antrag kennt allerdings nur die Diskriminierungskategorien Geschlecht, sexuelle Orientierung und Hautfarbe. Von Religion ist auffälligerweise nicht die Rede.
Praktisch zeitgleich zu dem Grünen-Antrag übermittelte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier der Führung des Iran zum 40. Jahrestag der Khomeini-Machtergreifung von 1979 „herzliche Glückwünsche […] auch im Namen meiner Landsleute“. Mit der Rückkehr Khomeinis in den Iran begann bekanntlich die Errichtung eines theokratischen Regimes, in dem bis heute Frauen gesteinigt und Homosexuelle an Baukränen erhängt werden, und das sowohl Assad in Syrien an der Macht hielt und die Hisbollah im Libanon finanziert. Die Grünen protestierten allerdings nicht gegen Steinmeiers Lobhudelei, obwohl sie es nach ihrem eigenen Antrag zwingend hätten tun müssen. Sie schwiegen dazu, anders als FDP, Reporter ohne Grenzen, das Solomon-Wiesenthal-Center oder die deutsche Frauenrechtlerin Seyran Ateş.
Das Verhältnis der Grünen zu Politikern des Iran ist im Gegenteil sehr gut, besser etwa als zu Regierungsvertretern von Polen oder Ungarn. Auf der Sicherheitskonferenz in München 2013 gab eine sichtlich aufgekratzte Claudia Roth dem iranischen Botschafter Ali Reza Sheikh Attar ein freundschaftliches High Five. Attar war vor seiner diplomatischen Mission Gouverneur der Provinzen Kurdistan und West-Aserbaidschan, und verantwortete dort zahlreiche Todesurteile. Zumindest wäre es angesichts der guten Beziehungen naheliegend, die grüne Vision einer Welt gleichberechtigter Menschen zunächst einmal in Teheran vorzutragen.
Doch darum, den Verantwortlichen in den Top-Ländern der Frauenfeindlichkeit konkret etwas abzufordern, oder wie heute gesagt wird: das Problem zu adressieren – geht es in dem Antrag offenkundig nicht. Zentrales Thema ist stattdessen das aus grüner Sicht einzig taugliche Mittel, um die Lage der Frauen zu verbessern, zumindest die der ohnehin schon privilegierten Geschlechtsgenossinnen: Deutschlands diplomatischer Dienst soll nach Willen der Grünen-Fraktion durch eine 50-Prozent-Frauenquote umgestaltet werden. Mit mehr Claudia Roths und weiblichen Entsprechungen zu Frank-Walter Steinmeier würde sich die Lage von Frauen, Homosexuellen und Christen in muslimisch dominierten Ländern bestimmt zum Guten und Besten wenden.
Ganz zum Schluss folgt in dem Antrag noch eine bemerkenswerte Forderung: Die Bundesregierung wird aufgefordert bei friedenserhaltenden Auslandseinsätzen „sich dafür einzusetzen und die notwendigen Schritte einzuleiten, dass mehr weibliche Polizeikräfte in internationale Friedensmissionen entsendet werden und beispielsweise auch ‚women-only-bataillions’ zu unterstützen, die in der bisherigen Erfahrung von Peacekeeping-Missionen unter anderem besser Kontakt und Vertrauen mit der weiblichen Bevölkerung vor Ort aufbauen konnten, besonders wenn es um erlebte sexualisierte Gewalt geht.“
Tatsächlich stützt sich die im Antrag genannte Erfahrung nicht auf „Missionen“, sondern einen einzigen Fall: die UN-Friedenssicherungsmission in Liberia von 2003 bis 2018, eine generell unblutige Unternehmung, da der Frieden der Bürgerkriegsparteien schon vorher vereinbart wurde. In den Zeiten der höchsten Truppenkonzentration standen 15.000 Soldaten und 1.115 Polizeikräfte verschiedener Länder in dem kleinen westafrikanischen Land – darunter eine einzige Fraueneinheit, eine indische Truppe von 125 Polizistinnen, die ausschließlich in der Hauptstadt Monrovia stationiert war. Die Truppe war bei weitem zu klein, um daraus den Schluss zu ziehen, reine Frauentruppen wären in militärischen UN-Auslandsmissionen erfolgreicher als gemischte oder reine Männerformationen. Und wer soll die Fraueneinheiten beschicken? Die Bundeswehr? Die kann nach der Auskunft ihrer Führung im jetzigen Zustand keinen weiteren Auslandseinsatz verkraften. Aber das können schließlich andere Staaten erledigen. Wichtig ist die Karriereförderung von Frauen im Auswärtigen Amt per Quote – und eine grüne Politik, die Autokraten und Autokratinnen nur soweit und so selektiv attackiert, dass die umworbenen muslimischen Wähler daheim nicht unruhig werden.
Dokumentation: Der Grünen-Antrag in voller Länge
Der Beitrag von Alexander Wendt ist zuerst bei PUBLICO erschienen.