Tichys Einblick
Berliner Wahlwiederholung

Franziska Giffey: Eine Verliererin will gewinnen

Giffey wurde Bürgermeisterin nach einer Chaoswahl, die nie so hätte stattfinden dürfen. Jetzt, auf den letzten Metern vor der Wahlwiederholung, will die SPD sie als aufopferungsvolle Landesmutter zelebrieren. Die Silvesterkrawalle ordnet sie als Jugendgewalt ein und verspricht ein Programm dagegen – nach der Wahl.

IMAGO / IPON

Früher schoben Parteien erfolglose Politiker mit Vorliebe nach Brüssel ab. Dass die SPD sich in den letzten Jahren dazu genötigt sah, Personen wie den dreifach gescheiterten Ministerpräsidentenkandidaten Heiko Maas zuerst zum Justiz- und später zum Außenminister zu machen, verdeutlichte bereits vor Jahren eine Wende in der SPD, die man im Grunde nur auf Personalmangel zurückführen kann. Zum selben Typus gehört Franziska Giffey. Wer früher auf die Hinterbank in Brüssel spekulierte, wird heute auch mal unverhofft zur Regierenden Bürgermeisterin von Berlin, wenn es die Parteitaktiken einer ausgedünnten Sozialdemokratie zulassen.

Giffey trat im Mai 2021 infolge der Plagiatsaffäre um ihre Doktorarbeit als Bundesfamilienministerin zurück. Zu dem Zeitpunkt gärte die Causa schon seit zwei Jahren. Ähnlich wie bei Anette Schavan (CDU), die nach ihrem Rücktritt wegen einer Plagiatsaffäre von der Kanzlerin nicht im Stich gelassen wurde – nur ein Jahr später wurde sie zur Botschafterin beim Heiligen Stuhl ernannt –, erwies sich die SPD solidarisch mit der eigenen Genossin. Anders als bei Schavan wagte man es sogar, die einstige Berliner Bezirksbürgermeisterin als Kandidatin um das Amt des Berliner Bürgermeisters aufzustellen. Die Verliererin sollte jetzt Gewinnerin sein.

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Dass Giffey bei einer von Pannen, Manipulationen und Täuschungen überschatteten Chaos-Wahl ihr Amt dennoch antrat, ist dabei mehr als nur eine Metapher. Giffey gewann eine Wahl, die nicht rechtmäßig war. Zweifel daran versuchten sie und die SPD zügig auszuräumen. Offenbar versuchten die Berliner Sozialdemokraten, Fakten zu schaffen und die unglückliche Siegerin wenigstens soweit zu etablieren, dass die Berliner sich an sie – wie an so vieles in dieser Stadt – schlicht gewöhnen würden. Dass die Rechnung nicht aufging, weil etwa ein Medium wie TE immer wieder nachbohrte, wollte man bei ihrer Amtseinführung nicht wissen.

Die glücklichste Verliererin der Republik hat die damalige Wahl zwar eingeholt. Beobachtet man jedoch den aktuellen Berliner Wahlkampf, dann setzt die SPD vor allem auf eines: Giffey. Auf einem Plakat sitzt die Bürgermeisterin bei Nacht, liest Akten und erscheint staatsmännisch. Die Botschaft: Schlaflos sorgt sich die beste Bürgermeisterin aller Zeiten um das Wohl der Bundeshauptstadt. Und sie macht auf volksnah: Giffey zusammen mit Handwerkern, Giffey zusammen mit Migranten, Giffey zusammen mit dem kleinen Mann.

Dem SPD-Wahlkampf haftet die Atmosphäre an, dass Giffey sich nach Jahren erfolgreicher Amtszeit zur Wiederwahl stellt – obwohl die Regierung Giffey noch keine 13 Monate hält. Wahltaktisch muss sie einen unangenehmen Spagat vollführen. Einerseits ist sie erst einige Monate in Amt und kann damit nur Versprechungen, keine Erfolge vorweisen; andererseits muss sie für 20 Jahre SPD-Politik im „Failed state“ Berlin haften.

Den desaströsen Status der Bundeshauptstadt hat Giffey dabei sogar direkt zugegeben. In einem denkwürdigen Interview mit Sandra Maischberger kam die Moderatorin ihrer journalistischen Pflicht nach und zwang die Regierende Bürgermeister gleich mehrfach zum Offenbarungseid. In derselben Stadt, in der Polizei und Justiz unterversorgt sind, will sich die SPD für ein 19-Euro-Ticket einsetzen. Als „persönliche Niederlage“ will sie den Silvesteraufstand nicht deklarieren – denn das würde alle Projekte in Neukölln diskreditieren. Dass Giffey als Bezirksbürgermeisterin für Neukölln zuständig war, sie dieses aber – durchaus richtig – als Problemviertel beschreibt, steht auf einem eigenen Blatt. Dass die Mehrzahl der Verantwortlichen für die Silvesterkrawalle einen Migrationshintergrund hat, geht Giffey dagegen kaum über die Lippen.

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Stattdessen berief sie einen „Gipfel gegen Jugendgewalt“ am Mittwoch ein. Im kurzen Wahlkampf versucht Giffey zumindest den Eindruck des Handelns zu vermitteln, wagt es aber dennoch nicht, das eigentliche Problem anzusprechen. Eine „konzertierte Aktion“ kündigte sie an, darunter „Orte für Jugendliche“, mehr Jugendsozialarbeit und härtere Konsequenzen. Ähnlich wie Gewalt gegen Frauen von Männern ausgeht, und nicht von bestimmten Männern, waren es in der Silvesternacht eben auch Jugendliche und nicht bestimmte Jugendliche.

Zu den vielzähligen Glossen, die man über Berlin und sein Parteien-Establishment schreiben könnte, zählt noch ein weiteres Stück. Die NZZ berichtet, dass die Abteilung 236 der Berliner Staatsanwaltschaft mit der Aufgabe betraut wurde, die Silvesternacht aufzuarbeiten und die Täter zur Rechenschaft zu ziehen. Üblicherweise beschäftigt sich die Abteilung mit „Straftaten im Zusammenhang mit sportlichen Großveranstaltungen“. Während die stellvertretende Chefredakteurin des RND bereits am Sonntag Videospiele für die Gewaltausbrüche mitverantwortlich machte, rückt man die Täterschaft damit zumindest indirekt in die Nähe von Fußball-Hooligans.

Wann das „Programm“ gegen jugendliche Gewaltkriminalität zu erwarten ist, bleibt dabei ebenso im Vagen wie die weiteren Details. Giffey will Bodycams für Polizei und Feuerwehr, die Koalitionspartner von der grünen und dunkelroten Seite dürften solche Vorstöße jedoch kritisch sehen. Alles weitere will man daher bis zum 22. Februar klären. Das sind zehn Tage nach der Abgeordnetenhauswahl.

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