Tichys Einblick
Niemand soll verantwortlich sein

Ermittlungen zur Flutkatastrophe im Ahrtal wurden eingestellt

135 Menschen verloren bei der Flutkatastrophe im Ahrtal 2021 ihr Leben – eine Katastrophe, die durch multiples Verwaltungsversagen zum Desaster führte. Nun soll niemand die Verantwortung dafür tragen. Auch der damalige Landrat Jürgen Pföhler nicht, wie die weisungsgebundene Staatsanwaltschaft jüngst feststellte.

IMAGO / Reichwein

Niemand also ist schuld. Niemand trägt die Verantwortung für jenen dramatischen Ausgang der Flutkatastrophe im Ahrtal. Der ehemalige Landrat des Kreises Ahrweiler, Jürgen Pföhler, jedenfalls nicht, wie die weisungsgebundene Staatsanwaltschaft jüngst festgestellt hat. Ebensowenig wie Michael Zimmermann, der damalige Leiter des Krisenstabs. Die Beweislage würde nicht für eine Verurteilung ausreichen, so die Staatsanwaltschaft auf einer Pressekonferenz. Die hatte wegen fahrlässiger Tötung durch Unterlassen ermittelt.

Opferanwalt spricht von "Justizskandal"
Flutkatastrophe im Ahrtal: Ermittlungen eingestellt
Die Bevölkerung im mittleren und unteren Ahrtal war zu spät vor jener tödlichen Flutwelle gewarnt worden, die im Juli 2021 das Ahrtal verwüstete. Dabei kamen 135 Menschen ums Leben, hunderte von Anwohnern wurden teilweise schwer verletzt.

Entsetzen dagegen bei den Betroffenen im Ahrtal nach der Pressekonferenz des Oberstaatsanwaltes Mannweiler. Wie bei dem Vater der in den Fluten ertrunkenen Johanna O. Er hat der »Bild« ein dramatisches Video vom Abend der Katastrophe geschickt, das seine Tochter noch am Abend zugesandt hatte. Sie filmte die Wassermassen aus ihrer Wohnung im Erdgeschoss. Die Feuerwehr vor der Tür riet dazu, Fenster und Türen zu schließen – und zu Hause zu bleiben. Warnung und Flucht in ein sicheres Gebiet hätten ihr Leben gerettet. Wie das vieler anderer.

Der Vater hat angekündigt, weiter für seine Tochter und alle anderen Opfer und Hinterbliebenen zu kämpfen. Sein Anwalt Christian Hecken will Beschwerde einlegen.

Unfähigkeit in der Flutkatastrophe
Landrat in Ahrweiler aus dem Amt gejagt
Laut Oberstaatsanwalt Mannweiler würden durch die Ausrufung eines Katastrophenfalls keine Menschenleben gerettet. Deswegen sei das nicht so wichtig. »Das klingt schlimm, das mag es auch sein. Aber daraus ergibt sich keine Strafbarkeit.« Hecken fordert den Rücktritt auch des rheinland-pfälzischen Justizministers Herbert Mertin (FDP), der für chaotische Ermittlungen über die Flutkatastrophe verantwortlich sei.

Doch keiner ist verantwortlich. Wie bei der Loveparade in Duisburg, bei der ebenfalls keiner der »Verantwortlichen« verantwortlich war.

Stattdessen gab es das »Große Bundesverdienstkreuz mit Stern und Schulterband« für Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD). Die damalige Umweltministerin Anne Spiegel sorgte sich ums Wording und um das richtige Gendern in der Pressemitteilung, weniger um angemessenes Agieren. Dreyer wurde von dem damaligen Innenminister Lewentz (SPD) über die Lage informiert. Der hatte am frühen Abend noch Ahrweiler besucht und einen »ruhig und konzentriert arbeitenden Krisenstab« vorgefunden.

Landrat Pföhlers Anwalt gibt die Schuld weiter an jene ADD, der Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion (ADD) als zuständiger Landesbehörde auch für den Katastrophenschutz. Deren Sitz ist das prächtige kurfürstliche Palais in Trier. Dieses aufgeblasene Bürokratiegebilde »Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion« löste im Jahr 2000 als neue zentrale rheinland-pfälzische Verwaltungsbehörde mit knapp 1.000 Mitarbeitern die Bezirksregierungen ab. Dort ist jetzt noch immer Thomas Linnertz Chef, ein Jurist ohne Katastrophenerfahrung.

"Dreist gelogen"
Spiegel im Urlaub, Dreyer von nichts gewusst
Nachdem er in die SPD eingetreten war, begann seine Karriere im Mainzer Innenministerium bis hin zum Ministerialdirektor, bevor er dann 2016 die bisherige ADD-Chefin, eine in Ungnade gefallene SPD-Frau, ablöste. Die war von der Regierungschefin Malu Dreyer in den einstweiligen Ruhestand »befördert« worden. Begoña Hermann, die damalige stellvertretende Leiterin dieser Landeskatastrophenschutzbehörde, fuhr zwei Wochen nach der Flutkatastrophe in den Urlaub. Auch die damalige Umweltministerin Anne Spiegel war kurz nach der Flut vier Wochen in Urlaub gefahren.

Behördenchef Linnertz hatte während einer Sitzung des Untersuchungsausschusses in Mainz ausgesagt, es habe dienstliche Gründe dafür gegeben, dass er den Urlaub von Hermann genehmigt habe. Später hatte er gesagt, dass es auch private Gründe für die Urlaubsreise gegeben habe. Die Staatsanwaltschaft sah wieder nichts: Es gebe keinen Anfangsverdacht – diesmal gegen Linnertz.

Mehr und mehr stellte sich das katastrophale Versagen der Behörden bei der Hochwasserkatastrophe im Ahrtal heraus. Vor allem stieß den Betroffenen auf, dass lange Zeit keine Hilfe kam. Viele freiwillige Helfer aus dem gesamten Bundesgebiet und vor allem Landwirte und Unternehmer wie Lohnunternehmer Markus Wipperfürth packten schweres Räumgerät, Traktoren und Radlader auf ihre Anhänger und fuhren ins Krisengebiet. Sie erwarteten dort, sich bei einer Einsatzzentrale zu melden und eingeteilt zu werden. Doch nichts dergleichen war dort, keine Leitstelle, kein Einsatzleiter mit Überblick und Plan, was zu tun ist.

Behördenversagen
Hochwasserkatastrophe: »Hier passiert was ganz Schlimmes, wir müssen etwas tun!«
Eindrucksvoll ein Bericht von Oberst a. D., Maximilian Eder, der ebenfalls helfen wollte und dachte, dass eigentlich die lokalen Behörden einen Einsatzstab sofort initiiert hätten. Als er sah, dass dies nicht geschehen ist, hatte er sich sofort ans Werk gemacht. Er hat 38 Jahre in der Bundeswehr gedient, weiß, wie man organisiert, Einsatzstäbe leitet und sich einen Überblick verschafft. Ein eindrucksvoller charismatischer Mann, dem noch klar ist, woher der Begriff »Offizier« kommt, nämlich von Officium, auf deutsch »Pflicht«. Er sah es als seine Pflicht an, sofort zu handeln: »Helfen muss man sofort, und nicht erst, wenn die Toten angeschwemmt kommen!«

Er findet es »ganz schlimm«, was alles nicht geschah: »In Deutschland, einem hoch entwickelten Land, wo wir alles haben, alles an Vorbereitung, alles an Mitteln und Möglichkeiten, dass wir das nicht hinkriegen innerhalb der ersten Tage zu reagieren, das muss ich ganz ehrlich sagen, kann ich nicht begreifen. Und das ist für mich … unterlassene Hilfeleistung.«

Weiträumig über den Horizont hinaus zu denken – sagt Eder. Das also, was der Verwaltung fehlt.

Muss man noch erwähnen, dass ausgerechnet die »Bundesakademie für Bevölkerungsschutz und zivile Verteidigung« ihren Sitz in Bad Neuenahr-Ahrweiler hat? Die soll in Sachen Katastrophenschutz ausbilden. Landrat Pföhler hatte nach Aussagen im Flut-Untersuchungsausschuss in Mainz nie an einer Veranstaltung dieser Akademie teilgenommen.

Ralph A. Thiele beklagte seinerzeit im Gespräch mit Tichys Einblick die miserable Vorbereitung des Staates auf Katastrophen in allen politischen Ebenen. Thiele, der Schlüsselpositionen beim Nato-Oberbefehlshaber und im deutschen Verteidigungsministerium innehatte, Präsident von EuroDefense Deutschland und CEO von StratBird Consulting ist, wohnt in der Gegend und hat die Vorgänge und Abläufe bei der Hochwasserkatastrophe im Ahrtal intensiv analysiert.

Sein Schluss: Die Ahrtal-Katastrophe wurde erst durch multiples Verwaltungsversagen zum Desaster. »Ein Staat, der so schlecht performt, riskiert seine Existenz.«

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