Tichys Einblick
100 Milliarden Sondervermögen

Aufrüstung der Bundeswehr: Kaufrausch, Flop – oder nur ein Stopfen von Löchern?

Die Ankündigung des Sondervermögens für die Bundeswehr durch Olaf Scholz ist nun gut vier Wochen alt, doch es gibt noch keine konkrete Liste des Verteidigungsministeriums. Fraglich ist, ob die Rüstungsindustrie die nötigen Anschaffungen überhaupt stemmen kann.

Generalinspekteur Eberhard Zorn, Bundeskanzler Olaf Scholz und Generalleutnant Bernd Schütt, Befehlshaber des Einsatzführungskommandos der Bundeswehr in Schwielowsee bei Potsdam, 04.03.2022

IMAGO / Metodi Popow

Am Sonntag, 27. Februar, hat Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) drei Tage nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine vor dem Bundestag angekündigt, dass die Bundeswehr mit einem Sondervermögen von 100 Milliarden Euro fit gemacht werden soll und dass die jährlichen Ausgaben für die Bundeswehr zukünftig deutlich mehr als zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) ausmachen sollen. Zuletzt waren es – je nach Berechnung – zwischen 1,4 und 1,5 Prozent. Apropos 100 Milliarden Euro: Sie sind abzüglich Mehrwertsteuer effektiv 84 Milliarden Euro und inklusive Inflation wohl nur 65 Milliarden Euro wert.

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 Nun ist diese Ankündigung gut vier Wochen alt, und schon gibt es ein mehrfaches Gerangel um das Ob und Wie dieses Sondervermögens. Die vor allem rot-grünen Friedensbewegten innerhalb und außerhalb des Parlaments möchten den Plan noch stoppen. Die CDU/CSU besteht auf einem Mitspracherecht, denn das Sondervermögen ist nur mit einer Ergänzung des Artikels 87 des Grundgesetzes möglich. Für eine solche Änderung braucht es eine Zwei-Drittel-Mehrheit, also auch die Stimmen der stärksten Oppositionsfraktion. Zugleich melden Militärs und Rüstungsfachleute ihre Optionen an.

Kurz: Die Sache ist noch lange nicht in trockenen Tüchern. Es gibt auch noch keine konkrete Liste des Verteidigungsministeriums. Was Generalinspekteur Zorn dem Bundeskanzler in einem Gespräch am 23. März konkret unterbreitet hat, ist nicht bekannt. Aber allein die Tatsache, dass Zorn beim Regierungschef antrat, zeigt, dass es Scholz ernst zu sein scheint. Zorn wurde übrigens von Ministerin Lambrecht begleitet.

Die aktuellen Wunschlisten

Die folgenden Optionen konnten wir für TE bislang eruieren:

Einzelne wenige Details finden sich hier.

Kurz: All die genannten Optionen sind überfällige und notwendige Anschaffungen. Mit Kaufrausch hat das nichts zu tun. Denn im Grunde werden nur Löcher gestopft, die eigentlich längst hätten gestopft werden sollen. Jetzt kommt es darauf an, dass es nicht wieder wegen Missständen im Koblenzer Amt der Bundeswehr für Beschaffungswesen zu Flops kommt.

Kann die Rüstungsindustrie mithalten?

Eine wichtige, ja entscheidende Frage, stellt sich zugleich: Ist die Rüstungsindustrie in der Lage, all dies zu stemmen? Klar, auf die US-Rüstungsindustrie zu setzen, verbietet sich aus vielerlei Gründen. Einer der Gründe ist: Die US-Kapazitäten dürften auf Dauer voll ausgelastet sein, nachdem US-Präsident Joe Biden die Verteidigungsausgaben der USA im kommenden Jahr weiter erhöhen will.

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Und die deutsche Rüstungsindustrie? Bei ihr gab es in den letzten Jahren ein ständiges Auf und Ab. Einen Einbruch erlebte sie nach 1990, als man meinte, nun sei das Ende aller Konflikte erreicht. Dann kamen immer wieder restriktive Auflagen für Rüstungsexporte in Länder außerhalb der Nato hinzu. Etwa was Lieferungen nach Saudi-Arabien betrifft. EU-Partner wie Frankreich hatten da weniger Hemmungen. Zudem ist die Bundesrepublik ein eher ungeliebter Partner bei Rüstungsprojekten, da Deutschland auch Lieferungen von Partnerstaaten in Kooperationsprojekten der deutschen Ausfuhrkontrolle unterwirft. Kurz: Die deutsche Rüstungsindustrie müsste erst ihre Kapazitäten erheblich ausweiten.

Stellt sich zum vorläufigen Schluss noch eine andere Frage: Die sinnvolle Verwendung der 100 Milliarden Euro und des in absehbarer Zukunft 2-Prozent-BIP-Anteils für Verteidigung braucht an der Spitze des Verteidigungsministeriums ein politisches und fachliches Schwergewicht. Die seit Anfang Dezember 2021 amtierende Verteidigungsministerin Lambrecht (SPD) ist dies nicht und wird es nicht werden.

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