Ein Maßstab dafür, ob ein Land sich zumindest in seiner historischen Identität als essenziell katholisch empfindet, erkennt man daran, ob der 8. Dezember ein Feiertag ist oder nicht. Mariä Empfängnis ist wie Fronleichnam ein durch und durch katholisches Fest, das es nicht nur vom Protestantismus, sondern auch von allen anderen christlichen Konfessionen scheidet. Dass das heutige Frankreich sich als laizistischer Staat empfindet, der seit der Revolution mit seiner tiefsitzenden katholischen Identität gebrochen hat, erkennt man daran, dass weder der eine noch der andere Tag als staatlich anerkannter Feiertag gilt. Von dem Selbstverständnis der jahrhundertelang herrschenden Könige aus dem Geschlecht der Kapetinger und ihren Seitenzweigen – ob Ludwig der Heilige, Franz I. oder Ludwig XIV., sie alle stammen vom Urahn Hugo Capet ab – ist heute wenig über: Sie trugen selbst den Titel eines allerchristlichsten Königs.
Von der langjährigen Herrschaft einer einzigen Dynastie mit weitreichender Hausmacht und später absolutistischem Gebaren sind nur noch der französische Zentralstaat und die starke Stellung des französischen Präsidenten geblieben. Dekor und Paläste und der Anspruch des Staates selbst bleiben erhalten, doch die eigentliche Seele Frankreichs wurde vor 200 Jahren traumatisiert, als der jakobinische Mob der Revolution nicht nur Kirchen und Klöster zerstörte und plünderte (allen voran das Meisterwerk von Cluny), sondern auch die Grabeskirche der französischen Könige überfiel. In Saint-Denis vernichteten diese Vorläufer des linken Extremismus nicht nur die zeremoniellen Gegenstände, die bereits seit dem Frühmittelalter der Weihe der allerchristlichsten Könige dienten, sondern man zerrte auch gleich die einstigen Könige aus ihren Gräbern, sammelte die Knochen in einem Massengrab und vergrub sie mit Löschkalk.
Die Blindheit auf dem linken Auge hat die Situation in Frankreich mitvorbereitet
Die französischen Katholiken sind daher bereits deutlich länger gewohnt, ein Katakomben-Dasein zu fristen, was im Übrigen dem Glauben innerhalb der Gemeinde deutlich mehr geholfen als geschadet hat. Frankreich indes hat die historische Frage nach der Religion abgehakt geglaubt, indem es mit der Nation antwortete. Nur aus einem solchen Verständnis heraus ist erklärbar, wie Frankreich glauben konnte, durch die Kolonisation Afrikas ein Reich aus 100 Millionen Franzosen erschaffen zu können: Weder der Islam noch das lokale Brauchtum schienen eine Hürde bei der Romanisierung weiter Teile des Kontinents zu sein, hatte man doch im jakobinischen Bewusstsein auch die vorherige Identität auf dem Trümmerhaufen der Geschichte entsorgt.
Muslime überfallen Marienprozess
Der Katholizismus war in Frankreich nur noch eine Religion wie jede andere, das Ideal der Aufklärung sah insbesondere in den Muslimen Nordafrikas eine rückständige Bevölkerung, die mit etwas Zivilisationshilfe Mohammed ebenso abstreifen würde, wie man selbst sich zuvor des Heilands entledigt hatte. Danach würden auch diese Kinder der Nation französisch sprechen, französisch speisen, französisch singen und französisch denken. Im Übrigen war das keine rein französische Vorstellung der damaligen Zeit. Mit dem Verlust des Kolonialreichs in der Nachkriegszeit transformierte sich die Idee. Um es mit einem verhängnisvollen Wort des französischen Premierministers Michel Debré zusammenzufassen:
„Es müssen 100 Millionen Franzosen sein. Wenn das nicht durch Geburten zustande kommt, dann durch Einwanderung.“
Dass sich diese historische Einschätzung als eklatante Fortsetzung des jakobinischen Wahns entpuppen sollte, der glaubt, nur durch die richtige „Aufklärung“ das Menschenschicksal richten zu können, wird uns als Nachgeborene tagtäglich vor Augen geführt. Symbolisch dient dazu neuerlich der 8. Dezember, dieses Mal im Jahr 2021. Wir sind in Nanterre. Mit einer Fackelprozession begehen Katholiken das Hochfest der Unbefleckten Empfängnis. 30 Gläubige wollen von der Kapelle Saint-Joseph-des-Fontenelles zur rund einen Kilometer entfernten Pfarrei Sainte-Marie-des-Fontenelles ziehen. „Aber kurz nach 19 Uhr, und während wir nur einige hundert Meter vorangeschritten waren, griff uns eine Gruppe Unbekannter auf dem Weg zur ersten Gebetsstation verbal an“, sagt der Diakon Jean-Marc Sertillange.
Mittlerweile mehr Attacken gegen Christen als gegen Juden
Der Bericht des französischen Innenministeriums scheint dieses Urteil zu bestätigen. Es meldete am 10. Februar 1.659 antireligiöse Handlungen im Jahr 2021 – davon allein 857 gegen das Christentum gerichtet. 589 wendeten sich gegen das Judentum, 213 gegen den Islam. Zynisch könnte man sagen: Frankreich ist auf einem guten Weg, denn 2019 gab es noch 996 antichristliche Delikte. Aber dass die einst als älteste Tochter der Kirche gehandelte Nation auf einem verhängnisvollen Weg gelandet ist, hat nicht erst die Enthauptung des Priesters Jacques Hamel in der Normandie gezeigt. Es ist ein Kontinuum von Straftaten, die sich schon Jahre zuvor in Kirchenschändungen und Kirchenbränden manifestiert hat. Diesen vandalistischen Vorlauf kann man mittlerweile auch in Deutschland beobachten. In Paris ist mittlerweile ein eigenes Institut – das Observatoire de la christianophobie – ansässig, das die Taten dokumentiert.
Abgelehnter Asylantragsteller legt Kirche in Brand und bringt dann einen Priester um, der ihm Obdach gewährte
Hier nur einige Beispiele aus dem Dezember 2021, neben der erwähnten Prozession. In La Roque-d’Anthéron versuchen Brandstifter gleich zweimal in einer Woche, die Kirche in Brand zu setzen. In der Silvesternacht zerstören Unbekannte in Creutzwald mit Feuerwerkskörpern die Lichter, Töpfe, Statuetten und den Briefkasten eines Presbyteriums. In Les Artigues-de-Lussac zerreißen Vandalen die Krippe in der Advents- und Weihnachtszeit. In Château la Vallière schüren Brandstifter innerhalb einer Kirche über der Krippe Feuer. In Les Sables d’Olonne wird eine Marienstatue im Park niedergerissen und zertrümmert.
Will man die ganze Dimension verstehen, gilt es, auf das Beispiel des ermordeten Provinzoberen der Montfortianer, Pater Olivier Maire, hinzuweisen. Pater Maire bot dem polizeibekannten ruandischen Migranten Emmanuel Abayisenga Obdach. Nach einem erfolglosen Asylantrag sollte der Mann abgeschoben werden. Der Montfortianer bezahlte für seine Nächstenliebe mit dem Leben: Abayisenga ermordete den Prälaten. Eine Nachricht, die am 9. August 2021 vom französischen Innenminister Gérald Darmanin höchstpersönlich bekannt gegeben wurde. Damit nicht genug: Es war genau jener Abayisenga, der ein Jahr zuvor als Kirchenmitarbeiter in Nantes gearbeitet hatte. Dort legte er das Feuer in der Kathedrale von Nantes. Abayisenga war 2021 illegal nach Frankreich eingereist. Kirche und Staat zeigen sich gleichermaßen unfähig im Angesicht der Bedrohung, ob gewollt oder ungewollt.
Frankreichs Linksextreme als Erben der antichristlichen Revolution
Doch es ist zu kurz gesprungen, will man das christenfeindliche Phänomen nur auf Einwanderung und Islam herunterbrechen. Die Erben der jakobinischen Bilderstürmer haben sich nicht nur auf der Ebene des Staates ausgetobt. Sie sind auch auf den Straßen unterwegs. Das Christentum ist eine weiße, suprematistische, kolonialistische Angelegenheit, die es zu bekämpfen gilt. Vandalismus gegen Kirchen sind auch die Folgen von linksradikalem Hass und Verblendung. Antifa-Schläger attackierten im Mai 2021 eine Prozession, als Katholiken der Opfer der Pariser Kommune gedachten. Sie warfen zwei Senioren zu Boden, einer von ihnen musste später wegen einer Kopfverletzung genäht werden. Schwarz gekleidete Linksextreme schlugen auf Teilnehmer des Zuges ein oder griffen mit Fußtritten an. Es ist die Fortsetzung der Revolution, nur in einem anderen Gewand.
Frankreich selbst wurde durch die Bekehrung des Frankenkönigs Chlodwig buchstäblich aus der Taufe gehoben. Seine Entkernung von dem, was es über Jahrhunderte ausmachte, ist nur ein europäisches Beispiel. Aber es ist das auffälligste, weil kaum eine Nation so vom Podest gestürzt ist wie diese. Aus dem Land der allerchristlichsten Könige ist das Land der Christophobie geworden.